Wenn Putins Truppen miteinander funken, können Ukrainer, aber auch Menschen auf der ganzen Welt zuhören. Als Beweise dienen auf Social Media Mitschnitte von Gesprächen und Kriegsmaterial, das die Ukrainer beschlagnahmen konnten.
Offenbar wurden die russischen Soldaten nicht besonders gut auf die Invasion vorbereitet, von der ihre Chefs dachten, sie sei in zwei Tagen vorbei. Nun stehen die Truppen im Feld und müssen sich auf zivile Funkgeräte und Mobiltelefone verlassen, statt modernes, abhörsicheres Material nutzen zu können.
Passt zum bisherigen Bild des Krieges
Als die ersten Informationen durchsickerten, taten sich Telekommunikationsexperten zusammen, um russische Funksprüche aufzuspüren und zu stören. In Tonaufnahmen sind Soldaten zu hören, die sich streiten, auch Angriffspläne wurden mitgeschnitten. Den Funk des Gegners zu hören, bedeutet, seine Pläne zu kennen: wo sich die Truppen befinden, wo sie den Feind erwarten, wie viele Verluste es gab.
Zwar könnten die öffentlich zugänglichen Dokumente auch gefälscht sein. Dass Teile der russischen Streitkräfte tatsächlich abgehört werden können, ist aber wahrscheinlicher. Es passt ins Bild dieses Krieges – und dieses ist so ganz anders als dasjenige, das Putin zeichnen wollte.
«Putin wollte verhindern, dass Bilder nach aussen dringen»
Jahrelang versetzten die Russen die Welt mit ihren Internet-Attacken in Angst und Schrecken. Sie hackten Regierungen oder Banken, stahlen sensible Informationen. Dementsprechend wurde erwartet, dass auch die Ukraine Opfer eines grossangelegten Cyberangriffs wird. Und tatsächlich wurden in den Tagen vor der Invasion ukrainische IT-Systeme attackiert.
«Putin wollte wahrscheinlich das ukrainische Internet lahmlegen und verhindern, dass Bilder seines Krieges nach aussen dringen», sagt Marcel Berni (33), Strategie-Experte der Militärakademie an der ETH Zürich, zu Blick. Doch die russischen Hacks hatten kaum Wirkung, stattdessen staunt die Welt über die vielen Pannen der russischen Armee. Und darüber, dass die Ukrainer diese etwa auf Twitter laufend publik machen können. Berni glaubt, den Grund dafür zu kennen: «Der Westen hat die Ukraine bei der Cyberabwehr unterstützt.» Und er liefere auch weiterhin technisches Equipment, das beispielsweise das Abhören des Gegners möglich macht. «Die Ukraine alleine wäre dazu nicht in der Lage», mutmasst der Experte.
Rund 200'000 Soldaten könnten zu wenige sein
Für Putin ist das ein grosses Problem. Er ist auf Unterstützung aus der Bevölkerung angewiesen, um den sich anbahnenden langen Krieg durchziehen zu können. Das will er auch mit Propaganda erreichen – was er im eigenen Land dank seiner Staatsmedien schafft. Die Ukrainer aber tragen ihre Version des Krieges in die ganze Welt und torpedieren Putins Pläne. Da er es nicht geschafft hat, dies technisch zu verhindern, versucht er es nun militärisch. «Es war sicher kein Zufall, dass am Dienstag ein Fernsehturm in Kiew zerstört wurde», sagt Berni dazu. Doch die Aktion ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Der Kampf um die Ukraine ist noch offen. Den Propaganda-Krieg aber hat Putin bereits verloren – zumindest im Westen.