Darum gehts
- SP-Ständerat Jositsch stimmte gegen Vorstoss seiner Parteikollegin Funiciello
- Nationalratskommission unterstützte Anliegen einstimmig, Ständeratskommission lehnte es ab
- Frauen wollten Gesetz verschärfen
Wer eine Person auf der Strasse liegen sieht, die offensichtlich einen Schlaganfall erlitten hat, muss helfen. Sonst droht eine Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung.
Ganz anders sieht es bei einer Vergewaltigung aus. Wer eine solche beobachtet und wegläuft, ohne Hilfe zu holen, hat nichts zu befürchten – bisher jedenfalls. Das machte ein Urteil des Bundesgerichtes 2021 klar. Es sprach einen Mann wegen Unterlassung der Nothilfe frei.
Ein Mann läuft weg und bleibt straffrei
In dem Fall hatte eine junge Frau mit einem Mann einvernehmlichen Sex. Danach rief dieser einen Kollegen ins Zimmer. Die Frau solle nun auch mit ihm schlafen. Sie wollte das nicht – und äusserte das auch deutlich. Der Mann aber liess sie aber alleine mit dem Kollegen zurück und verliess das Zimmer. Es kam zur Vergewaltigung.
Bist du von sexueller, häuslicher oder körperlicher Gewalt betroffen oder kennst eine betroffene Person? Hier findest du Unterstützung:
Opferhilfe Schweiz: Hilfe bei sexueller, psychischer oder physischer Gewalt.
Castagna: Anlaufstelle für sexuell ausgebeutete Kinder und Jugendliche und in der Kindheit ausgebeutete Frauen und Männer.
BIF Beratungsstelle für Frauen: Hilfe bei Gewalt in Ehe und Partnerschaft
Bist du von sexueller, häuslicher oder körperlicher Gewalt betroffen oder kennst eine betroffene Person? Hier findest du Unterstützung:
Opferhilfe Schweiz: Hilfe bei sexueller, psychischer oder physischer Gewalt.
Castagna: Anlaufstelle für sexuell ausgebeutete Kinder und Jugendliche und in der Kindheit ausgebeutete Frauen und Männer.
BIF Beratungsstelle für Frauen: Hilfe bei Gewalt in Ehe und Partnerschaft
Schliesslich wurde nur der Vergewaltiger verurteilt. Das Bundesgericht sprach jedoch den anderen Mann wegen Mittäterschaft und unterlassener Nothilfe frei, weil es für die Frau nicht ums nackte Überleben ging. Physische oder psychische Verletzungen beim Opfer reichen nicht aus, um wegen unterlassener Hilfe verurteilt zu werden, so das Urteil.
Freispruch brachte Frauen in Rage
Der Richterspruch brachte verschiedene Frauen im Parlament in Bundesbern auf die Palme. Sie forderten darum gemeinsam eine Anpassung am Strafgesetzbuch.
Künftig solle die unterlassene Hilfestellung auch dann strafbar sein, wenn das Opfer «schwere psychische und physische Verletzungen» erleidet, forderte Tamara Funiciello (35) in einem Vorstoss. Das Anliegen der SP-Nationalrätin fand eine breite Unterstützung und wurde neben vielen Linken auch von FDP-Parlamentarierinnen wie Jacqueline de Quattro (64), GLP-Nationalrätin Corina Gredig (37) oder Mitte-Nationalrätin Marie-France Roth Pasquier (56) unterzeichnet.
Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats stellte sich letztes Jahr einstimmig hinter das Anliegen. Dem folgte der Nationalrat diskussionslos.
Doch die Parlamentarierinnen haben die Rechnung ohne den Ständerat gemacht. Die zuständige Kommission des Ständerats den Vorstoss letzte Woche versenkt. Den Dolchstoss gab ausgerechnet SP-Ständerat Daniel Jositsch (60). Der Zürcher Strafrechtsprofessor sorgte mit seinem Stichentscheid dafür, dass die Kommission das Anliegen ablehnte. Die Gründe dafür nennt Jositsch auf Anfrage nicht. Er sei im Ausland, teilt er Blick lediglich mit.
SP-Frau ist enttäuscht von Jositsch
Im Ständerat befürchtet man offensichtlich, dass das Strafgesetzbuch damit wohl zu weit gefasst und es künftig nicht mehr möglich wäre, ein moralisch erwünschtes Verhalten von einer strafrechtlich bedrohten Unterlassung abzugrenzen.
Motionärin Funiciello zeigte gar kein Verständnis für den Entscheid, wie sie auf Anfrage sagt. Sie wünsche sich eine Gesellschaft, «die Strafen ausspricht, wenn man bei Vergewaltigungen wegschaut».
Dass ausgerechnet ein SP-Kollege ihr Anliegen versenkte, hält sie für «unverständlich». «Vor allem, wenn das Ausmass der geschlechterspezifischen Gewalt so sichtbar ist wie in unserer Gesellschaft», so die Co-Präsidentin der SP-Frauen. Es sei kein gutes Zeichen, wenn man als Gesellschaft so wenig Verantwortung übernehmen wolle.