Als Mitgründer der Zuger Private-Equity-Firma Partners Group stieg Urs Wietlisbach (63) in die Schweizer Finanzelite auf. Mit seinen Kollegen Fredy Gantner (56) und Marcel Erni (58) hat er die Vereinigung Kompass/Europa ins Leben gerufen, mit der er gegen eine institutionelle Anbindung an Brüssel kämpft.
Herr Wietlisbach, würden Sie in die Europäische Union noch investieren, wenn sie ein Unternehmen wäre?
Urs Wietlisbach: Eines vorweg: Wir investieren viel in Unternehmen im europäischen Raum. Aber Ihre Frage zielt auf meine Beurteilung der Institution EU ab. Da habe ich Vorbehalte. Die EU krankt in vielen Punkten. Ich glaube nicht, dass dort noch viel zu machen ist. Die regulatorische Last der EU ist erdrückend.
So pessimistisch?
Wenn ein Gebilde stark zentralisiert ist, wird es bürokratisch. Und es ist extrem schwierig, aus diesem Prozess wieder herauszukommen. Das ist die ganz grosse Stärke der Schweiz, die eben dezentral-föderalistisch funktioniert. In diesem Punkt tickt die EU komplett anders. Das gilt auch für die einzelnen Mitgliedstaaten, die meisten davon werden sehr zentralistisch und bürokratisch geführt, vor allem die grossen wie Frankreich oder Deutschland, aber auch die östlichen Staaten wie Ungarn und Polen. Ich bin oft im Ausland unterwegs und werde jeweils von vielen ganz neidisch gefragt, wieso es uns so gut geht.
Was antworten Sie dann?
Wir sind nicht gescheiter als die Deutschen. Wir arbeiten auch nicht wesentlich mehr. Wir haben nicht mehr Bodenschätze. Was uns unterscheidet: Wir haben das bessere System. Das ist das Einzige.
Gleichzeitig bietet die EU einen 220-Millionen-Einwohner-Binnenmarkt um uns herum. Im März hat der Bundesrat ein Verhandlungsmandat verabschiedet, um die Schweiz dort institutionell einzubinden. Als Unternehmer müssten Sie das grösste Interesse daran haben, dass wir mit diesem Wirtschaftsraum verzahnt sind.
Wir sind schon verzahnt. Die EU ist für uns ein wichtiger Partner, sie verliert aber im internationalen Vergleich immer mehr den Anschluss. Andere Handelsbeziehungen – zum Beispiel mit den USA oder dem asiatischen Raum – sind viel dynamischer. Da spielt die Musik. Man darf darüber hinaus vor Marktgrösse nicht die Augen verschliessen. Die EU reguliert auch viel, etwa fünfmal mehr wie wir. Nicht alles davon macht für uns Sinn. Wir tun gut daran, aussenpolitisch unabhängig zu bleiben.
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Der Bundesrat sagt: Wenn wir uns dort nicht institutionell integrieren, sind wir aussen vor.
Man hat schon nach dem EWR-Nein vorausgesagt, die Schweiz werde absteigen – stattdessen sind wir gegenüber den Europäern noch besser geworden. Die USA haben viel höheres Export-Wachstum in die EU als wir, obwohl sie nicht einmal die Bilateralen haben, wie auch Südkorea und China nicht. Ein Freihandelsabkommen genügt. Wir müssen Handel mit der ganzen Welt betreiben können. Uns derart einseitig an die EU zu binden, wäre ein Fehler.
Und jetzt steigen Sie in die Hosen gegen das neue Verhandlungspaket mit Brüssel.
Das Verhandlungsmandat ist alter Wein in neuen Schläuchen. Die Grundproblematik ist immer noch die gleiche wie beim Rahmenabkommen I. Und es ist auch logisch, dass die EU das anstrebt. Wenn ich die EU wäre, würde ich auch wollen, dass wir ihre Gesetzgebung übernehmen. Sie hat zentralistische Tendenzen, sie ist bürokratisch. Aber: Unsere direkte Demokratie wird dadurch ausgehöhlt. Und seit wann muss ein Staat, damit er ein wenig Handel machen darf, seine souveräne Gesetzgebung aufgeben? Das ist extrem gefährlich. Ich staune, dass die Kantone, die einen Teil ihrer Souveränität verlieren würden, so was unterstützen. Viele der Politiker, die das Abkommen unterstützen, haben die Unterlagen wohl nicht gelesen.
Sie haben null Verständnis, dass man aus Sicht des Wirtschaftsstandorts für diese Annäherung ist?
Ich selber war zu Beginn auch für das Rahmenabkommen. Auch wenn ich damals in eine SVP-Familie hineinheiratete (lacht). Dann kam Marcel Erni auf mich zu …
Ihr Mitgründer der Partners Group.
Er liest unglaublich viel und hat mir den Text des damaligen Abkommens gezeigt. Worauf ich mir die Mühe genommen habe, es durchzulesen. Und ich stellte fest: Das kann es einfach nicht sein.
Allerdings haben die Unterhändler gegenüber dem Rahmenabkommen diverse Verhandlungserfolge vermeldet.
Es klingt alles sehr gut, doch hat man sich in Bern einfach eine eigene Realität geschaffen. Und wir dürfen uns nicht mit Nebenschauplätzen befassen, wir müssen uns diese Grundsatzfrage stellen: Sind wir gewillt, unser Erfolgsmodell über Bord zu werfen, nur damit wir mit den anderen mitmachen können? Dabei können wir sowieso mitmachen.
Das sieht etwa die Medtech-Branche anders. Die klagten über technische Handelshemmnisse nach dem Aus des Rahmenabkommens.
Das ist ein gutes Beispiel. Dort kam der grosse Aufschrei, vor allem von FDP-Nationalrat Simon Michel und seiner Firma Ypsomed. Fakt ist: Herr Michels Ypsomed-Aktien sind seit dem Aus des Rahmenabkommens um rund hundert Prozent gestiegen. Und die Medtech-Industrie hat in dem Zeitraum 4500 Arbeitsplätze geschaffen. Der Branche geht es offenbar besser als vorher.
Auch die Wissenschaft widerspricht Ihnen. Die Hochschulen befürchten ein Abrutschen in die zweite Liga, wenn wir nicht bei Horizon dabei sind.
Erstens: Die Schweiz gibt den Hochschulen sieben Milliarden Franken für Forschung. Horizon würde pro Jahr 300 Millionen bringen. Zweitens: Es wurde gesagt, dass die Professoren nicht mehr hierherkommen würden. Seit wir aus dem Horizon draussen sind, haben alleine ETH und EPFL 21 neue EU-Professoren abgeheuert. Diese Hochschulen spielen in der ersten Liga. Können Sie eine Uni in der EU nennen, die bei den Top 40 mitspielt?
Einrichtungen wie das Max-Planck-Institut beispielsweise sind von Weltrang.
Das Max-Planck-Institut ist genau gleich interessiert an der Zusammenarbeit mit dem Paul-Scherrer-Institut wie umgekehrt. Zu erwähnen sind auch hochgeschätzte Orte wie das Cern. Ausserdem kommen 40 Prozent der Studierenden in der Schweiz aus dem Ausland. Das sind die Fakten.
Fakt ist auch, dass die Stimmbevölkerung bislang bei Europafragen mehrheitlich dem Bundesrat gefolgt ist. Und FDP und Mitte halten sich bislang mit Kritik zum neuen Verhandlungsmandat zurück.
Ich verstehe nicht, wieso die FDP nicht klar Stellung gegen die Preisgabe unseres Erfolgsmodells und gegen diese Bürokratie bezieht. Der Grundsatz des Freisinns ist doch das Freisein. Gerade die FDP hätte im EU-Dossier die Chance, das Erfolgsmodell einer freiheitlichen und liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht nur zu verteidigen, sondern auch in die Zukunft zu führen.
Ihr Kollege Alfred Gantner hat im Dezember im SonntagsBlick eine Initiative angekündigt, die Sie mit Ihrer Organisation Kompass/Europa lancieren werden. Wie weit steht das Projekt?
Wir arbeiten unter Hochdruck an einer Volksinitiative. Mit dieser Initiative soll in der Bundesverfassung verankert werden, dass wir die Schweizer Rechtsprechung – als Kernkompetenz unseres Staates – nicht ins Ausland vergeben wollen. Darum geht es. Wir sind ein souveräner Staat. Es kann nicht sein, dass ein Bundesrat die Schweizer Gesetzgebung fremdvergibt – ob dynamisch oder nicht. Wir wollen nicht, dass wir uns in der Wirtschaftsaussenpolitik anderen Gesetzen unterwerfen, was die Standortqualität der Schweiz total untergraben würde.
Die SVP hat ihre Nachhaltigkeits-Initiative lanciert, die Operation Libero ihre Europa-Initiative. Wann ist Ihr Anliegen so weit? Gibt es bereits einen Initiativtext?
Wir sind zusammen mit unseren Spezialisten in den letzten Zügen. Im Herbst werden wir so weit sein. Im Endeffekt werden wir als Schweizer Volk entscheiden können, ob wir die Rechtsprechung, die direkte Demokratie und den Föderalismus bei uns behalten oder all das nach an das bürokratiehungrige Brüssel auslagern wollen. Wir setzten uns mit Kraft für den Erhalt unserer Standortvorteile ein.
1961 geboren, begann Urs Wietlisbach seine Karriere mit einem HSG-Studium, das er mit dem Master Betriebswirtschaft abschloss. Es folgten Stationen bei der Credit Suisse und als Broker bei der Investmentbank Goldman Sachs, ehe er 1996 mit Alfred Gantner und Marcel Erni die Partners Group gründete. Neben weiteren Tätigkeiten als Investor hat Wietlisbach mit seiner Frau Simone die Ursimone Wietlisbach Stiftung gegründet, die sich philanthropischen Projekten im Bereich Umweltschutz, Sport und Gesundheit widmet.
1961 geboren, begann Urs Wietlisbach seine Karriere mit einem HSG-Studium, das er mit dem Master Betriebswirtschaft abschloss. Es folgten Stationen bei der Credit Suisse und als Broker bei der Investmentbank Goldman Sachs, ehe er 1996 mit Alfred Gantner und Marcel Erni die Partners Group gründete. Neben weiteren Tätigkeiten als Investor hat Wietlisbach mit seiner Frau Simone die Ursimone Wietlisbach Stiftung gegründet, die sich philanthropischen Projekten im Bereich Umweltschutz, Sport und Gesundheit widmet.
Sie haben zweifellos genügend Mittel für einen Abstimmungskampf zur Verfügung. Aber Ihnen fehlt die Power einer Volkspartei.
Wir haben eine sehr grosse Gefolgschaft. Kompass/Europa zählt über 1500 Mitglieder. Und es werden immer mehr.
Steht Ihr Komitee bereits?
Wir sind noch daran, das Komitee aufzubauen. Dabei sein wird sicher unser Steuerungsausschuss, in dem 18 Persönlichkeiten drin sind.
Soll das Projekt alleine den Kompass/Europa-Stempel tragen oder suchen Sie Partner in der Politik? Zum Beispiel bei der SVP?
Wenn sich Parteien mit unserem Initiativtext anfreunden können, sind wir offen. Die Operation Libero zum Beispiel hat die Grünen als Partner gefunden. Mit der SVP gibt es zum Teil gemeinsame Interessen. Etwa, dass man sich gegen die fremde Rechtsstaatlichkeit wehrt. Aber wir sind für die Bilateralen, wir sollten so viele Bilaterale wie möglich abschliessen. Dort unterscheiden wir uns von den SVP. Ich bin gegen das Einigeln. Und vielleicht wird der Freisinn noch erwachen und will wieder freisinnig sein.