Journalist Frank Garbely erzählt
Was macht die Mafia im Wallis?

Der Journalist Frank Garbely (77) hat ein Buch über die ’Ndrangheta im Wallis und einen angeblichen Mafiapaten aus Brig verfasst. Hier erzählt er, wie es dazu kam.
Publiziert: 13.04.2025 um 15:15 Uhr
|
Aktualisiert: 13.04.2025 um 16:49 Uhr
Frank Garbely: «Es findet sich kein Beweis für die ihm vorgeworfenen Morde.»
Foto: Boris Müller

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
peter_johannes_meier.jpeg
Peter Johannes Meier
Beobachter

2006 geschah etwas Aufsehenerregendes, das auch mich aufrüttelte. Die Polizei verhaftete den damals 53-jährigen Fortunato Maesano in Brig VS. Er sollte zwei Rachemorde begangen und mit Waffen gehandelt haben. Mehr noch: Der mit einer Schweizerin verheiratete Italiener soll eine Schlüsselfigur eines kalabrischen ’Ndrangheta-Clans gewesen sein. Das warfen ihm italienische Strafverfolger vor.

Ein Mafiapate vor meiner Haustür? Ich begann natürlich sofort zu recherchieren. Ich beschäftigte mich seit Jahrzehnten mit organisierter Kriminalität. Nicht als Hilfssheriff der Strafverfolger, sondern als Journalist, der genau hinschauen und auch mit Tätern und Opfern sprechen wollte. Das tat ich auch damals. In Brig traf ich Maesanos verzweifelte Ehefrau und ihre Kinder. Dann besuchte ich seine Verwandten in Kalabrien. Ihn selber lernte ich später ebenfalls in Italien kennen, als er nach seiner Gefängnisstrafe unter Hausarrest stand.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

Probieren Sie die Mobile-App aus!

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

Probieren Sie die Mobile-App aus!

Die Reise nach Kalabrien erschütterte mich. Die Menschen in der Region an der Stiefelspitze Italiens litten unter brutalen Auseinandersetzungen verfeindeter Clans. In den sechs Jahren zuvor hatten diese 19 Rachemorde verübt. Fortunato Maesanos Schwester lebt noch heute mit einer Kugel im Kopf, die nicht entfernt werden konnte.

Die ’Ndrangheta breitete sich über Jahrzehnte von Süditalien in den Norden aus. Heute kontrolliert sie den Kokainhandel in Europa. Das Wallis spielte wegen seiner Nähe zur Grenzstadt Domodossola eine besondere Rolle. Anfang der 1990er-Jahre unterwanderte die ’Ndrangheta dort mehrere Gemeindeverwaltungen. Ins Wallis war es ein Katzensprung.

Ein einfacher Mann, der nicht einmal schreiben konnte

Je länger ich mich mit Fortunato Maesano beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass er nicht der Mafiapate sein konnte, als der er präsentiert wurde. Natürlich studierte ich auch all die Akten aus Italien, sprach mit Mafiaexperten und Staatsanwälten. Fortunato ist ein einfacher Mann, der vor über 50 Jahren ins Wallis kam, eine Schweizerin heiratete und als Flachmaler arbeitete. Er konnte nicht einmal schreiben, das lernte er erst im Gefängnis.

Wäre er ein Mafioso, hätte er längst Schweizer Staatsbürger werden und seine Auslieferung verhindern können. Er sah aber keinen Grund dafür, wollte nichts mit der ’Ndrangheta zu tun haben. Er ahnte nicht, was auf ihn zukommen sollte. Denn als Maesano hatte er das Pech, in eine Familie hineingeboren worden zu sein, die mit der ’Ndrangheta verstrickt war.

Frank Garbely: «Das Leben unschuldiger Menschen wurde zerstört.»
Foto: Boris Müller

In den Akten in Reggio Calabria findet sich kein Beweis für die ihm vorgeworfenen Morde und den Waffenhandel. Die Anschuldigungen, die seine Auslieferung begründeten, zerbröselten vor Gericht. Die Mordvorwürfe wurden fallengelassen, weil Maesano zum Tatzeitpunkt nachweislich im Wallis war und an der Renovierung eines Chalets arbeitete.

Die Schweiz verbietet ihm die Wiedereinreise

Trotzdem verbrachte er acht Jahre in italienischen Gefängnissen – wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. Heute ist Fortunato Maesano frei, körperlich und seelisch aber ein gebrochener Mensch. Dringend nötige medizinische Behandlungen wurden ihm in der Haft verwehrt.

Obwohl italienische Behörden keine Gefahr mehr sehen, verbietet ihm die Schweiz bis heute die Rückreise ins Wallis zu seiner Frau.

Es erschüttert mich, wie hier das Leben unschuldiger Menschen zerstört wurde. Wie jemand zum Mafiapaten stilisiert wird, während wahre ’Ndrangheta-Machenschaften in der Schweiz kaum aufgedeckt werden. Da geht es um komplexe Geldwäscherei-Aktionen. Den Zuschlag für grosse, staatliche Bauaufträge zum Beispiel oder Termingeschäfte an der Börse. Dafür braucht die ’Ndrangheta kompetente Helfer in der Schweiz, keinen Flachmaler, der nicht mal schreiben konnte.

Aber kennen Sie einen Treuhänder, einen Anwalt, einen Banker oder Beamten, der wegen Machenschaften der ’Ndrangheta bestraft wurde? Ich nicht.

Quellen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?