Kriegsexperte Herfried Münkler
Darum geht Putins Kalkül nicht auf

Auch wenn Putin den Krieg gegen die Ukraine wohl gewinnen dürfte, wird er als der grosse Verlierer dastehen. Politikwissenschaftler Herfried Münkler erklärt, wie Russlands Präsident sich so verrechnen konnte.
Publiziert: 06.03.2022 um 18:40 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2022 um 01:01 Uhr
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Wladimir Putin wird den Krieg gegen die Ukraine wohl gewinnen.
Foto: keystone-sda.ch
Herfried Münkler*

Rein militärisch wird Putin den vom Zaun gebrochenen Krieg in der Ukraine wohl gewinnen – freilich zu einem hohen Preis: Es wird ein zerstörtes Land sein, das er dann in seinen Besitz gebracht hat. Ein Land, dessen Infrastruktur er wieder aufbauen muss. Dazu eine Bevölkerung, deren Grossteil ihm ablehnend bis feindselig gegenübersteht und von der die klügsten und kreativsten Köpfe das Land verlassen haben – oder noch verlassen werden.

Politisch und wirtschaftlich wird Putin nach Kriegsende auf einem Trümmerhaufen sitzen. Die Machtvergrösserung, die er sich von der Inbesitznahme der Ukraine oder zumindest der Erweiterung der russischen Einflusszone versprochen hat, ist nicht zustande gekommen. Stattdessen ist der zuvor zerstrittene Westen zusammengerückt. Er wird demnächst um einiges widerstandsfähiger sein als vor dem Ukrainekrieg, politisch entschlossener tritt er schon jetzt auf. Putins Kalkül ist nicht aufgegangen.

Persönlich

Herfried Münkler ist Politikwissenschaftler und Verfasser zahlreicher Bücher. Ein Schwerpunkt seiner Forschung sind Kriegsgeschichte und Kriegstheorie.

Herfried Münkler ist Politikwissenschaftler und Verfasser zahlreicher Bücher. Ein Schwerpunkt seiner Forschung sind Kriegsgeschichte und Kriegstheorie.

Putins Drohungen hinterlassen tiefe Spuren

Aber das ist keineswegs alles. Die gegen Russland verhängten Sanktionen des Westens sind sehr viel härter ausgefallen, als man im Kreml erwartet hat. Sie laufen darauf hinaus, Putins Russland von den globalen Wirtschafts- und Finanzkreisläufen auszuschliessen, den technologischen Transfer von Westen nach Osten zu unterbinden und den auf Rohstoffexporte angewiesenen Rentierstaat Russland, der vom Verkauf seiner Bodenschätze lebt, finanziell auszutrocknen.

Ob das ein auf lange Zeit angelegter – und durchgehaltener – Ausschluss sein wird, bleibt abzuwarten. Aber die nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen den Westen gerichteten Drohungen Putins und seiner Paladine haben hierzulande viel zu tiefe Spuren hinterlassen, als dass man demnächst wieder zur alten Tagesordnung zurückkehren könnte. Russland wird sich wirtschaftlich in die Arme Chinas flüchten müssen, um die Absatzeinbussen im Westen wenigstens tendenziell auszugleichen.

Das hat Putin bereits 2014 nach den Sanktionen wegen der Krim-Annexion getan, aber die jetzigen Sanktionen haben ein anderes Kaliber. Xi Jinping erwartet Putin bereits mit offenen Armen, aber nicht um ihn weich zu betten und ihm zu helfen, sondern um ihn von sich abhängig und zu seiner politischen Marionette zu machen. Das Einzige, was dem Herrn im Kreml unter diesen Umständen noch bleibt, sind die Atomwaffen, und es steht zu befürchten, dass er unter diesen Umständen umso heftiger mit ihnen herumfuchteln wird.

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Atomsperrverträge könnten zu Altpapier werden

Überhaupt Atomwaffen: Nach dem Zerfall der Sowjetunion war die Ukraine für kurze Zeit eine Atommacht, bis sie sich im Vertrag von Budapest dazu entschloss, Raketen und Sprengköpfe an Russland abzutreten, um die Zahl der Atommächte nicht weiter anwachsen zu lassen. Das erschien damals sehr vernünftig. Im Gegenzug garantierten Russland und die USA die Unverletzlichkeit der ukrainischen Grenzen per Unterschrift.

Diese Unterschrift hat sich aus Sicht der Ukraine jetzt als wertlos erwiesen. Man kann davon ausgehen, dass ukrainische Atomwaffen Putin von einem Angriff abgehalten hätten. Das werden alle, die von mächtigen Nachbarn bedroht werden, aufmerksam beobachtet haben und daraus ihre Schlüsse ziehen.

Es ist zu befürchten, dass die Ära der Nonproliferation zu Ende geht und der Atomwaffensperrvertrag zu Makulatur wird. Das sind vermutlich die globalen Folgen des Ukrainekriegs. Das ist dann nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt eine Zeitenwende.

Putin ist von Jasagern umgeben

Aber wie konnte es dazu kommen? Warum hat Putin sich in allem so sehr verrechnet? Man kann bei ihm seit Jahren beobachten, was man in allgemeiner Hinsicht das «Gesetz einer progredierenden Verdummung von Autokraten und Diktatoren» nennen kann. Sie haben ab einem bestimmten Zeitpunkt ihrer auf Dauer angelegten Herrschaft nur noch Schmeichler und Duckmäuser um sich – und keinen mehr, der ihnen auch einmal widerspricht oder kritische Anmerkungen macht.

Alle, die das in der Vergangenheit getan haben, sind entfernt worden. Von Jasagern umgeben, stecken Autokraten und Diktatoren in einer Echokammer; sie hören nur noch ihre eigene Meinung und halten die für die Auffassung aller ihnen Wohlmeinenden. Und wenn sie jenseits dessen etwas anderes vernehmen, so kann das nur die Stimme des Feindes sein.

Man muss Putin, wie zuletzt verschiedentlich zu hören, nicht zu einem Fall für den Psychiater erklären; dafür genügt ein Blick auf die strukturelle Blickfeldverengung des Herrschers unter den Bedingungen einer Autokratie.

* Herfried Münkler ist Politikwissenschaftler und Verfasser zahlreicher Bücher, unter anderem zur Geschichte des Krieges.

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