Interner Bericht lässt Zweifel aufkommen
Ist Mitholz-Evakuierung gar nicht nötig?

Ein unveröffentlichter Bericht von Munitionsspezialisten der Armee stellt die bisherigen Risikoanalysen des Milliardenprojekts infrage. Das Verteidigungsdepartement hingegen beharrt auf seinen bisherigen Annahmen.
Publiziert: 14:50 Uhr
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In der Gemeinde Mitholz befand sich ein Munitionsdepot der Armee.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Zweifel an Explosionsrisiko im Munitionslager Mitholz, VBS-Risikoanalyse infrage gestellt
  • Interner Bericht: Maximal 5 Kilogramm Sprengstoff statt 10 Tonnen
  • 2,59 Milliarden Franken bewilligt für Räumung, halbes Dorf für 10 Jahre evakuiert
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Die Gefahr lauert im Berg – und sie soll weg. 2,59 Milliarden Franken hat das Parlament bewilligt, um das ehemalige Munitionslager Mitholz endgültig zu räumen. Das halbe Berner Dorf wird für zehn Jahre evakuiert. Weil das Verteidigungsdepartement (VBS) in Risikoanalysen davon ausgeht, dass bis zu zehn Tonnen Sprengstoff auf einmal explodieren und Tote nicht ausgeschlossen werden könnten.

Doch nun lässt ein bisher unveröffentlichtes internes Papier Zweifel aufkommen. Denn der Bericht vom März 2024 von Munitionsspezialisten der Schweizer Armee kommt zu einem anderen Schluss: Was noch im Berg liegt, könnte ein Umweltproblem darstellen – aber kein Explosionsrisiko, schreibt die «NZZ».

VBS liess Bericht mehrfach abändern

Gemäss dem Artikel sprechen die Munitionsspezialisten von «maximal fünf Kilogramm». Tausende Bomben, Granaten, Geschosse und Minen hätten sie aus dem ehemaligen Lager geholt. Geräumt worden seien die «Hotspots», also jene Stellen, an denen das grösste Explosionsrisiko vermutet wurde. Die Spezialisten würden denn auch empfehlen, das VBS solle prüfen, ob die bisherige Risikobeurteilung angepasst werden könne.

Die Kampfmittelspezialisten der Armee, die das ehemalige Lager Mitholz schliesslich räumen müssen, sollen auf viele offene Fragen hingewiesen haben. Dennoch hätten sie im Auftrag des VBS ein Räumungskonzept erstellen müssen. Dass darin das bisherige Vorgehen sowie «nicht validierte Annahmen aus den Risikoanalysen» hinterfragt werden, sei im VBS offensichtlich nicht gut angekommen.

Das Departement habe verlangt, dass die heiklen Stellen gelöscht werden, zitiert die «NZZ» ein ehemaliges Mitglied der Expertengruppe sowie des Kommandos Kamir, der Fachstelle für Kampfmittelräumung der Schweizer Armee.

Dreimal hätten die Spezialisten das Konzept angepasst, sich aber geweigert, die kritischen Stellen zu entfernen. Das Kommando Kamir sei eine Fachstelle und als solche auch anerkannt vom VBS. Dass das Departement als Auftraggeber verlange, Änderungen in einem Fachbericht vorzunehmen, «ist gelinde gesagt anmassend», so der Experte.

VBS hält an bisherigen Annahmen fest

Wie das VBS-Projektteam erkläre, würden der Freigabe von Dokumenten «immer Vernehmlassungen und eine Qualitätssicherung» vorangehen. So sei «das Räumkonzept in mehreren Schritten angepasst» worden. Dieses habe es vor den technischen Untersuchungen gebraucht, «damit Ende 2022 der Verpflichtungskredit für die Räumung beim Parlament beantragt werden konnte». Es sei aber klar gewesen, dass das Konzept «weiter konkretisiert werden muss», mit Sondiergrabungen.

Der Spezialistenbericht sei ausgerichtet auf Einzelereignisse, argumentiert das VBS weiter. «Gemäss den rechtlichen Vorgaben, insbesondere der Störfallverordnung, müssen mit der Risikobeurteilung die Munitionsrückstände als Ganzes und damit auch Massenereignisse berücksichtigt werden.» Alle neuen Erkenntnisse würden laufend in die Risikobeurteilungen einfliessen und diese immer weiter konkretisieren.

Auch hätten Simulationen und Sprengversuche gezeigt, dass Massenübertragungen bei Munitionsrückständen im Berg nicht ausgeschlossen werden könnten: «Basierend auf allen abgeschlossenen Untersuchungen gilt das 1-Tonnen-Ereignis als wahrscheinlichste Ereignisgrösse.» Ein 10-Tonnen-Ereignis könne «aber nach wie vor nicht ausgeschlossen werden». Die bisherige Risikoanalyse bleibe bestehen.

Im Dezember 1947 war es im ehemaligen Munitionslager der Armee in einer Fluh bei Mitholz zu grossen Explosionen gekommen. Das Depot stürzte teilweise ein, neun Menschen starben durch Felsbrocken, die durch die Luft geschleudert wurden. Dutzende Häuser wurden zerstört. Das VBS geht bisher davon aus, dass in den eingestürzten Anlageteilen und im Schuttkegel heute noch 3500 Bruttotonnen Munition mit einigen Hundert Tonnen Sprengstoff liegen.

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