Eine hochrangige Delegation aus Ungarn hat vergangene Woche die Schweiz besucht. Ministerpräsident Viktor Orban (60) sowie drei Minister reisten am Dienstag zum Bundesrat nach Bern, bevor der in der EU umstrittene Regierungschef auf Einladung der «Weltwoche» in Zürich eine Rede hielt. Darin kritisierte er den progressiv-liberalen Einfluss der USA auf die christlichen, konservativen Werte Europas und riet der Schweiz von einem EU-Beitritt ab.
Blick traf anschliessend den ungarischen Aussenminister Peter Szijjarto (45), der als Zögling Orbans gilt und dessen national-konservativer Partei Fidesz angehört, zum Interview. Zentrales Thema: die gefährliche Nähe zum Kreml sowie die aufblühenden Beziehungen zur Schweiz.
Blick: Herr Minister Szijjarto, Ungarn gilt innerhalb der EU als Sorgenkind. Was läuft aus Ihrer Sicht in Brüssel falsch?
Peter Szijjarto: Das grösste Problem besteht darin, dass es immer weniger Platz für rationale Dialoge gibt. Besonders im Schatten des Kriegs sind die Debatten überhitzt, überideologisiert und überpolitisiert. Bringt man ein Thema abseits des allgemeinen Mainstreams zur Sprache, gilt man entweder als Spion Putins, als Verbündeter der Russen oder als Propagandist des Kremls.
Ungarns Aussenminister Peter Szijjarto (45) ist ein politischer Senkrechtstarter und neben Ministerpräsident Viktor Orban (60) eines der wichtigsten Aushängeschilder der nationalkonservativen Partei Fidesz. Schon mit 20 Jahren wurde er in Györ in die Stadtversammlung gewählt, mit 24 war er jüngstes Mitglied im nationalen Parlament. Orban machte ihn 2010 zu seinem Sprecher und ernannte ihn 2014 zum Aussenminister. Szijjarto, der aus einer wohlhabenden Familie stammt, studierte in Budapest Internationale Beziehungen und Sportmanagement. Er ist mit einer Lehrerin verheiratet und Vater von zwei Buben.
Ungarns Aussenminister Peter Szijjarto (45) ist ein politischer Senkrechtstarter und neben Ministerpräsident Viktor Orban (60) eines der wichtigsten Aushängeschilder der nationalkonservativen Partei Fidesz. Schon mit 20 Jahren wurde er in Györ in die Stadtversammlung gewählt, mit 24 war er jüngstes Mitglied im nationalen Parlament. Orban machte ihn 2010 zu seinem Sprecher und ernannte ihn 2014 zum Aussenminister. Szijjarto, der aus einer wohlhabenden Familie stammt, studierte in Budapest Internationale Beziehungen und Sportmanagement. Er ist mit einer Lehrerin verheiratet und Vater von zwei Buben.
Ungarn unterhält aber tatsächlich als einziges EU-Land den Kontakt zu Russland offiziell aufrecht. EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova nannte den Handschlag zwischen Orban und Putin einen «Akt des Hochverrats». Wie gut ist Ihr Verhältnis zu Putin?
Wir haben uns immer um eine rationale Zusammenarbeit mit den Russen bemüht. Der Grund liegt darin, dass für uns Russland regionale Realität ist. Die Geschichte hat bestimmt, welches unsere Hausnummern sind. Da wir in unmittelbarer Nachbarschaft leben, ist für uns ein praktisches und respektvolles Verhältnis ein Muss.
Während andere Länder die Zusammenarbeit gekappt haben, haben Sie den Energiedeal mit Russland eben weiter ausgebaut. Warum?
Das hat keinen politischen, sondern einen physikalischen Grund. Wenn wir nicht zusammenarbeiten würden, würde unsere Infrastruktur zusammenbrechen. Wir sind ohne russische Ressourcen nicht in der Lage, Ungarn ausreichend mit Öl und Gas zu versorgen. Die russischen Energiefirmen waren immer zuverlässig, die Zusammenarbeit klappt gut.
Andere Nachbarländer wie die baltischen Staaten haben aber den Schnitt gemacht und sich vom russischen Gas loslösen können, ohne die Versorgung zu gefährden. Warum schafft das Ungarn nicht?
Länder wie Litauen liegen am Meer und haben Terminals für Schiffslieferungen von Flüssiggas errichtet. In unserer Region Europas geht das nicht. Wir sind abhängig vom grossen Nachbarn und könnten ohne ihn nicht überleben.
Auf welcher Seite steht Ungarn im Krieg zwischen Russland und der Ukraine?
Unsere Position ist klar. Wir wissen genau, wer der Aggressor und das Opfer ist. Wir verurteilen den Krieg und die Verletzung von territorialer Integrität und Souveränität eines andern Landes. Wir nehmen die gleiche Haltung wie die andern europäischen Staaten ein. Unsere Meinung weicht aber ab, wenn es um den Frieden geht.
Wie sehen Sie denn Möglichkeiten für Frieden?
Die andern Staaten glauben, dass die Entwicklung auf dem Schlachtfeld zu einer Friedenslösung führen wird. Wir hingegen sind davon überzeugt, dass es schnelle Verhandlungen braucht – besser heute noch als morgen. Wir drängen unter anderem darauf, weil rund 150'000 Ungarn in Transkarpatien leben, der westlichsten Oblast der Ukraine. Wir wollen nicht, dass noch mehr Ungarn, die teilweise an der Front kämpfen, und andere Menschen im Krieg getötet werden.
Wie sieht Ihr Friedensplan konkret aus?
Es gibt mehrere Friedenspläne von verschiedenen Staaten. Wir unterstützten jeden, wenn er zu einer Lösung führt. Zuerst braucht es aber eine Waffenruhe, um Gespräche zu ermöglichen.
Viele Pläne schlagen vor, dass die Ukraine auf erobertes Gebiet verzichten soll. Unterstützen Sie eine solche Lösung?
Wir stehen dafür ein, dass territoriale Integrität und Souveränität unbedingt respektiert werden müssen. Es macht gerade aber keinen Sinn, auf die Inhalte der Friedenspläne einzugehen, weil man zurzeit nicht einmal diskutieren kann.
Wäre Ungarn bereit zu vermitteln?
Zwei Tage nach Ausbruch des Krieges rief ich den russischen Aussenminister Sergei Lawrow und den ukrainischen Chef des Präsidialamts, Andrij Jermak, an, um Ungarn als sicheren Verhandlungsort anzubieten. Ich hoffe nun, dass beide am Ministertreffen der OSZE in Skopje diese Woche teilnehmen werden und ich ihnen das Angebot für Gespräche erneuern kann.
Warum blockiert Ungarn als letztes Land den Beitritt Schwedens in die Nato immer noch?
Unsere Parlamentarier sind in offenen und fairen Wahlen gewählt worden. Wenn wir nun von tausend Kilometern nördlich hören, dass unsere Wahlen nicht legitim und wir eine Diktatur seien, überlegen gewisse ungarische Politiker ihre Meinung zweimal. Auf der einen Seite fordern die Schweden etwas von uns, auf der anderen Seite dreschen sie auf uns ein. Ich denke, dass es eine Frage des Respekts ist.
Das tönt nach einer Trotzreaktion. Warum greifen Sie nicht persönlich ein?
Ich selber habe den Antrag zur Aufnahme Schwedens im Parlament gestellt. Aber dieses ist noch nicht bereit, darüber zu verhandeln.
Im Blick-Interview vor drei Jahren stellten Sie eine engere Zusammenarbeit mit der Schweiz in Aussicht. Was hat sich in der Zwischenzeit getan?
Wir haben den Handelsrekord gebrochen. Im vergangenen Jahr knackte das Handelsvolumen das erste Mal die Zwei-Milliarden-Euro-Marke, dieses Jahr ist die Summe um weitere sechs Prozent angestiegen. Dutzende Schweizer Firmen haben in Ungarn investiert. Mit meinem Schweizer Amtskollegen Ignazio Cassis pflege ich einen sehr guten Kontakt. Solche Beziehungen werden teilweise unterschätzt, sie spielen eine wichtige Rolle.
Im Juli 2024 soll Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Wie werden Sie sich in Brüssel für die Schweiz einsetzen, wenn es um ein neues Abkommen mit der EU geht?
Weil sie immer mehr an Attraktivität verliert, muss die EU begreifen, dass immer weniger Partner sie brauchen, sie hingegen immer mehr auf Partner angewiesen ist. So ist es zum Beispiel stupid, die Schweiz aus Bildungs- und Forschungsprogrammen wie Erasmus und Horizon auszuschliessen. Wir wollen dafür sorgen, dass die EU begreift, dass sie die Schweiz braucht und eine enge Zusammenarbeit in ihrem eigenen Interesse liegt.