AHV – Alters- und Hinterlassenenversicherung
Wie funktioniert die Umverteilung in der AHV?
Die heutigen Erwerbstätigen finanzieren über ihre Beiträge die Renten der heute Pensionierten, das will das System der Umlagefinanzierung. Ausserdem gibt es eine grosse Umverteilung von reich zu arm. Wer eine Million Franken verdient, zahlt auf dem ganzen Lohn AHV-Beiträge. Die Rente ist aber limitiert: Die maximale Rente ist «bloss» doppelt so hoch wie die minimale Rente. Das ist politisch so gewollt in einer solidarischen Sozialversicherung (siehe Infografik). Gemäss einer Berechnung des Vorsorgeexperten Andreas Zeller erhalten 88 Prozent der Pensionierten mehr Rente, als sie selber finanziert haben (direkt via Beiträge und indirekt via Steuern).
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Wer profitiert davon, abgesehen von den Ärmeren?
Verwitwete und Eltern: Sie erhalten Zuschläge auf ihre Altersrenten, die von der Allgemeinheit bezahlt werden. Verwitwete, weil sie bei der Berechnung ihrer Altersrente einen Zuschlag von 20 Prozent erhalten. Und Mütter und Väter, weil sie so lange Erziehungsgutschriften erhalten, bis das jüngste Kind 16 Jahre alt ist. Das sind fiktive AHV-Beiträge, die dem elterlichen AHV-Konto gutgeschrieben werden – je hälftig der Mutter und dem Vater –, und zwar unabhängig davon, ob sie wegen der Kinder weniger arbeiten. Über alles gesehen, zahlen Frauen 34 Prozent der Beiträge an die AHV, beziehen aber 55 Prozent der Leistungen (weil sie länger leben und weil sie häufiger Verwitwetenzuschläge erhalten).
Nimmt die Umverteilung in der AHV zu?
Höchstwahrscheinlich. Erstens werden heute anders als früher 20 Prozent der AHV über Subventionen des Bundes finanziert, also über Steuern. Die direkte Bundessteuer ist aufgrund ihrer starken Progression eine Reichensteuer: Das oberste Einkommenspromille (mit einem steuerbaren Einkommen über einer Million Franken) bezahlt rund 40 Prozent der Bundessteuer. Und zweitens ist die Anzahl der Spitzenverdiener heute sicher höher als bei der Einführung der AHV, also steuern diese auch mehr dazu bei.
Verstärkt eine 13. AHV-Rente die Umverteilung?
Auf jeden Fall. Eine 13. AHV-Rente kostet Milliarden, irgendwoher muss dieses Geld kommen, der Initiativtext lässt diese Frage offen.
Naheliegend sind drei Varianten:
- Über höhere Lohnabzüge,
- Über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
- Über eine Kombination davon
Variante 1 vergrössert die Umverteilung von den heute Erwerbstätigen zu den Rentnern, Variante 2 hingegen belastet auch Rentnerinnen, Geringverdiener am meisten: Sie geben einen viel grösseren Anteil ihres Einkommens für Konsumgüter aus, eine höhere Mehrwertsteuer trifft sie härter als Vermögende.
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Welche Rolle spielen die Ergänzungsleistungen dabei?
Ergänzungsleistungen (EL) sind die Sozialhilfe für Pensionierte, wenn die Renten aus AHV und Pensionskasse nicht zum Leben reichen. EL werden voll aus der Staatskasse finanziert, also von den Steuern. Darum gibt es hier eine Umverteilung von den «reichen» Steuerzahlenden zu den «armen» EL-Bezügerinnen und -Bezügern. Rund 10 Prozent der 65-jährigen AHV-Rentnerinnen und -Rentner benötigen EL. Anders gesagt: 90 Prozent der Pensionierten kommen mindestens am Anfang ohne EL über die Runden – sie alle würden aber eine 13. AHV-Rente erhalten, unabhängig davon, ob sie finanziell darauf angewiesen sind oder nicht.
Wie viel länger müsste man arbeiten, um die 13. AHV-Rente zu finanzieren?
Wenn alle AHV-Bezügerinnen und -Bezüger neu 13 statt wie bisher 12 Monatsrenten ausbezahlt erhalten, dann entspricht dies einer Erhöhung um 8,3 Prozent. Im Jahr 2026 kostet dies etwas mehr als 4 Milliarden Franken, im Jahr 2030 (wegen der steigenden Anzahl Rentner) bereits etwa 5 Milliarden. Grob gerechnet, müsste das Rentenalter um zwei Jahre erhöht werden, um dies zu finanzieren, also auf 67 Jahre für Frauen und Männer. In der AHV-Rechnung klafft aber ab 2030 auch ohne Rentenerhöhung ein Loch. Um es zu stopfen, braucht es nach Berechnungen des Bundes eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3,4 Prozentpunkte oder eine Erhöhung der Lohnabzüge um 2,6 Prozentpunkte – oder eine Erhöhung des Rentenalters um drei bis vier Jahre.
Was bringt ein höheres Rentenalter im Vergleich zu höheren Beiträgen oder Steuern? Welcher Hebel bewirkt am meisten?
Ein höheres Rentenalter wirkt sich doppelt positiv auf die AHV-Rechnung aus: weil man länger Beiträge zahlt, und weil man weniger lange AHV bezieht – sofern alle auch wirklich länger arbeiten. Ein höheres Rentenalter ist aber unpopulär. Die Ökonomen der UBS haben stattdessen berechnet, welchen Einfluss andere Faktoren auf das Loch in der AHV haben. Fazit: Die Höhe der Migration beeinflusst die AHV kaum, die Geburtenrate nur mässig, die Lebenserwartung hingegen schon. Steigt die durchschnittliche Lebenserwartung für Schweizer Männer von aktuell 82 Jahren bis im Jahr 2070 auf 91 Jahre, ist das AHV-Loch laut der Studie zweieinhalb Mal so gross, wie wenn die Lebenserwartung «nur» auf 87 Jahre steigt.
Pensionskassen
Welche Rolle spielt hier Solidarität?
Sie sorgt für gewollte Umverteilungen (siehe Infografik). So gibt es – finanziert von allen Versicherten – Invaliden- und Kinderrenten sowie Leistungen für Hinterbliebene. Ausserdem werden die Renten der Frauen mit dem gleichen Umwandlungssatz wie für die Männer berechnet, obwohl er wegen der höheren Lebenserwartung tiefer sein müsste.
Jahrelang war die Umverteilung von Aktiven zu Rentnern ein Thema. Wie sieht es heute aus?
Besser. Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge publiziert jährlich Schätzungen zur Umverteilung zwischen Aktiven und Rentnerinnen. Von 2014 bis 2022 zahlten die Angestellten insgesamt 45 Milliarden Franken an die Pensionierten. Und zwar, indem die Pensionskassen im Verhältnis mehr Erträge für die Rentner verwendeten, als sie den Aktiven per Zins gutschrieben. Weil die Kassen inzwischen aber ihre Parameter angepasst haben und etwa für Neurentnerinnen die Umwandlungssätze reduzieren, hat sich die Umverteilung abgeschwächt. 2019 erhielten die Pensionierten noch 7,2 Milliarden mehr, als rechnerisch korrekt wäre, 2021 waren es dagegen nur 200 Millionen. Und 2022 profitierten sogar die Aktiven, ebenfalls mit 200 Millionen.
Wie hoch sind die Umwandlungssätze der heutigen Pensionierten?
Laut dem Pensionskassenverband Asip reicht die Spanne von 4,1 bis 7,2. Das bedeutet, dass jemand mit dem Umwandlungssatz 4,1 pro 100’000 Franken Vorsorgekapital 4100 Franken Rente im Jahr erhält, die Person mit dem hohen Satz aber 7200 Franken. Beide können in derselben PK sein – aber sie sind zu unterschiedlichen Zeiten in Rente gegangen. Da im BVG-Obligatorium (Löhne bis rund 88’000 Franken) ein gesetzliches Minimum von 6,8 gilt, können die Kassen den Umwandlungssatz nur für höhere Einkommen senken. Davon profitieren indirekt jene mit tiefen Löhnen, denen eine rechnerisch zu hohe Rente garantiert wird.
Wie hoch sind die Zinsgarantien bei den Umwandlungssätzen?
Jedem Umwandlungssatz entspricht eine lebenslange Zinsgarantie, die den jeweiligen Pensionierten gegeben wird. Beim Umwandlungssatz 4,1 beträgt sie weniger als 1 Prozent, bei 7,2 liegt sie bei über 5 Prozent. Dieser Zins wird mit sicheren Anlagen aber schon lange nicht mehr erreicht. Eine zu hohe Zinsgarantie zwingt die PK, höhere Anlagerisiken einzugehen, sie wird vor allem von Aktiven mit hohen Altersguthaben finanziert. Diese werden schlechter verzinst als sonst möglich.
Gibt es eine Umverteilung wegen des Mindestzinses?
Ja, denn der Bundesrat legt ihn im Herbst des Vorjahres fest – für 2024 sind 1,25 Prozent garantiert. Ist die effektive Rendite Ende 2024 aber tiefer als 1,25 Prozent, profitieren die Aktiven. Ihre Altersgutschriften sind dann rechnerisch zu hoch. Das zahlen aber nicht die Pensionierten. Die Umverteilung geschieht indirekt zu Lasten der jüngeren und künftigen Versicherten, da so der Deckungsgrad der PK sinkt.
Wird zwischen den Pensionskassen umverteilt?
Relativ wenig. Es gibt Zuschüsse für Kassen, deren Versichertenbestand besonders alt ist. Dafür zahlen alle PK Beiträge an den Sicherheitsfonds BVG. Im Jahr 2021 wurden 185 Millionen Franken verteilt.
Einige Pensionskassen haben Modelle, die die Umverteilung nachträglich ausgleichen sollen. Schaffen sie das?
Teilweise. Bei diesen Modellen werden zum Beispiel die über mehrere Jahre addierten Zinssätze für die Aktiven und die Zinsgarantien für die einzelnen Rentnerjahrgänge miteinander verglichen. Zeigt sich dann, dass Rentner mit einem sehr tiefen Umwandlungssatz gegenüber anderen Pensionierten und den Aktiven benachteiligt sind, erhalten sie einen Zuschlag, sofern es die Finanzlage der Kasse erlaubt. Tendenziell gilt: Je länger ein Jahrgang schon in Rente ist, desto mehr hat er von der Umverteilung profitiert – und desto unwahrscheinlicher ist es, dass man diese mit Zuschlägen für andere Jahrgänge noch ausgleichen kann.
Säule 3a
Aber in der Säule 3a gibt es keine Umverteilung, oder?
Auf den ersten Blick nicht, denn man spart dort nur für sich. Aber: Man darf die Einzahlungen vom steuerbaren Einkommen abziehen. Und je höher dieses und damit der Steuersatz ist, umso mehr rentiert sich die 3. Säule – man spart mehr Steuern. Da die Steuerausfälle zulasten der Allgemeinheit gehen, kann man sie als Umverteilung zu den Wohlhabenden betrachten. Theoretisch wäre auch das umgekehrte Modell denkbar: Der Staat könnte statt Abzügen fixe Zuschüsse zur privaten Altersvorsorge vorsehen – ähnlich wie bei den Familienzulagen. Dort erhalten alle gleich viel, müssen es aber versteuern. Und zwar je höher, desto mehr sie verdienen.