Knapp 12'000 Einwohner, ein paar Restaurants, eine Dorfmetzg. Bassersdorf ZH im Südosten des Flughafens Zürich ist eine beschauliche Stadt. In die internationalen Nachrichten schaffte es die Gemeinde erst einmal – und das aus einem tragischen Anlass. Ende November 2001 stürzte dort eine Crossair-Maschine ab, 24 Menschen starben.
Nun macht die Zürcher Gemeinde wieder über die Landesgrenzen hinaus Schlagzeilen. Dieses Mal allerdings nicht als unschuldiger Ort eines schrecklichen Unfalls. Sondern weil ein Volksfest-Scherz böse in die Hose ging.
«Transfrau in der Schweiz abgefackelt», titelt «The Advocate», die führende LGBT-Zeitschrift der USA. «Stadt verbrennt Stroh-Transfrau», schreibt auch das britische Portal Metro. Und das deutsche LGBTI-Onlinemedium queer.de titelt: «Diversity-Figur bei Brauchtumsveranstaltung verbrannt». Worum geht es da?
Jedes Jahr ein neuer Böögg
Es geht ums Sechseläuten. Allerdings nicht um jenes in Zürich, sondern um die kleine Schwester, die seit 2004 in Bassersdorf stattfindet. Und weil man ja nicht einfach die Limmatstadt kopieren kann, haben sich die Organisatoren etwas Besonderes ausgedacht: Ihr «Basi-Böögg» hat jedes Jahr ein Thema.
2022 entschied sich das Organisationskomitee für den «Diversity-Böögg», wie Zeremonienmeister Christian Weiss dem Portal zueritoday.ch sagte. Oben hatte die Figur Brüste, unter dem Jupe einen Penis und Hoden. Den Zuschauerinnen und Zuschauern am Bassersdorfer Sechseläuten, darunter auch der Gemeinderat, gefiel es demnach. «Als es den Rock des Bööggs hochwehte, ging vielen ein Grinsen übers Gesicht», so Weiss.
Auch alt Bundesrätin wurde Opfer
In früheren Jahren hatten Weiss und seine Mitstreiter schon Bööggen in der Gestalt der Diktatoren Muammar al-Gaddafi (1952–2011) und Kim Jong Un (38) sowie der damaligen Bundesrätin Doris Leuthard (59, «Energiewende-Böögg») verbrannt.
Diskriminierend findet Weiss den Trans-Böögg nicht, wie er im April zu Protokoll gab: «Bei Facebook kann man mittlerweile aus einer Auswahl von vielen Möglichkeiten das Geschlecht auswählen. Beim Böögg dieses Jahr war es auch so. Es hat verschiedene Merkmale, und es ist für alle etwas dabei.»
Basserdorfer reichte Anzeige ein
Für den Bassersdorfer Adolf Kellenberger (82) war hingegen nichts dabei. Er fand diese Aktion eine «völlige Entgleisung» und «menschenverachtend». Er reichte bei der Zürcher Staatsanwaltschaft eine Anzeige gegen den Bassersdorfer Gemeinderat ein. Behörden seien verpflichtet, gegen Diskriminierung vorzugehen, nicht selbst Teil davon zu sein, fand er.
Von Diskriminierung will Organisator Weiss gegenüber dem «Tages-Anzeiger» nichts wissen: Damit lege Kellenberger eine Symbolik in den Böögg, «die dieser nicht hat». Schon im Frühjahr hatte Weiss argumentiert, dass Gender und Diversity aktuell wichtige Themen seien, weswegen man das habe aufgreifen wollen. Zur Debatte seien auch Corona und der Ukraine-Krieg gestanden, aber darauf habe man verzichtet, weil es sich beim Sechseläuten um einen fröhlichen und lustigen Anlass handle.
«Pathologische Humorlosigkeit»
Stattdessen dürfe man den diesjährigen Böögg «als Pamphlet gegen die grassierende narzisstische Hyperempfindlichkeit und die pathologische Humorlosigkeit verstehen», so Weiss.
Die Staatsanwaltschaft hat Kellenbergers Anzeige übrigens zurückgewiesen. Und der Gemeinderat? Präsidentin Doris Meier (FDP) betont gegenüber dem «Tages-Anzeiger», dass der Gemeinderat keine Kenntnis über die Ausgestaltung des Bööggs habe. «Ich bedaure es ausserordentlich, falls dabei Gefühle von Menschen verletzt wurden.» Sie sei sicher, das sei nicht die Absicht des Komitees gewesen.
LGBTI-Community ist empört
Die LGBTI-Community geht weit weniger gnädig ins Gericht mit der Gemeinde. «Im Osten brennt ein Diktator die Ukraine nieder, und euer grösstes Problem ist Diversität? Ernsthaft?», regt sich eine Schweizer Transfrau auf Reddit auf. Kellenberger wird als «einzige Stimme der Vernunft» bezeichnet.
Andere wiederum sehen in der Verbrennung des Trans-Bööggs nur bestätigt, wie transfeindlich die Schweizer Gesellschaft noch immer ist. Erst am Sonntag an der Zürcher Pride war ein Gottesdienst durch Homophobe gestört worden.