Mängel des helvetischen Systems
So agiert die Mafia in der Schweiz

Lücken im Schweizer System bieten dem organisierten Verbrechen Einfallstore: finanzielle Grauzonen, unzureichende Kontrollen und eine unterbesetzte Polizei. Blick hat mit Experten gesprochen.
Publiziert: 31.03.2025 um 18:46 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2025 um 07:16 Uhr
Verhaftungen von Mafiosi finden auch in der Schweiz statt, wo einige Kriminelle vor der italienischen Justiz Zuflucht suchen (mit KI generiertes Illustrationsbild).
Foto: Midjourney
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Camille Krafft und Myret Zaki
L'Illustré

Blutrünstige Mafia-Abrechnungen kommen meist in Filmen vor, nicht aber in der Schweiz. Dennoch ist die Präsenz des organisierten Verbrechens hierzulande eine Realität. «Das Ziel der Mafia ist es nicht, zu töten und zu morden, sondern die Wirtschaft und das Finanzsystem zu infiltrieren», fasst Frank Garbely, Enthüllungsjournalist und Autor von «Der Mafiaboss von Brig», die Situation zusammen. Auch Investigativ-Journalistin Madeleine Rossi weist darauf hin, dass die kalabrische ’Ndrangheta in verschiedenen Formen in der ganzen Schweiz präsent ist.

Wo finden sich Aktivitäten der Mafia?

Erst am 25. März wurde ein Schlag der italienischen Justiz gegen die ’Ndrangheta bekannt, der die Verhaftung von 17 Personen und die Beschlagnahmung von Vermögenswerten im Wert von bis zu 50 Millionen Euro beinhaltete. Dabei wurden auch Vermögenswerte, Konten und Autos in der Schweiz beschlagnahmt.

Vor allem im Gast- und im Baugewerbe breitet sich die Mafia aus. Das organisierte Verbrechen nutzt finanzielle Schwierigkeiten von Gastronomen aus, um Betriebe in die Hände zu bekommen und Geld zu waschen. «Es gibt viele Restaurants oder Hotels, die nicht rentabel sind und von kleinen Firmen aufgekauft werden», erzählt Frank Garbely.

Betroffen ist auch das Baugewerbe. Madeleine Rossi berichtete über den Einfluss der ’Ndrangheta auf die Baustelle des Monte-Ceneri-Basistunnels im Tessin. Mitten in der Ausschreibung wurde dem römischen Konzern, der den Zuschlag für den Rohbau dank unschlagbarer Preise erhalten hatte, das Anti-Mafia-Zertifikat in Italien entzogen, Führungskräfte wurden bei einer Anti-Mafia-Operation ins Visier genommen.

Ein anderes am Ceneri tätiges Unternehmen, GCF, war kritisiert worden, weil es Arbeitern auf der Baustelle schreckliche Arbeitsbedingungen aufgezwungen hatte. GCF steht derzeit in Varese (Italien) wegen mutmasslicher mafiöser Infiltration vor Gericht.

Wie infiltriert die Mafia Firmen?

Frank Garbely führt den Fall eines Geschäftsmannes an, der in Italien als mutmassliches Mitglied der ’Ndrangheta registriert war und in den 90er-Jahren in Visp seine Firma gründete. Laut dem damaligen Handelsregister betrug die Einlage 100’000 Franken. Garbely spricht von einer «Dame aus Domodossola», die 1994 zusätzlich 400’000 Franken einbrachte, gefolgt von weiteren Einlagen, die das Kapital auf 700’000 Franken erhöhten. «Das Geld kam von einem Unternehmer, der eng mit der Mafia verbunden war», so Garbely.

Ein von Blick kontaktierter Anwalt kennt noch eine weitere Masche. «Darlehen, die an Dritte vergeben werden, sind nur in der Bilanz sichtbar und nicht öffentlich. Die Herkunft eines Kredits wird weniger genau geprüft als die Herkunft von Kapital.»

Schaut die Politik zu wenig hin?

Trotz dieser bekannten Fälle gibt es relativ wenig Aktivitäten in Bern. In den letzten Jahren wurden einige parlamentarische Vorstösse eingereicht, darunter einer von Ständerat Fabio Regazzi (62, TI). «Als Restaurantbesitzer weiss ich sehr gut, dass bestimmte Lokale dazu benutzt werden, Mafia-Geld zu waschen», sagt Regazzi. 

Der Bundesrat zeigte sich kürzlich ablehnend gegenüber einem Anti-Mafia-Zertifikat für öffentliche Aufträge. Der italienische Staat nutzt dieses Zertifikat. Es bestätigt, dass eine Firma keine Verbindungen zur Mafia hat.

Welche Schlupflöcher nutzen Mafiosi?

Regulatorische Schwächen zeigen sich in der begrenzten Wirksamkeit des Anti-Geldwäsche-Gesetzes. Obwohl es 1997 eingeführt wurde, gingen die Mafia-Aktivitäten weiter. Eine zentrale Rolle spielen Rechtsanwälte und Treuhänder. Sie sind vom Geldwäschereigesetz ausgenommen und müssen die Herkunft der Kundengelder nicht so genau überprüfen wie Banken.

Was macht die Polizei?

Zuletzt warnte die Bundespolizei Fedpol, dass sie nicht über genügend Mittel verfüge, um gegen die Mafia zu ermitteln. Bundesrat Beat Jans (60) hat das Fedpol Ende 2024 beauftragt, «eine Strategie zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens in der Schweiz» zu erarbeiten. Laut Frank Garbely geben die Behörden in diesem Bereich oft Erklärungen ab, ohne konkrete Auswirkungen. «Wenn ein neuer Bundesanwalt sein Amt antritt, kündigt er an, dass er die Mafia in den Vordergrund stellen wird. Und dann passiert nichts», sagt er. 

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