«Jöh, isch da än Herzige!» Als sie den kleinen Bernhardiner-Welpen in den Händen hält, kann Karin Keller-Sutter (59) ihre Freude nicht zurückhalten. Die Bundesrätin ist zur Barry-Stiftung nach Martigny VS gereist, um ihren Patenhund Zeus zu besuchen. Ein kleiner Abstecher bei den sieben Welpen, die vor zwei Wochen geboren sind, liegt auch noch drin
Zeus wartet draussen im Zwinger. Als seine berühmte Gotte ankommt, springt er ihr mit seinen 77 Kilo freudig entgegen. Keller-Sutter tätschelt den vierjährigen Bernhardiner-Rüden. «Wenn Zeus richtig an der Leine zieht, kann man nichts mehr machen», sagt sie und fügt hinzu: «Trotzdem einfacher zu bändigen als einige Politiker.» Und wahrscheinlich auch als einige Banker. Beim Spaziergang mit Zeus in Plan-Cerisier inmitten der Rebberge schaut Karin-Keller Sutter zurück auf die ersten acht Monate als Finanzministerin.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Nach UBS, Swiss und jetzt Credit Suisse: Welche ist eigentlich die nächste Firma, die gerettet wird?
Karin Keller-Sutter: Wir haben die CS nicht gerettet. Der Bundesrat, die Finanzaufsichtsbehörde und die Schweizerische Nationalbank haben alles darangesetzt, Schaden von der Schweiz abzuwenden. Wenn die CS Konkurs gegangen wäre, hätte das enormen Schaden angerichtet, das Zahlungssystem hätte zusammenbrechen können, viele Menschen hätten keinen Zugriff auf ihr Konto gehabt. Die CS war systemrelevant. Das sind auch andere Firmen wie zum Beispiel der Energiekonzern Axpo. Dort musste der Bund einen Schutzschirm sprechen.
Was sollen der Metzger oder die Architektin denken?
Sie lässt man einfach Konkurs gehen. Ich verstehe den Ärger der Leute gut. Ich bin selbst in einem Gewerbebetrieb aufgewachsen, diesen hätte auch niemand gerettet. Aber nicht nur meine Eltern hatten ein Restaurant, es gibt viele Restaurants. Ein einzelnes ist deshalb nicht systemrelevant. Mich hat auch sehr verärgert, dass die Führung dieser Bank mit ihrem Missmanagement und ihren Skandalen die Schweiz in diese Lage gebracht hat.
Der Zwangsverkauf der CS an die UBS war nicht alternativlos. Das hält eine von Ihnen eingesetzte Expertengruppe fest.
Der Bundesrat hat nie gesagt, man könne die CS nicht abwickeln. Aber das wäre nicht ohne erhebliche Schäden für den Finanzplatz und die Volkswirtschaft passiert. Weltweit hat noch nie jemand eine systemrelevante Bank abgewickelt. Es wäre ein absolutes Experiment gewesen. Der Bundesrat konnte ein so grosses Risiko nicht eingehen. Wir hatten zum Glück eine bessere Lösung, da eine andere Bank bereit war, die finanziellen und rechtlichen Risiken zu übernehmen.
Es heisst, Ihr Vorgänger Ueli Maurer habe die Rettung der CS verschlafen. Aber der Bundesrat ist eine Kollegialbehörde. Hat man da nie nachgefragt?
Der Bundesrat ist nicht die Aufsicht über die Banken. Das ist Aufgabe der Finanzaufsichtsbehörde. Vor allem: Die Verantwortung für die Bank lag bei den CS-Chefs. Einfach meinen Vorgänger in die Pflicht zu nehmen, ist etwas zu einfach. Man kann immer behaupten, im letzten Herbst oder im letzten Sommer wäre es besser gewesen. Das muss die Parlamentarische Untersuchungskommission jetzt klären.
Sie sagten, Sie hätten damals nicht viel geschlafen. Wie sieht es jetzt aus, da wir diese neue Monsterbank haben?
Ich habe deswegen keine schlaflosen Nächte. Es geht jetzt darum, sich so aufzustellen, dass das nicht mehr passiert. Krisen halten sich nicht an Spielregeln. Jetzt reden alle von der UBS. Wer garantiert, dass es nicht eine andere Bank trifft? Wir arbeiten an Vorschlägen. Im Frühling legt der Bundesrat in einem Bericht dar, wo Lücken zu schliessen sind.
3000 Menschen in der Schweiz verlieren ihren Job. Experten reden von Salamitaktik. Sagen, da kommt noch mehr.
Der Bundesrat hat dazu Stellung genommen. Mein Kollege, Wirtschaftsminister Guy Parmelin, hat sein Bedauern ausgedrückt. Auf der anderen Seite müssen wir sehen: Wenn die CS untergegangen wäre, wären vermutlich viel mehr Arbeitsplätze verloren gegangen.
Die «NZZ am Sonntag» rechnet mit insgesamt 27 000 Stellen, die gestrichen werden. Vor allem im Ausland. Da leidet unser Ruf doch drunter.
Der Ruf der Schweiz hat aus meiner Sicht nicht gelitten. Wir haben innerinnerhalb von kurzer Zeit für Stabilität gesorgt. Wir waren handlungsfähig. Das wurde international sehr anerkannt, und die Erleichterung war gross.
Von Sergio Ermotti sind jetzt alle begeistert. Sie auch?
Er ist sicher sehr erfahren. Die UBS hat ihn ja nach der Übernahme zurückgeholt. Sicher auch, weil er damals die UBS saniert hat.
Haben Sie Vertrauen in ihn?
Ich habe jetzt Vertrauen in diese Führung. Aber wir müssen an die Zeit nachher denken. Irgendwann wird es eine Ablösung dieses Führungspersonals geben. Ich gehe davon aus, dass der Dialog nun weitergeführt wird. Dass dies auch im Interesse der UBS-Führung ist und sie mit der Politik im Gespräch bleibt.
Sergio Ermotti sagt, er wolle nicht, dass sich die Politik jetzt noch einmischt. Wie kommt das bei Ihnen an?
Einerseits ist die UBS eine private Unternehmung. Die Banken gehören aber zu den am stärksten regulierten Branchen. Die Diskussionen, wie das in Zukunft aussehen soll, fangen erst an. Es ist Aufgabe der Politik, diese Spielregeln zu diskutieren und allenfalls anzupassen.
Wie häufig haben Sie Sergio Ermotti getroffen?
Ein paarmal vor den Sommerferien, bei der Aushandlung der Garantie für die von der CS übernommenen Aktiva. Da gab es Verhandlungsteams vom Finanzdepartement und von der UBS. Wenn es Differenzen gab, wurden diese zwischen dem Verwaltungsratspräsidenten Colm Kelleher und mir diskutiert. Ermotti war teils auch dabei.
Ein ewiges Ärgernis bei den Banken sind die Boni. Auch das ist noch nicht geregelt. Das kann ich nicht vorwegnehmen. Das wird im Bericht vom nächsten Frühling Thema sein.
Nicht nur die UBS ist ein Klumpenrisiko. Auch Kantonalbanken könnten für Steuerzahler teuer werden.
Ja, das hat man gesehen, etwa als die Solothurner Kantonalbank untergegangen ist. Die Kantonalbanken liefern zwar schöne Dividenden ab, aber wenn etwas passiert, kann es für ein Gemeinwesen zu Verlusten kommen. Das Bankenwesen ist risikobehaftet.
Sie müssen als Finanzministerin zwei Milliarden Franken sparen. Ist das wirklich der richtige Moment, jetzt wo alles teurer wird?
Wir haben in der Verfassung die Schuldenbremse. Diese verpflichtet den Bund, ein ausgeglichenes Budget vorzulegen. 85 Prozent der Stimmbevölkerung haben der Schuldenbremse zugestimmt, sie ist seit 20 Jahren in Kraft. Dass man nicht mehr ausgibt als man einnimmt, ist Teil unser Schweizer Mentalität. Das Parlament hat jetzt aber Ausgaben beschlossen, ohne zu sagen, wie man sie finanziert. Deshalb haben wir jetzt diesen Bereinigungsbedarf von zwei Milliarden Franken.
Wenn der Bund spart, baut er Leistungen ab. Das trifft doch die Bevölkerung.
Die Bevölkerung spürt das nicht. Es gibt viele Kürzungen, die niemand merkt. Für das Forschungsprogramm Horizon etwa waren knapp 800 Millionen budgetiert. Jetzt sind wir aber nicht bei Horizon, das fällt deshalb derzeit weg. Für die Forschung sind aber Auffangmassnahmen vorgesehen, ihr soll kein Geld entzogen werden. Wir sparen ja noch nicht einmal richtig, wir bremsen nur das Wachstum der Ausgaben. Klar ist aber auch, dass wir keine Steuererhöhungen wollen. Das wäre nicht im Interesse der Bevölkerung. Die Schuldenbremse hilft uns also. Auch dank ihr haben wir Geld, wenn wir es wirklich brauchen – wie etwa in der Coronazeit.
Die Schweiz hat noch immer eine tiefe Verschuldung.
Ja, sie ist tief, aber das Ausland ist kein Vorbild, was die Verschuldung betrifft. Die Finanzminister aus anderen Ländern beneiden uns.
Bereuen Sie es, das Departement gewechselt zu haben?
Es war ein turbulenter und intensiver Start. Aber ich bereue es nicht. Ich bin im Bundesrat, weil ich Verantwortung übernehmen und mitgestalten will. Ich schätze die Arbeit im Kollegium sehr. Gerade jetzt in dieser ganzen Budgetdiskussion haben wir alle sehr eng zusammengearbeitet.
Wichtige Probleme im Bundesrat sind aber nicht gelöst: EU, Neutralität. Wo wollen wir eigentlich hin?
Es sind in den vergangenen Jahren viele Krisen zusammengekommen. Bundeskanzler Walter Thurnherr hat bei der Ankündigung seines Rücktritts gesagt, das sei die schlimmste Legislatur seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Bundesrat hat sich das nicht ausgesucht. Weder Corona noch den Ukraine-Krieg noch die Energiekrise. Dass wir da immer im Krisenmodus waren, ist klar. Und wir haben natürlich Diskussionen, das gehört dazu. Manchmal liest man, was für einen Knatsch wir hätten. Aber das stimmt einfach nicht! Alle sagen immer, sie wollen einen starken Bundesrat. Doch eigentlich ist das gar nicht wahr. In der Schweiz ist man auf den Machtausgleich bedacht. Das ist auch gut so.
Was ist Ihre Vision für die Schweiz?
Wir haben viele Stärken: Die liberale Wirtschaftsordnung, die Eigenverantwortung der Bürger, ein gutes Ausbildungsniveau. Auch das Gesundheitswesen ist gut, obwohl es Anpassungen braucht. Ich finde, für all das darf man auch ein bisschen dankbar sein. Wir haben Mühe bei Reformen, das stimmt. Aber sich zusammenzuraufen, war immer eine Stärke der Schweiz.
Wie sind die zwei Neuen im Kollegium aufgenommen worden?
Sie sind sehr gut integriert. Das funktioniert tipptopp mit ihnen.
Zu den Wahlen: Es fällt auf, die Bundesräte lassen sich von den Parteien vor den Karren spannen. Gemäss Reglement wäre Zurückhaltung angebracht.
Dass an einer nationalen Parteiversammlung Bundesräte teilnehmen, gehört dazu. Der Wahlkampf ist aber Sache der Parteien. Im Bundesrat sollte man keine Parteipolitik betreiben. Wir müssen das machen, was wir als richtig erkennen, und nicht einer Ideologie nachhängen. Ich glaube, der Bundesrat ist eines der letzten Gremien, das nicht parteipolitisch funktioniert. Das ärgert manchmal die Leute, weil sie lieber andere Resultate hätten. Aber eigentlich ist das ein Segen für die Schweiz.