SonntagsBlick: Herr Mandl, Schweizer Medien nennen Sie einen «Freund der Schweiz». Sind Sie das?
Lukas Mandl: Auch in Brüssel gelte ich als schweizfreundlich. Soll ich etwa unfreundlich sein? Eine gute Partnerschaft oder sogar eine Freundschaft ist eine gute Grundlage für Gespräche. Ich bin aber kein Mediator. Ich bin Chefverhandler im Europaparlament.
Das EU-Parlament hat diese Woche den EU-Schweiz-Bericht verabschiedet. Wie lautet die zentrale Botschaft?
Das Streben nach mehr gegenseitigem Vertrauen durch mehr Transparenz ist das Grundmotiv. Was bedeutet der Europäische Gerichtshof für den gemeinsamen Markt? Was bedeutet die Arbeitnehmerfreizügigkeit? Das sind die Fragen, die transparenter geklärt werden müssen, damit wir zu einer Einigung kommen.
Am Dienstag haben sich der Schweizer Bundesrat Cassis und EU-Kommissar Sefcovic in Brüssel getroffen, wollten sich aber nicht öffentlich äussern. Gehört das zum Kapitel mangelnde Transparenz?
Ich verlange dringend von der Europäischen Kommission, Ergebnisse zu liefern. Ich empfehle das auch dem Schweizer Bundesrat, aber es liegt nicht an mir, etwas vom Schweizer Bundesrat zu verlangen. Zu Ergebnissen kann man auch über vertrauliche Gespräche kommen. Ich erwarte jetzt vor allem Tempo.
Die Schweiz wählt im Oktober 2023, die EU im Juni 2024. Gibt es überhaupt noch die Chance auf einen Durchbruch mit der jetzigen EU-Kommission?
Es wäre ein krachendes Scheitern, wenn wir bis zum Ende dieser EU-Periode keine Paketlösung zustande bringen würden. Es ist fünf vor zwölf, aber es ist noch möglich, zu einem Ergebnis zu kommen.
Wie wollen Sie das erreichen?
Die EU-Kommission muss ihren Tunnelblick ablegen, der zu einer Sackgasse geführt hat. Es gab in der Vergangenheit zu wenig Wertschätzung dafür, was die Schweiz im Bereich der Sicherheit, der Geopolitik und der Friedenspolitik macht. Und erst recht dafür, was in der Wissenschaft passiert.
Und was muss die Schweiz denn machen?
Die Schweiz sollte sich hier vom Populismus befreien – was aber kein schweizspezifisches Problem ist. Populismus gibt es in ganz Europa. Es geht nicht darum, dass Brüssel etwas aufgibt oder die Schweiz etwas aufgibt. Es geht darum, dass beide Seiten deutlich profitieren.
Warum darf Grossbritannien am Forschungsprogramm Horizon mitmachen, nicht aber die Schweiz?
Meine persönliche Position lautet: Die Schweiz gehört sofort zu Horizon zurück. Im Bericht des Europaparlaments ist diese Position enthalten, wenn auch etwas abgeschwächt. Von Horizon profitieren die EU und die Schweiz gleichermassen.
Was sagen Sie zur Angst vor fremden Richtern?
Das ist ein populistischer Begriff. Es geht um faire Richter. Jeder Handelsschüler lernt in der ersten Klasse, dass ein gemeinsamer Markt einen gemeinsamen Gerichtsstand braucht.
Was sagen Sie in Richtung Gewerkschaften, die Lohndumping befürchten?
Ich antworte als Österreicher: Wir hatten dieselbe Angst vor der EU-Osterweiterung. Obwohl Österreich EU-Mitglied ist, kam es zu keinem Lohndumping. Wir haben in ganz Europa Arbeitnehmermangel – wir brauchen jede Hand, die anpackt. Ich respektiere die Position der Schweizer Gewerkschaften, aber sie ist eine Position aus dem vergangenen Jahrhundert.
Was sagen Sie zur Befürchtung, Schweizer Sozialsysteme könnten geplündert werden?
Auch diese Sorge hatten wir in Österreich – es ist nicht eingetreten. Es ist wie die Angst vor dem Lohndumping: eine irrationale Furcht.
Die Schweiz macht beim europäischen Verteidigungsprojekt Sky Shield mit. Zeigt das nicht: Es braucht kein Gesamtpaket, sondern es gibt auch punktuelle Formen der Zusammenarbeit?
Das Beispiel Sky Shield zeigt vor allem, wie schnell man entscheiden kann, wenn man wirklich will.
Ginge es nicht auch ohne Gesamtpaket?
Die EU-Schweiz-Beziehungen sind wie ein altes Fahrzeug. Man kommt noch von A nach B – es funktioniert ja noch. Doch wir brauchen eine Generalüberholung. Es ist weder im Schweizer noch im europäischen Interesse, wenn es zwischen Brüssel und Bern ständig ächzt und krächzt.
Was wetten Sie, dass vor den Europawahlen im Juni tatsächlich ein Durchbruch gelingt?
Eine gute Flasche Rotwein aus Graubünden.