Die Schweiz und Ungarn haben eines gemeinsam: Sie liegen im Streit mit der Europäischen Union. Deshalb suchen die beiden Länder nun gegenseitige Nähe. Die Aussenminister beider Länder, Ignazio Cassis (60) und Peter Szijjarto (42), haben sich in den vergangenen Monaten gleich mehrere Male getroffen und eine engere Zusammenarbeit beschlossen.
Diese Woche weilte Szijjarto in Genf. Im Interview wehrt er sich gegen Vorwürfe aus Brüssel und nimmt die Schweiz in Schutz.
Blick: Herr Szijjarto, Sie und Ihr Schweizer Amtskollege Ignazio Cassis pflegen in letzter Zeit einen regen Austausch. Bahnt sich da eine neue Freundschaft zwischen den beiden Staaten an?
Peter Szijjarto: Absolut. Bisher pflegten wir vor allem eine gute wirtschaftliche Zusammenarbeit, doch der politische Austausch blieb etwas auf der Strecke. Das wollen Ignazio und ich nun ändern.
Wie soll diese Zusammenarbeit aussehen?
Beide Länder legen Wert auf Souveränität und sind stolz auf ihr Erbe, ihre Kultur und Unabhängigkeit. Wir haben viele Gemeinsamkeiten, und ich bin sicher, dass wir uns gegenseitig unterstützen können.
Ungarns Aussenminister Peter Szijjarto (42) ist ein politischer Senkrechtstarter und neben Ministerpräsident Viktor Orban eines der wichtigsten Aushängeschilder der nationalkonservativen Partei Fidesz. Schon mit 20 Jahren wurde er in Györ in die Stadtversammlung gewählt, mit 24 war er jüngstes Mitglied im nationalen Parlament. Orban machte ihn 2010 zu seinem Sprecher und ernannte ihn 2014 zum Aussenminister. Szijjarto, der aus einer wohlhabenden Familie stammt, studierte in Budapest Internationale Beziehungen und Sportmanagement. Er ist mit einer Lehrerin verheiratet und Vater von zwei Buben.
Ungarns Aussenminister Peter Szijjarto (42) ist ein politischer Senkrechtstarter und neben Ministerpräsident Viktor Orban eines der wichtigsten Aushängeschilder der nationalkonservativen Partei Fidesz. Schon mit 20 Jahren wurde er in Györ in die Stadtversammlung gewählt, mit 24 war er jüngstes Mitglied im nationalen Parlament. Orban machte ihn 2010 zu seinem Sprecher und ernannte ihn 2014 zum Aussenminister. Szijjarto, der aus einer wohlhabenden Familie stammt, studierte in Budapest Internationale Beziehungen und Sportmanagement. Er ist mit einer Lehrerin verheiratet und Vater von zwei Buben.
Die Schweiz hat den Rahmenvertrag mit der EU platzen lassen. Wo lag der Fehler?
Die Schweiz ist – schon rein geografisch – in Europa bestens integriert und ein natürlicher Partner der EU. Das Problem liegt darin, dass sich Brüssel von bereits bestehenden Abkommen zurückgezogen und die Schweiz aus einer Zusammenarbeit hinausgedrängt hat. Das ist komplett gegen das Interesse der EU und der Mitgliedstaaten.
Können Sie also verstehen, dass die Schweiz die Verhandlungen stoppte?
Ich bedaure, dass das Abkommen nicht zustande gekommen ist. Aber ich verstehe, dass ein Land Teile seiner Souveränität nicht aufgeben will.
Ministerpräsident Viktor Orban spricht von der EU als «europäisches Imperium». In welche Richtung muss sich die EU entwickeln?
Wir wollen definitiv keine Vereinigten Staaten von Europa. Die EU ist stark, wenn die Mitgliedstaaten souverän und selber stark sind. Das heisst: keine weiteren Kompetenzen an Brüssel! Zudem müssen wir – auch unter den Mitgliedstaaten – die Wettbewerbsfähigkeit steigern, denn so steigt auch die Wettbewerbsfähigkeit der ganzen EU.
Was meinen Sie damit?
Wir müssen die kommunistische Idee einer Steuerharmonisierung vergessen, ebenso die kommunistische Idee einer globalen Mindeststeuer.
Für die EU ist Ungarn zurzeit das schwarze Schaf unter den Mitgliedstaaten. Brüssel wirft Orban etwa vor, die Medienfreiheit einzuschränken. Verabschiedet sich Ungarn von der Demokratie?
Alles, was in Ungarn geschieht, basiert auf demokratisch durchgeführten Wahlen. Was der Westen Europas nicht versteht, ist, dass wir keine Vertreter des linken und liberalen Mainstreams sind. Unsere Politik richtet sich klar nach der anderen Seite aus, nach nationalen Interessen, patriotischem und christdemokratischem Denken. Deshalb sind wir immer wieder Ziel von Angriffen.
Dennoch: Die Medienfreiheit wurde eingeschränkt.
Nein. Es gibt viele führende Medien, welche die Regierung kritisieren, aber auf der andern Seite auch viele konservative. Es ist das Problem Brüssels, dass es einfach nicht verstehen will, dass nicht alle Medien in Ungarn liberal sind.
Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Orban auch schon mit «Hallo Diktator» begrüsst. Ist der ungarische Ministerpräsident ein Diktator?
Im Gegenteil. Er ist der demokratischste Regierungschef Europas. Bei unseren acht Wahlen seit der Wende hat Orban immer teilgenommen. Viermal hat er gewonnen, viermal hat er verloren. Und er hat seine Niederlagen immer akzeptiert und nie aufgegeben.
Für grosse Entrüstung sorgte bei der EU ein Gesetz, das aus ungarischer Sicht Kinder schützen soll, aus Brüsseler Sicht aber Homosexuelle und die ganze LGBTQ-Community diskriminiert. Ist Ungarn ein homophobes Land?
Wer das Gesetz kritisiert, hat es nicht gelesen. Es sagt nur eines: dass die sexuelle Aufklärung von Kindern unter 18 Jahren ausschliesslich Sache der Eltern ist. So ist es verboten, dass etwa Organisationen im Kindergarten oder in der Schule über Homosexualität oder Geschlechtsumwandlung sprechen. Das Gesetz verbietet es aber nicht, dass ein Mann einen Mann oder eine Frau eine Frau liebt.
In einigen Tagen stimmt die Schweiz über die Ehe für alle ab. Wie würden Sie entscheiden?
In Ungarn sagt die Verfassung, dass eine Ehe für Mann und Frau vorgesehen ist und eine Familie aus Vater, Mutter und Kindern besteht. Ich kritisiere aber niemanden, der anders denkt. Ich würde sicher dagegen stimmen.
Aus Ärger hält die EU Millionen von Euro zurück, die für Ungarn bestimmt sind. Was sagen Sie dazu?
Das ist Erpressung. Die Beiträge sind nicht humanitäre Spenden, die aus Grossherzigkeit bezahlt werden, sondern Bestandteil eines Vertrags, den die EU und Ungarn abgeschlossen haben. Das Geld gehört uns. Man darf auch nicht vergessen, dass 70 Prozent aller EU-Gelder für Oststaaten durch Unternehmen wieder in die westlichen Länder fliessen.
Auch die Schweiz hält wegen des Streits mit der EU die Kohäsionsmilliarde für Staaten in Osteuropa zurück – an Ungarn würden rund 88 Millionen Franken fallen. Würden Sie zahlen oder nicht?
Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU besteht für uns nicht darin, dass das Geld bezahlt wird oder nicht. Es ist wichtiger, dass die EU externe Partnerschaften aufbaut – mit Partnern wie der Schweiz. Und hier macht die EU-Kommission den Fehler, dass sie diese Partnerschaft in Gefahr bringt.