Am 19. März 2023 rettet der Bundesrat die kaputte Credit Suisse und gleist die Übernahme durch die UBS auf. Die Regierung spricht horrende Garantien – 100 Milliarden für SNB-Liquiditätshilfen und neun Milliarden als Ausfallversicherung für die neue Megabank.
Gleichentags stimmt die Finanzdelegation des Parlaments zu. Weil der Bund Notrecht anwendet, muss er den Deal der Bundesversammlung in einer ausserordentlichen Session zur nachträglichen Genehmigung vorlegen. Doch was die dazu sage, spiele eigentlich keine Rolle, erklärt das Finanzdepartement (EFD) von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter vor Sessionsbeginn: Die Milliarden seien bereits «vollumfänglich verpflichtet».
Ein Entscheid ohne Wirkung
Das Sekretariat der Finanzkommission drückt den Parlamentariern bereits am 24. März eine «Notiz zu den rechtlichen Möglichkeiten der Kommissionen und Räte bei der nachträglichen Genehmigung» in die Hände. Darin steht: «Verweigern die Räte die nachträgliche Genehmigung, so kommt dies einer politischen Rüge an die Finanzdelegation gleich. Rechtliche Wirkung hat die Nichtgenehmigung keine.»
Am letzten Mittwoch hat das Parlament die Verpflichtungskredite tatsächlich abgelehnt – im Glauben, damit den Lauf der Dinge nicht substanziell zu beeinflussen. Eigentlich absurd: Die versammelte Legislative trifft einen Entscheid ohne Wirkung. Das ist demokratiepolitisch fragwürdig. Aber entspricht es wenigstens dem Gesetz?
«Nachträgliche Genehmigung» nötig
Diese Woche verwies SRF-Journalist Philipp Burckhardt auf das «Bundesgesetz über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen» aus dem Jahr 2010 – eine Reaktion auf die staatliche UBS-Rettung mit Notrecht im Jahr 2008. Was bezweckte das Parlament damit? Bernhard Rütsche (52), Professor für Öffentliches Recht an der Uni Luzern: «Mit dem fraglichen Gesetz wurde unter anderem mittels Änderung des Finanzhaushaltsgesetzes sichergestellt, dass die Bundesversammlung auch bei dringlichen Ausgabenbeschlüssen des Bundesrats mitbestimmen kann.»
So sehen Artikel 28 und 34 des Finanzhaushaltsgesetzes vor, dass dringliche Kredite nicht nur der vorgängigen Zustimmung der Finanzdelegation, sondern auch der «nachträglichen Genehmigung» des Parlaments bedürfen. Das Wort «Genehmigung» sei entscheidend, sagt Andreas Stöckli (40), Professor für Staatsrecht an der Uni Freiburg. «Es bedeutet, dass der Beschluss des Parlaments rechtliche Verbindlichkeit hat.»
Sind die Kredite jetzt ungültig?
So sieht es auch Bernhard Rütsche: Aus dem Zweck des Bundesgesetzes, seiner Entstehungsgeschichte und dem Wortlaut «nachträgliche Genehmigung» sei zu schliessen, «dass vom Bundesrat mit Zustimmung der Finanzdelegation beschlossene dringliche Verpflichtungskredite ihre rechtliche Gültigkeit verlieren, wenn sie von der Bundesversammlung nicht genehmigt werden.» Trotzdem bleiben laut Rütsche rechtliche Verpflichtungen, die der Bundesrat vor der Nichtgenehmigung durch das Parlament eingegangen ist, aufgrund des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit bestehen.
Gibt es solche Verpflichtungen? Für die SNB-Liquiditätshilfen gebe es einen Garantievertrag, sagt das EFD. Anders sieht das bei der Verlustabsicherung für die UBS in der Höhe von neun Milliarden aus: Sie ist noch nicht vertraglich fixiert. Sie sei aber Bestandteil des Gesamtkonzepts der Massnahmen im Zusammenhang mit der UBS, so das EFD. «Zwar ist der schriftliche Garantievertrag noch nicht ausgehandelt. Die Eckwerte und der Betrag von neun Milliarden stehen aber in der Notverordnung.»
Ist das eine Verpflichtung? Professor Stöckli ist skeptisch: «Für den Garantievertrag ist Schriftform Voraussetzung. Der einschlägige Artikel in der Notverordnung stellt keine Verpflichtung, sondern bloss eine Ermächtigung dar.» Dort seien auch nicht alle wesentlichen Punkte der Garantie enthalten. Ob sich aus den Absichtserklärungen des Bundesrats rechtliche Konsequenzen für den Bund ergeben, müsse im Einzelnen geklärt werden, so Stöckli. Es sei eine vertrackte Situation, weil der Deal platzen könnte, wenn der Bundesrat den Vertrag nicht unterzeichne. «Es ist aber zweifelhaft, ob der Bundesrat nach dem Nein des Parlaments den Vertrag überhaupt noch unterzeichnen darf.»
«Dann muss Keller-Sutter zurücktreten»
Fordert die UBS Schadenersatz, wenn es keinen Vertrag gibt? «Wir kommentieren dies nicht», sagt die Bank. Das EFD bleibt dabei: «Die Ablehnung hat keinen Einfluss auf die Garantien.»
Die Reaktionen der Parlamentarier fallen teils geharnischt aus: «Wenn die Interpretation des Finanzdepartements rechtlich nicht trägt, ist das ein staatspolitischer Skandal», sagt ein Nationalrat. «Dann muss Keller-Sutter zurücktreten.»
SVP und Grüne stellen kommende Woche Anträge in der Staatspolitischen Kommission. «Es braucht eine seriöse Analyse der rechtlichen Situation», so SVP-Nationalrat Lars Guggisberg (45). SP-Fraktionschef Roger Nordmann (50) sagt: «Die rechtlichen Fragen müssen sauber geklärt werden. An einer Parlamentarischen Untersuchungskommission führt kein Weg vorbei.»
Verantwortung für Folgen tragen SVP, SP und Grüne
Grünen-Ständerat Mathias Zopfi (39) betont: «Es wurde kommuniziert, dass ein Nein rechtlich keine Auswirkung habe. Es ist Aufgabe des Bundesrats, nun die Konsequenzen darzulegen.» Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (44) findet ebenfalls, der Bundesrat müsse die rechtlichen Fragen klären. Er sagt aber auch: «Die Verantwortung für die Folgen des Trotz-Neins tragen SVP, SP und Grüne.»
FDP-Ständerat Andrea Caroni (42) verteidigt seine Bundesrätin: Die Regierung könne den Bund mit vorgängiger Zustimmung der Finanzdelegation dringlich verpflichten. Eine nachträgliche Nichtgenehmigung ändere daran bezüglich der erfolgten Verpflichtungen zumindest im Aussenverhältnis zwischen Bund und Dritten nichts. «Auf dieser Grundlage wagten es die Polparteien ja überhaupt nur, mit viel Gratismut abzulehnen. Hätte man sich in der Verantwortung gesehen, hätte eine Mehrheit vermutlich zugestimmt.»
Es kam anders. Und nun steht der UBS-Deal auf rechtlich wackeligen Füssen.