Keller-Sutter im Interview über Crash-Gefahr, UBS-Streit und Juso-Initiative
«Wir können nicht einfach nach Brüssel gehen und Geld verlangen»

Sie ist die bestimmende Figur im Bundesrat. Im Interview spricht Finanzministerin Karin Keller-Sutter Klartext: zum AHV-Rechnungsfehler, zum Streit mit UBS-Chef Sergio Ermotti, zu Peter Spuhlers Angst vor der Juso-Initiative. Und sie warnt vor einer tickenden Zeitbombe.
Publiziert: 24.08.2024 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2024 um 14:26 Uhr
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«Eine Zeitbombe.» Karin Keller-Sutter warnt vor Schuldenwirtschaft.
Foto: Thomas Meier
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Rolf CavalliStv. Chief Content Officer

Strahlend hell ist Karin Keller-Sutters Büro im Bernerhof an diesem Donnerstagmorgen. Die Spätsommersonne lässt den Säntis auf dem Foto hinter dem Pult der Ostschweizerin leuchten. Das Bild des Landschaftsmalers Franz Elmiger, vor dem die Finanzministerin fürs Interview posiert, strahlt Ruhe aus. Weit weniger idyllisch ist das Bild, das Keller-Sutter im Gespräch dann von der Schweiz und vor allem der Welt schildert.

Blick: Sie haben sich den Ruf einer knallharten Finanzministerin erarbeitet. Sind Sie des Amtes wegen rigoros im Umgang mit Geld, oder auch privat sparsam?
Karin Keller-Sutter:
Privat bin ich eher grosszügig. Das letzte Hemd hat keine Tasche. Wenn es etwa darum geht, jemanden zu beschenken, frage ich nicht, was es kostet. Aber als Finanzministerin verwalte ich nicht mein eigenes Geld, sondern das der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Der Bundesrat muss dafür sorgen, dass dieses Geld effizient eingesetzt wird.

Zurzeit schauen Sie vor allem darauf, weniger auszugeben.
Das Problem ist: Die Ausgaben wachsen viel schneller als die Einnahmen. Der Bund lebt auf zu grossem Fuss. Der Bundesrat muss ein Budget vorlegen, das der Schuldenbremse und damit der Verfassung entspricht. Wir dürfen nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen. Man muss Prioritäten setzen. Auch die Bürgerinnen und Bürger müssen das in ihrem Alltag und können sich nicht alles leisten.

Bei der AHV-Prognose hat sich der Bund um vier Milliarden Franken verrechnet. Da reibt man sich als Bürger die Augen.
Auch ich war konsterniert. Solche Fehler stärken das Vertrauen in die Behörden nicht. Aber es wurde dann der falsche Eindruck erweckt, die AHV habe jetzt plötzlich gar kein Finanzierungsproblem, sondern schwimme im Geld.

SP und Grüne haben das so dargestellt.
Ja. Natürlich ist das Defizit nun etwas weniger gross als angenommen. Aber wegen der 13. AHV-Rente ist das Ergebnis der AHV ab 2026 bereits negativ. Und in den Jahren danach wird sie steigende Defizite schreiben.

Sie wollen den Bundesanteil an die AHV senken. Damit müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, auf Kosten der AHV die Bundesfinanzen zu sanieren.
Was viele Leute nicht wissen: Der Bund finanziert ein Fünftel der gesamten AHV. Das ist der grösste Ausgabenposten des Bundes, vergangenes Jahr gut zehn Milliarden Franken. Dieser Anteil wächst ständig, weil es immer mehr Pensionierte gibt, und zusätzlich wegen der 13. AHV-Rente. Der Bundesrat möchte den Bundesanteil mit einem Kompromissvorschlag leicht senken. Aber auch so wird der Bund ab 2026 jährlich noch rund 500 Millionen Franken mehr zahlen.

Der Bundesrat will die 13. AHV allein über die Mehrwertsteuer finanzieren. Das schont die Bundeskasse, belastet aber die kleinen Portemonnaies. Dieser Vorschlag wird doch nie durchkommen!
Das wird sicher nicht einfach. Aber der Bundesrat macht jetzt einen Vorschlag, den meine Kollegin Elisabeth Baume-Schneider im Parlament vertreten wird. Die Politik muss die Frage beantworten, wie sie die 13. AHV-Rente und die AHV generell in Zukunft finanzieren will.

Sie haben eine externe Expertengruppe eingesetzt, die im Budget jährlich vier Milliarden Franken Sparpotenzial finden soll. Wäre das nicht Aufgabe Ihres Departements?
Die Finanzverwaltung arbeitet da natürlich mit. Aber manchmal ist eine Aussensicht sinnvoll. Die Offenheit für Sparvorschläge in den anderen Departementen ist so grösser, als wenn einfach das Finanzdepartement kommt und sagt, wo man sparen sollte.

Wo können Sie in Ihrem eigenen Departement sparen?
Wir sparen schon jetzt. Wir hatten zuerst zwei Prozent gekürzt und jetzt noch mal 1,4 Prozent.

Befürchten Sie nicht, dass das Parlament die Sparvorschläge zerzaust?
Das Bewusstsein schärft sich auch im Parlament langsam. Es geht ja nicht nur ums Sparen oder Einschränken. Es geht auch darum, Handlungsspielraum zu gewinnen für Investitionen in militärische und soziale Sicherheit.

Wird das funktionieren? Oder läuft es auf eine Steuererhöhung hinaus?
Noch mal: Wir haben beim Bundesbudget kein Einnahmeproblem. Und wenn der Staat ein Ausgabenproblem hat, kann er doch nicht einfach zu den Bürgerinnen und Bürgern sagen: «Wir brauchen zu viel Geld, deshalb wollen wir von euch jetzt noch mehr.» Für eine Erhöhung der Bundessteuer bräuchte es eine Verfassungsänderung und damit eine Volksabstimmung. Ich glaube, das wäre chancenlos.

Ist das Geld schlicht falsch verteilt? Viele Kantone machen viel mehr Gewinne als kalkuliert.
Das ist ein Thema. Bei der Corona-Hilfe hat fast alles der Bund gestemmt. Und es kann generell nicht sein, dass der Bund zunehmend Aufgaben finanziert, für die die Kantone zuständig wären. Das muss man entflechten. Dazu haben wir jetzt ein Projekt aufgesetzt.

Die Kantone werden sich wehren, wenns ums Zahlen geht.
Ich war selbst zwölf Jahre Regierungsrätin. Ich bin eine Erzföderalistin. Es ist auch im Sinn der Kantone: Wer zahlt, befiehlt. Das stärkt ihre Autonomie. Die zunehmende Zentralisierung schwächt die Kantone.

Definitiv Bundesaufgabe ist die Armeeaufrüstung. Ist die Schuldenbremse wichtiger als Sicherheit?
Wir erhöhen die Armeeausgaben schon jetzt bis 2035 um 20 Milliarden Franken. Weil wir die Verteidigungsfähigkeit verbessern müssen. Aber auch die Schuldenbremse ist ein Pfeiler des Erfolgs der Schweiz. Sie hat uns aus der Schuldenwirtschaft herausgeführt.

Verhindert eine strikte Schuldenbremse nicht von Fall zu Fall die Erfüllung wichtiger Aufgaben?
Im Gegenteil: Nur weil wir so diszipliniert sind, konnten wir in der Corona-Krise rund 35 Milliarden Franken ausgeben, um Private und die Wirtschaft zu unterstützen. Und wir hatten auch genug Spielraum für die Bewältigung der Ukraine-Krise. Andere Länder sind so stark verschuldet, dass sie kaum noch handlungsfähig sind.

An wen denken Sie?
Zum Beispiel an Frankreich. Mein französischer Finanzminister-Kollege sagt, er gebe mittlerweile mehr Geld für Schuldzinsen aus als für die Landesverteidigung. Oder schauen Sie nach Amerika. Das ist eine Zeitbombe. Der Mini-Crash an den Börsen Anfang August war ein Warnschuss.

Inwiefern?
Er war Ausdruck der Angst der Investoren vor einer Rezession. Die Verschuldung in den USA und in Europa ist ein Risiko für die internationale Finanzstabilität und ein Risiko für die Schweiz.

Und die Schuldenbremse schützt die Schweiz vor einer globalen Finanzkrise?
Wir müssen uns selbst helfen und schauen, dass wir finanzpolitisch souverän bleiben. Die Schuldenbremse ist ein Instrument dafür. Die Schweiz als kleine, offene Volkswirtschaft kann in einer Krise nicht einfach nach Brüssel gehen und Geld verlangen.

Auch eine Grossbank, die ins Wanken gerät, ist eine Gefahr. Sie verlangen von der UBS nun massiv mehr Eigenkapital zur Absicherung. CEO Sergio Ermotti wehrt sich dagegen. Bleiben Sie hart?
Es ist nur eine Massnahme von vielen. Aber sie ist wichtig. Wir müssen die Steuerzahler schützen. Wenn eine Bank vom Staat saniert oder liquidiert werden muss, entstehen enorme Risiken, beispielsweise bei den Tochtergesellschaften im Ausland. Es braucht genug Eigenkapital, um das aufzufangen und das für die Schweiz wichtige Bankgeschäft im Inland schützen zu können. Auch bei der CS war das oberste Ziel, Schaden von der Schweiz abzuwenden.

Reden Sie mit UBS-Chef Ermotti über diese Streitfrage?
Nein, ich hatte mit ihm keinen Kontakt mehr. Das ist jetzt ein normaler politischer Prozess. In der Schweiz entscheidet die Politik und je nachdem das Volk.

In der UBS hört man versteckte Hinweise, aus der Schweiz wegziehen zu wollen, wenn es für sie nicht mehr stimmt. Wäre das schlimm?
Die Swissness ist für die Bank ein Vorteil. Die Schweiz ist ein Rechtsstaat, wir haben ein stabiles politisches System, eine verlässliche Finanz- und Steuerpolitik.

Und aus Sicht der Schweiz?
Der Bundesrat ist der Meinung, dass es für die Wirtschaft gut ist, wenn es eine Schweizer Grossbank gibt. Wie sich die Bank aufstellen will, muss sie aber selbst entscheiden.

Mit dem Wegzug aus der Schweiz drohen auch Unternehmer wie Peter Spuhler. Die Erbschaftssteuer-Initiative der Juso zwinge ihn dazu. Haben Sie ihn schon überzeugen können, von seinen Auswanderungsplänen abzusehen?
Persönlich nicht. Aber der Bundesrat hat sich klar geäussert: Er lehnt die Initiative ab. Sie ist schädlich für die Wirtschaft und würde uns Steuereinnahmen kosten. Zudem hat der Bundesrat diese Woche klargemacht, dass eine sogenannte Wegzugsteuer nicht infrage kommt. Also niemand besteuert werden soll, der bei Annahme der Initiative ins Ausland ziehen würde. Ich zweifle aber nicht daran, dass das Volk die richtige Entscheidung treffen wird. Wir sollten Vertrauen ins Volk haben.

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