«Wir werden seit der Wahl 2020 wie Bürger zweiter Klasse behandelt»
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LGBT-Aktivist Bart Staszewski:«Wir werden wie Bürger zweiter Klasse behandelt»

LGBT-Aktivist Bart Staszewski aus Polen
«Richtig sicher fühle ich mich nur zu Hause»

Nirgends in Europa hat es die LGBT-Community so schwer wie in Polen. Kirche, Politik und Medien hetzen seit Jahren gegen sie. Doch in der Gesellschaft regt sich immer mehr Widerstand.
Publiziert: 03.07.2022 um 15:30 Uhr
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Aktualisiert: 05.07.2022 um 12:05 Uhr
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Die LGBT-Situation in Polen ist europaweit die schlechteste. Aktivisten wie Bart Staszewski (Mitte, im weissen Hemd) kämpfen seit Jahren für mehr Rechte und gegen Diskriminierung.
Foto: STEFANIAK
Valentin Rubin aus Warschau

Es war ein wichtiger Schritt für die LGBT-Community in der Schweiz: der Sieg bei der Volksabstimmung über die Ehe für alle im Herbst. Von einem Meilenstein war die Rede, die Freude war enorm. Und seit Freitag darf hierzulande offiziell tatsächlich heiraten, wer möchte. Erste gleichgeschlechtliche Paare gaben sich bereits das Jawort.

Anderswo in Europa dagegen sieht es düster aus. In Polen etwa hat die LGBT-Gemeinschaft schwierige Jahre hinter sich. Die katholische Kirche bezeichnet sie als Plage, als Pest. Die rechtspopulistische Regierungspartei PiS behandelt Homosexuelle und Transmenschen als Sündenböcke für fast sämtliche Probleme, nennt sie antipolnische Ideologen und pädophile Nestbeschmutzer.

«LGBT-freien Zonen» in Polen

Ende 2019 mussten sie mitansehen, wie ganze Regionen Polens zu «LGBT-freien Zonen» erklärt wurden. Die waren zwar juristisch nicht durchsetzbar, doch die Symbolwirkung war klar: Die LGBT-Gemeinschaft sollte vollständig aus dem öffentlichen Leben verschwinden.

«Entsetzlich» nennt Bart Staszewski (31) die Vorgänge von damals. Als SonntagsBlick Polens führenden LGBT-Aktivisten in Warschau zum Gespräch trifft, berichtet er aus seinem Alltag: «Wenn ich mit meinem Partner durch die Stadt gehe, verzichten wir auf Zärtlichkeiten.» Einerseits, weil sie sich das nie angewöhnt hätten. Aber auch aus Angst: «Ich bin nicht sehr risikofreudig. Wenn wir Hand in Hand durch die Stadt laufen, blicke ich stets nervös über die Schulter.»

Hänge man eine Regenbogenflagge ans Fenster, könne es schnell eingeschlagen werden. Und für gleichgeschlechtliche Paare, die ihre Beziehung offen ausleben wollen, bleibe oft nur der Weg ins Ausland. Er müsse sich jeweils überlegen, wie er sich in der Öffentlichkeit zeige, sagt Staszewski. «Richtig sicher fühle ich mich nur zu Hause.» Vor allem, da er als Aushängeschild der polnischen LGBT-Bewegung bekannt sei.

Unterdrückung und fehlender Schutz

Was Bart Staszewski erlebt, ist für unzählige Polinnen und Polen Alltag. Der weltweite Dachverband der Lesben-, Schwulen-, Bi- und Transsexuellen- Organisationen (ILGA) hat im Mai sein jährliches Ranking zu LGBT-Freiheiten veröffentlicht. Zum dritten Mal in Folge schnitt Polen EU-weit am schlechtesten ab. Es gibt keine Gesetze, die vor Hassreden schützen, keine Möglichkeit zur eingeschriebenen Partnerschaft – geschweige denn zu einer Ehe oder Familiengründung. Und über Jahre haben Behörden vieler Städte versucht, Pride-Paraden zu verbieten und gegen Aktivisten vorzugehen.

«Sexuelle Aufklärung ist zudem in den Schulen lückenhaft», sagt Staszewski. Mit gravierenden Folgen: «Die Statistiken zeigen: Die Hälfte aller homo-, bi- und transsexuellen Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben Depressionen. Und fast ein Drittel dachte bereits an Suizid.»

Auch Staszewski gehörte zu dieser Gruppe. Als 17-Jähriger hatte er in seinem schulischen Umfeld niemanden, an den er sich wenden konnte. «Wenn du merkst, dass viele Beamte, Politiker und teils Lehrer nur Zynismus für Menschen wie dich übrighaben, dann siehst du keinen Sinn mehr im Leben.»

Subversiver Protest gegen die Absurdität

Vor zehn Jahren begann Bart Staszewski mit dem Aktivismus. «Ich wollte nicht länger zuschauen.» Sein Dokumentarfilm über LGBT-Rechte in Polen brachte ihn 2017 national ins Gespräch, sein 2020 begonnener Protest gegen die «LGBT-freien Zonen» rückten ihn ins Visier von Politik und Medien.

«Es war für mich schlimm, dass eine solch homophobe Politik im Europa des 21. Jahrhunderts durchkommt.» Das Einzige, was er dagegen tun konnte, war, darüber zu sprechen und auf die Absurdität der Entscheide hinzuweisen. «Im Kern geht es uns um Simples: Wir wollen in einem Polen leben, das alle Menschen, alle Minderheiten akzeptiert und schützt.»

Staszewski entwarf dazu ein mehrsprachiges Schild mit dem Text «LGBT-freie Zone», reiste quer durch Polen und posierte damit überall, wo die Deklaration unterschrieben worden war. Seine Social-Media-Posts gingen viral, die besagten Gemeinden fühlten sich angegriffen, Anzeigen und Diffamierungsklagen folgten.

«Erst durch diese Aktion wurde das Thema auch international breit in den Medien aufgenommen», meint Staszewski. In Polen wurde bisweilen mehrmals täglich über ihn berichtet, meist von regierungsnahen Medien, meist negativ. Präsident Andrzej Duda (50) erklärte im Wahlkampf 2020 öffentlich: «Man versucht uns einzureden, dass das Menschen sind. Aber es ist ganz einfach eine Ideologie.» Eine Ideologie, so Duda weiter, schlimmer als der Kommunismus.

Homophobie ist salonfähig

Homophobie ist in polnischen Regierungskreisen längst salonfähig, der ILGA-Bericht unterstreicht dies deutlich. Staszewski blickt dennoch mit Zuversicht in die Zukunft: «Die Politik spiegelt nur teilweise, was in der Bevölkerung abgeht.» Aus der Zivilbevölkerung rege sich längst Widerstand. «Die LGBT-Gemeinschaft in Polen wird sichtbarer und stärker.» Immer mehr Menschen trauen sich, ihre Homo-, Bi- oder Transsexualität öffentlich zu zeigen. Die Pride-Parade in Warschau von Ende Juni mit Zehntausenden Teilnehmern, aber ohne Zwischenfälle zeigte diesen Wandel.

Und vor Gericht hatten die Kläger gegen Bart Staszewski bislang keine Chance. Die «LGBT-freien Zonen» wurden fast alle wieder zurückgezogen – wegen Protesten der EU, aber auch durch Staszewskis Aktion. Die Organisation, in der er tätig ist – Miłość Nie Wyklucza («Liebe schliesst nichts aus») –, hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 vollständige Gleichheit in Polen zu erreichen. Die Parlamentswahlen im Herbst 2023 werden zeigen, ob dieses Ziel realistisch ist.

Mit Blick auf die Schweiz meint Staszewski: «Wir sehen mit Freude, dass andere Länder Fortschritte machen. Es spricht eigentlich nichts dagegen, dass diese Fortschritte letztlich auch hier in Polen möglich und sichtbar werden.»

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