Interview mit Staatssekretärin zu Forschung
«Es wird immer Betrugsfälle geben»

Martina Hirayama ist für die Wissenschaftspolitik der Schweiz verantwortlich. Im Interview spricht die Staatssekretärin über das EU-Dossier, Plagiatsfälle – und über fehlende Studienplätze für Medizinerinnen und Mediziner.
Publiziert: 14.10.2024 um 10:49 Uhr
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Martina Hirayama ist Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation.
Foto: Kim Niederhauser

Auf einen Blick

  • Das Parlament bewilligt im Bereich Bildung, Forschung und Innovation 500 Millionen Franken weniger als erhofft
  • ETH plant Standort in Heilbronn, finanziert von Lidl-Milliardär
  • «Wer Schweizer Ärzte will, muss Schweizer Ärzte ausbilden»
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Frau Hirayama, was bedeutet Ihr Nachname?
Martina Hirayama:
Der Name ist japanisch und heisst flacher Berg.

Beschreibt dieses Bild auch den Stellenwert der Schweizer Wissenschaft? Die Zeit für die Erstbesteigung grosser Gipfel ist vorbei, dem Parlament in Bern sind Bauern heute wichtiger als Spitzenforschung.
Der Bereich Bildung, Forschung und Innovation (BFI) wird aller Voraussicht nach in den nächsten vier Jahren 1,3 Milliarden Franken mehr haben als in der laufenden Förderperiode. Die Schweiz steht weiterhin für eine starke BFI-Förderung.

In der Vernehmlassungsvorlage waren 500 Millionen Franken mehr vorgesehen. Wie kommt es, dass die Bauernlobby stärker ist als die der Wissenschaft?
Wir sollten Forschung und Landwirtschaft nicht gegeneinander ausspielen. Was mir jedoch zu kurz kommt: Die ganze Welt investiert enorm viel in den Forschungsbereich. Es ist gefährlich, zu glauben, dass wir in der Schweiz gut aufgestellt sind – und alles bleiben kann, wie es ist. Das Gegenteil ist der Fall: Wir müssen ständig reflektieren, welche Rahmenbedingungen wir für Spitzenforschung brauchen.

ETH-Präsident Joël Mesot fordert eine Art Cern für künstliche Intelligenz in der Schweiz. Stattdessen kürzt das Parlament der ETH die Zuschüsse.
Digitale Transformation und künstliche Intelligenz sind ein wichtiges Element unserer BFI-Botschaft. Bereits heute betreiben die ETH Zürich und die EPFL in Lausanne Zentren für künstliche Intelligenz. Erst kürzlich hat die ETH in Lugano den Supercomputer Alps eingeweiht, der eine gigantische Rechenleistung hat.

Die ETH plant einen Standort für künstliche Intelligenz im deutschen Heilbronn – bezahlt vom Lidl-Milliardär Dieter Schwarz. Kaufen Sie nun bei Lidl ein?
Es ist fantastisch, dass die ETH hier zusätzliche Mittel bekommt. Der ETH-Bereich hat auch in Singapur einen Standort, wo er sich mit internationaler Spitzenforschung vernetzt. Ich bin gespannt, was in Heilbronn entsteht. 

Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Bildungsminister Guy Parmelin?
Ich schätze Bundesrat Parmelin sehr. Er setzt sich für exzellente Rahmenbedingungen von Bildung und Forschung ein.

Wenn das stimmt, müsste er flammende Plädoyers für die institutionelle Anbindung an die EU halten. Davon höre ich aber nichts.
Ich schon (lacht). Bundesrat Parmelin und der Gesamtbundesrat haben immer klargestellt: Wir wollen rasch und dauerhaft an den europäischen Forschungsprogrammen teilnehmen. 

Parmelin ist Mitglied der SVP, die Brüssel als rotes Tuch betrachtet.
Das EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe ist im Interesse der Schweiz. Davon profitieren unsere Hochschulen und die Wirtschaft; vom Erasmus-Programm profitieren Schweizer Studierende. Andere Punkte im EU-Dossier mögen umstritten sein – aber für den Bereich Wissenschaft besteht Konsens, dass wir eine Assoziierung an die EU-Programme brauchen.

Sind Sie und Ihre Kollegin im Staatssekretariat für Wirtschaft, Helene Budliger Artieda, die grössten EU-Turbos der Bundesverwaltung?
Der gesamte Bundesrat ist der Überzeugung, dass eine gute und geklärte Zusammenarbeit mit der Europäischen Union für die Schweiz wichtig ist. Staatssekretärin Budliger Artieda und ich sind für Aspekte im EU-Dossier zuständig, bei denen sich die Vorteile der Zusammenarbeit besonders gut zeigen.

Aktuell gibt ein Forschungsskandal an der Universität Zürich zu reden: Star-Forscher Adriano Aguzzi und ein Mitarbeiter sollen gepfuscht haben.
Zu einzelnen Fällen äussere ich mich nicht. Grundsätzlich ist mir aber wichtig, dass wissenschaftliche Integrität ernst genommen wird. Verstösse schaden dem Ruf einer jeden Institution und einer jeden Person.

Ist das wirklich so? Die SVP, der auch Ihr Bundesrat angehört, hat Henrique Schneider zum Generalsekretär ernannt, obwohl ihm massive Plagiate nachgewiesen wurden.
Die Akademien der Wissenschaften Schweiz haben mit weiteren Akteuren einen Leitfaden für wissenschaftliche Integrität entwickelt. Wo es strukturelle Probleme gibt, müssen die Rahmenbedingungen angepasst werden. Aber wie in anderen Bereichen wird es immer Betrugsfälle geben. Mehr Verwaltung kann das nicht verhindern. Der Schweizerische Nationalfonds registrierte 2023 mehr als 8000 Gesuche. Gäbe es hier wirklich ein systemisches Problem, könnten Sie als Journalist jede Woche einen Skandal aufdecken.

Sprechen wir über fehlende Studienplätze für Medizin-Studierende. Ist die Schweiz eine Schmarotzerin, weil sie teuer ausgebildete Ärzte aus Deutschland importiert?
Medizinstudienplätze in der Schweiz sind uns ein wichtiges Anliegen. Kantone und Bund haben in den letzten Jahren viel getan, um die Anzahl der Medizinstudienplätze zu erhöhen. Der Bund unterstützt die Kantone mit einem Sonderprogramm von 100 Millionen Franken.

Ein Medizin-Studienplatz kostet 500’000 Franken. Das heisst, Sie zahlen die Ausbildungskosten für 200 Medizinerinnen und Mediziner. Genügt das wirklich?
Im Jahr 2016 hatten wir rund 900 Medizinabschlüsse – Ziel sind mindestens 1350 Abschlüsse 2025, also mehr als 400 zusätzliche Abschlüsse pro Jahr. Das ist nicht unbedeutend. Wichtig ist, dass die Kantone jetzt Farbe bekennen, denn die Ausbildung von Medizinern ist zunächst Sache der Kantone. Das Parlament hat uns zusätzlich den Auftrag gegeben, zu prüfen, wie wir weitere Studien- und klinische Praktikumsplätze schaffen können.

Manche fordern die Abschaffung des Numerus clausus. Aber das wahre Problem sind doch zu wenige Studienplätze.
Genau. Wer Schweizer Ärzte will, muss Schweizer Ärzte ausbilden. Dafür bräuchte es in erster Linie zusätzliche Studienplätze, insbesondere mehr klinische Praktika. Auch müssten die Unis mehr Professorinnen und Professoren einstellen.

Ist Streit mit den Kantonen vorprogrammiert?
Die Kantone sind diejenigen, die den Grossteil der Mittel für die Ausbildung bereitstellen müssen. Das betrifft nicht nur die Studienplätze, sondern auch die Plätze für die Praxisausbildung.

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