Knatsch um Klima-Initiativen, Ringen um Vormachtstellung
Die Linken sind sich nicht grün

Mit dem anhaltenden Aufstieg der Grünen hat sich die Hierarchie im linken Lager verschoben. Bei der SP sind vermehrt Unmut, Frust und Nervosität feststellbar. Das zeigt sich gerade wieder bei den unabhängig voneinander angekündigten Klimafonds-Initiativen.
Publiziert: 10.01.2022 um 10:43 Uhr
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Aktualisiert: 10.01.2022 um 14:53 Uhr
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Spätestens seit dem Wahlerfolg 2019 haben sich die Grünen zum ernsthaften Konkurrenten für die SP entwickelt.
Foto: Keystone
Daniel Ballmer und Sermîn Faki

Die gemeinsamen Ziele standen stets an oberster Stelle. Jahrzehntelang traten SP und Grüne geschlossen auf – die SP als mächtige Bundesratspartei, die Grünen als Juniorpartner. Es war die grosse Stärke im linken Lager. Doch mittlerweile knirscht es hörbar im Gebälk.

Die Grünen reiten auf der Ökowelle von Erfolg zu Erfolg. Bei den Wahlen 2019 kamen sie auf einen Wähleranteil von über 13 Prozent. Diese Zugewinne gehen gerade auch auf Kosten der Sozialdemokraten, die auch in den Kantonen Sitz um Sitz verlieren. Heute kommt die Partei noch auf gut 16 Prozent. Die Hierarchie ist ins Wanken geraten, ein neuer Konkurrenzkampf ist entbrannt.

Überrascht von «peinlicher Aktion»

Beispielhaft zeigt sich das bei den Mitte November angekündigten Klimafonds-Initiativen. Grünen-Präsident Balthasar Glättli (49) hoffte auf einen grossen Auftritt in der Sonntagspresse. Die zuvor informierte SP aber fuhr ihm brüsk in die Parade: Nur Minuten vor den Grünen verschickten die Genossen eine Medienmitteilung, dass sie ebenfalls eine Volksinitiative für einen Klimafonds vorbereiten.

Hinter vorgehaltener Hand zeigen sich Grüne überrascht von «dieser peinlichen Aktion». SPler wiederum sind genervt, weil die Grünen vorgeprescht seien, noch bevor sie einen Initiativtext ausgearbeitet hätten. Die eigene Partei hingegen habe diese Arbeit bereits erledigt.

Es braucht eine gemeinsame Lösung

Nun liegen zwei fast identische Initiativprojekte vor. Beiden Parteien ist klar, dass das wenig Sinn macht. Seit Wochen studiert man deshalb an einem gemeinsamen Initiativtext herum. Die Unterschiede sind zwar marginal, eine Lösung aber ist offensichtlich dennoch nicht einfach zu finden.

Bis zum Jahreswechsel hätte man sich einigen wollen, ist aus den Reihen der Grünen zu hören. Die Partei hätte bereits an ihrer Delegiertenversammlung vom kommenden Samstag darüber debattieren wollen. Sie wird jetzt nur am Rande ein Thema sein. Definitiv wird erst am Parteianlass im März darüber entschieden.

Die Parteikader geben sich zuversichtlich, dass man eine gemeinsame Lösung finden wird. «Wir wollen eine gemeinsame Lösung mit den Grünen und die bisherigen Gespräche stimmen mich sehr zuversichtlich, dass das gelingt», betont SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (35). Ähnlich tönt es von Grünen-Chef Glättli.

Frust bei der SP – und Nervosität

Gleichzeitig aber wird klar, dass nicht nur um technische und inhaltliche Punkte gerungen wird. «Hier geht es auch um strategische Fragen: Wer profitiert unter dem Strich von diesem Wahlkampfvehikel?», räumt ein SP-Politiker ein.

Im Parlament ziehen die beiden Parteien zwar meist am gleichen Strick. Bei Wahlen aber sind sie direkte Konkurrenten. Umso ärgerlicher ist es für die SP, dass sie bisher fast tun und lassen konnte, was sie wollte: In Klimafragen gelten die Grünen als das Original – und profitieren weiter von der Ökowelle, während die SP leer ausgeht.

Das ärgert immer mehr Sozialdemokraten. «Es ist frustrierend, dass wir jeweils viel Arbeit und Geld investieren und die Grünen sich ins gemachte Nest setzen», verschafft ein Parlamentarier seinem Ärger Luft. «Wir erarbeiten Grundlagen und die kommen dann mit irgendeinem Vorstoss zum Bienli-Sterben.»

Als Beispiel genannt wird etwa das Referendum zur Stempelabgabe. Die SP habe – auch finanziell – einen Riesenaufwand betrieben. Die Grünen hätten inhaltlich gar nichts beigetragen und auch nur gerade 5000 Unterschriften gesammelt, sich vor der «Tagesschau»-Kamera aber gross aufgespielt. Gleiches gelte für die Transparenz-Initiative, ergänzt eine SP-Politikerin. Das zeigt: Bei der SP steigt der Frust – und auch die Nervosität.

SP formuliert klare Erwartungen

SP-Co-Chef Wermuth dagegen versucht, die Wogen zu glätten. «Ich weiss, dass es Animositäten zwischen einzelnen Exponentinnen gibt», räumt er ein. Co-Präsidentin Mattea Meyer (34) und er hätten zu Grünen-Chef Glättli aber ein ausgezeichnetes Vertrauensverhältnis. «Und wir lassen uns auch nicht auseinanderdividieren.»

Auch Glättli betont das Vertrauensverhältnis. Die Absprachen seien sogar intensiver als früher. Wettbewerb innerhalb der politischen Lager sei normal. Den beiden Partnern sei klar: «Die gemeinsamen politischen Gegner stehen rechts.»

So gesehen begrüsst auch Wermuth, dass die Grünen gewachsen seien und so die Linke insgesamt gestärkt hätten. Doch er stellt auch klar: «Natürlich erwarten wir nun auch einen grösseren Beitrag von den Grünen als bisher – sei es im Parlament, beim Unterschriftensammeln oder auch finanziell.»

Bei den Wahlen 2023 gehe es nicht darum, den Grünen Prozente abzujagen, betont Wermuth. Ziel sei es vielmehr, gemeinsam zu wachsen. Noch ist der Trend allerdings ein anderer. Und wenn die Grünen weiter zulegen, während die SP verliert, dann könnte der bisherige Juniorpartner nach den Wahlen 2023 sogar den zweiten SP-Sitz gefährden. Die eigentliche Zerreissprobe steht dem linken Lager also erst noch bevor.

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