Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sollte wissen, auf welcher Seite er stehen muss
Der Bremser, den niemand stoppen kann

Das war mal was Neues von Viktor Orban: Mit einem Trick hat er die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Ukraine ermöglicht, ohne selber zustimmen zu müssen. Wie lange geht das Doppelspiel des ungarischen Ministerpräsidenten noch? Eine Analyse.
Publiziert: 16.12.2023 um 19:59 Uhr
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Aktualisiert: 16.12.2023 um 20:12 Uhr
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Viktor Orban betreibt innerhalb der EU eine eigenwillige Politik.
Foto: Getty Images
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Guido FelderAusland-Redaktor

Etwas beherrscht Viktor Orban bestens: Er droht, trickst und erpresst, um an sein Ziel zu gelangen. Das jüngste Beispiel eines doch sehr kreativen Tricks ist der Ausstand bei der Abstimmung des EU-Gipfels zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen der Ukraine. Der ungarische Ministerpräsident, der sich als Einziger dagegen gewehrt hatte, verliess am Donnerstag kurzfristig den Saal, um den andern Staats- und Regierungschefs das erforderliche einstimmige Votum zu ermöglichen und sein Gesicht nicht zu verlieren. 

Damit ist der Weg für Brüssel frei, mit Kiew offiziell in Kontakt zu treten. Eine mögliche Aufnahme in die EU liegt aber noch in weiter Ferne. Das weiss Viktor Orban. 

Ungarn in Abhängigkeit

Ungarns Regierungschef unternimmt alles, um Moskau zu gefallen. Der Grund für den guten Draht liegt angeblich in der geografischen Nähe zu Russland. Im Blick-Interview sagte Peter Szijjarto (45), ungarischer Aussenminister und Orban-Zögling, Ende November: «Da wir in unmittelbarer Nachbarschaft leben, ist für uns ein praktisches und respektvolles Verhältnis ein Muss.»

Allerdings liegen die beiden Länder rund 800 Kilometer voneinander entfernt, getrennt durch die Ukraine. Andere, unmittelbar an Russland angrenzende Staaten wie Estland, Lettland und Finnland, haben sich getraut und es auch geschafft, sich vom Einfluss Moskaus loszureissen und die Gaszufuhr aus Russland zu kappen. Sie wissen: In der EU und in der Nato haben sie starke und verlässliche Partner.

Es ist eben nicht nur die geografische Nähe zu Russland, die Budapest an Moskau bindet. Es ist auch die wirtschaftliche und ideologische Nähe. Eben sind neue Gaslieferverträge abgeschlossen worden. Ungarn ist sogar bereit, die Rechnungen, wie vom Lieferanten gewünscht, artig in Rubel zu bezahlen. 

Blockade als Pfand

Ungarns Abhängigkeit vom Kreml kommt nicht von ungefähr. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte das Land die Möglichkeit, sich zu einer modernen Demokratie zu entwickeln. «Fortschritt durch Kompromiss» lautete der Slogan, als Ungarn 2004 der EU beitrat. Mit der erneuten Wahl Orbans an die Macht wurde diese Entwicklung ab 2010 endgültig gestoppt. Er begann, Einfluss auf Medien, Wirtschaft und Wissenschaft auszuüben. Immer mehr setzte Ungarn auf günstiges Gas aus dem Osten. Die Korruption, die Orban der Ukraine vorwirft, grassiert in seinem eigenen Land auf hohem Niveau. 

Auch wenn Ungarn mit rund 10 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nur einen kleinen Teil der EU-Bevölkerung von 448 Millionen ausmacht, kann Orban per Veto Prozesse in Brüssel zum Erliegen bringen. Kurz nach dem Ausstand in der Frage um Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine stoppte er schon wieder Milliardenzahlungen an das kriegsgeplagte Land. Die Blockade ist sein Pfand: Ein Ja gibts erst, wenn Brüssel sämtliche auf Eis gelegte Milliardenzahlungen an Budapest lockermacht. 

Trump beflügelt Orban

Bisher konnte Orban im Streit mit Brüssel auf die Unterstützung der national-konservativen PiS in Polen zählen. Die ist nach der Wahlniederlage zwar weg, aber es könnten neue Verbündete dazukommen. Endre Borbáth, Ungarn-Experte an der Freien Universität Berlin, sagt zu Blick: «Vieles hängt von den Europawahlen im nächsten Jahr ab. Sollte es zu einem Durchbruch der Rechten kommen, wird Orban davon profitieren.»

Doch das ist nicht alles. In einem Jahr wählen auch die Amerikaner. EU-Kritiker Donald Trump (77) hat beste Chancen. «Falls Trump gewinnt, wird Orban einen mächtigen transatlantischen Verbündeten finden», meint Borbáth. 

Orban schlängelt sich geschickt zwischen den beiden Blöcken im Westen und Osten hin und her. Hier winkt ein verlässlicher Partner, der für eine freie, demokratische Welt einsteht und Milliardenzahlungen bereithält, da ist Moskau, das mit günstigem Gas lockt und seine Panzer Richtung Europa fahren lässt. Kommen Orban da keine Erinnerungen hoch?

Auf welcher Seite steht Orban? Er sollte es doch wissen.

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