Normalerweise vermeiden es die Experten an der Corona-Medienkonferenz, Klartext zu reden und Kritik zu üben. Nicht so an der Pressekonferenz vom Dienstag. So wurde etwa der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri deutlich: Wenn sich die Lage nicht bald und schnell drastisch bessere, «müssen wir aus Sicht der Kantonsärztevereinigung leider bald ins Auge fassen, den Entscheidungsträgern der Politik weitere Massnahmen vorzuschlagen.»
Konkret nannte Hauri etwa eine breite Maskenpflicht drinnen und draussen oder 2G plus: dass nämlich der Zugang zu bestimmten Bereichen nur Geimpften und Genesenen vorbehalten sein soll, die zusätzlich auch noch getestet worden sind. Darüber hinaus listete Hauri Massnahmen auf, die von Kapazitätsbeschränkungen bis hin zu Schliessungen gingen.
«Wissenschaftlich gesehen berechtigte Zweifel»
Dass der Moment für drastische Massnahmen nahe ist, verhehlte auch Urs Karrer, Vize der wissenschaftlichen Corona-Taskforce, nicht. «Wir haben wissenschaftlich gesehen berechtigte Zweifel, dass die am Montag in Kraft getretenen Massnahmen den R-Wert auf 0,8 zu senken vermögen», so der Winterthurer Chefarzt. Ein R-Wert unter 1 wäre aber nötig, um die Fallzahlen einzudämmen. Aktuell sind 263 Corona-Patienten in Intensivpflege. Und schon ab 300 müssen lokal Triage-Entscheide gefällt werden. Und ab 400 Intensivpatienten, so Karrer, stünden schweizweit Triage-Entscheide an. Bei der Triage wird festgelegt, wer noch einen Intensivpflege-Platz bekommt und wessen Genesungsaussichten dafür als zu gering erscheinen.
Ein Überschreiten dieser Schmerzgrenze könnte laut Taskforce bei gleichbleibendem Anstieg der Fallzahlen noch vor Weihnachten kommen. Vieles hänge auch vom Verhalten der Bevölkerung ab, was sehr schwierig einzuschätzen sei, so Karrer. Wichtig sei das Einhalten der Massnahmen, die Kontakte zu reduzieren und möglichst schnell die Booster-Impfungen zu verabreichen.
Auch Engelberger auf Konfrontationskurs
Es sind nicht nur Hauri und Karrer, die höchst pessimistisch in die Zukunft blicken. Noch deutlicher wird Lukas Engelberger (46), Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz und Basler Gesundheitsdirektor. So verschickte der Kanton Basel-Stadt am Dienstag eine geharnischte Medienmitteilung: «Die vom Bundesrat erlassenen milderen Massnahmen reichen nicht aus», so die Kantonsregierung, der auch Engelberger angehört.
Maskenpflicht und Konsumation nur im Sitzen bleiben für die Basler Clubs und Veranstalter weiterhin Pflicht. Der Halbkanton übernimmt die Bundeslösung explizit nicht. Und er rechnet offensichtlich auch damit, dass der Bundesrat bald nachbessert: «Es ist absehbar, dass der Bundesratsentscheid nur einen Zwischenschritt zu konsequenteren Massnahmen darstellen wird.» Beim nächsten Paket brauche es in gewissen Bereichen eine 2G-Pflicht inklusive Maskenpflicht.
SVP-Herzog pocht auf Maskenpflicht
Zurückhaltender zeigten sich am Dienstag die Parlamentarier und Parlamentarierinnen. Er halte eine Verschärfung der Massnahmen aktuell nicht für angezeigt, sagte GLP-Politiker Martin Bäumle (57). «Wichtiger ist jetzt die konsequente Umsetzung der bisherigen Massnahmen inklusive der Verbesserung der Innenraumluftqualität.» SP-Gesundheitspolitikerin Flavia Wasserfallen (42) wiederum zeigte sich hoffnungsvoll, dass mit dem Verhalten der Bevölkerung die Chance da sei, Triagen zu vermeiden.
Mit Verena Herzog (65) sprach sich für einmal aber eine SVP-Politikerin für Verschärfungen aus – zumindest in einem Bereich: «Eine konsequente Maskenpflicht wäre dringend!», sagte sie. Sie denke etwa an Schulen ab der Mittelstufe sowie alle Lehrpersonen, insbesondere aber auch an den öffentlichen Verkehr, wo eine Kontrolle durch zivile Beamte nötig sei.