Initiative gegen Wohnungsnot
Überall einen Stock höher bauen – was bringt das?

Die FDP will die Wohnungsnot mit einer besonderen Idee bekämpfen: Jedes Haus soll um ein Stockwerk erhöht werden dürfen.
Publiziert: 18.05.2024 um 17:05 Uhr
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Aktualisiert: 19.05.2024 um 11:04 Uhr
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Die Stadtzürcher FDP hat eine Wohnbauinitiative lanciert.
Foto: keystone-sda.ch
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Raphael Brunner
Beobachter

Genf hat den Schritt bereits 2008 getan. Seither dürfen praktisch alle Häuser in der Stadt um ein Stockwerk erhöht werden. So sind 150 zusätzliche Wohnungen entstanden. Das sei zwar nicht viel, aber immerhin ein Anfang, sagt die FDP.

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Geht es nach den Freisinnigen, sollen Städte überall in der Schweiz dem Genfer Beispiel folgen. Als erste die Stadt Zürich. Dort hat die FDP Anfang 2024 zusammen mit der Mitte, der GLP und der SVP eine Initiative lanciert, die auf jedem Haus in der Stadt den Bau eines zusätzlichen Stockwerks erlaubt. Ausnahmen sind möglich, etwa für denkmalgeschützte Häuser. Und die Regel gilt nur, wenn das Haus nicht abgerissen wird. So entstehe mehr Wohnraum, ohne dass gut erhaltene Bausubstanz vernichtet und durch – oft teure – Neubauten ersetzt werde, sagen die Initianten.

Fachleute sind skeptisch

Es ist die bürgerliche Antwort auf die Wohnungsknappheit. «Allein in Zürich ermöglicht unsere Initiative unkompliziert den Bau von Hunderten zusätzlichen Wohnungen, in der ganzen Schweiz wären es mehrere Tausend», sagt der Stadtzürcher FDP-Präsident Përparim Avdili.

Vom Beobachter angefragte Fachleute sind jedoch skeptisch. «Die Initiative bringt kaum mehr Wohnungen und trägt nichts dazu bei, unsere Städte zu verdichten und die Zersiedelung zu stoppen», sagt Sibylle Wälty, Dozentin zum Thema Wohnen an der ETH. Sie schätzt, dass es in der Realität nur zu sehr wenigen Aufstockungen kommen werde.

Die politische Forderung müsste darum vielmehr lauten, dass an geeigneten Orten viel dichter und viel höher als heute gebaut werden dürfe. Nur so könne langfristig deutlich mehr Wohnraum entstehen und die Zersiedelung eingedämmt werden. Dafür sei aber eine umfassende Überarbeitung der Bau- und Zonenordnung notwendig. Sie ist in Zürich in Arbeit, lässt aber seit Jahren auf sich warten.

Verdichtung ja – aber nicht so?

Im besten Fall habe die Initiative den Effekt, dass der Druck erhöht wird, die Bau- und Zonenordnung der Stadt den übergeordneten raumplanerischen Vorgaben gemäss anzupassen. «Es besteht aber auch die Gefahr, dass durch die Initiative die effektive Verdichtung ausgebremst wird, weil der Eindruck entsteht, überall ein bisschen reiche. Das wäre fatal.»

Ähnlich argumentiert Balz Halter, Immobilienunternehmer und Mitinitiant von Urbanistica, der «Vereinigung für guten Städtebau». Zwar habe die Initiative die richtige Stossrichtung, weil sie die Stadt dazu zwinge, mehr Verdichtung zuzulassen. Auch er kritisiert aber, dass sie für sich allein wenig neue Wohnungen bringe und falsche Signale setze: «In manchen Quartieren würden einzelne Aufstockungen die Wohnqualität schmälern, weil die Häuser dann nicht mehr in die Umgebung passten.»

Wie Wälty fordert Halter neue Bau- und Zonenordnungen in allen Städten und grösseren Gemeinden – aber auch eine Stadtplanung über die nächsten 10 bis 20 Jahre hinaus: «Die Initiative untermauert das Prinzip, dass man einfach überall ein bisschen schräubeln kann, statt dass sich Politik und Bevölkerung damit auseinandersetzen, wie sich die Stadt in Zukunft entwickeln soll.»

Mehr teure Wohnungen befürchtet

Sind Aufstockungen also per se ein untaugliches Mittel für Verdichtung? Keineswegs, sagt der Zürcher Architekt und Stadtplaner Ernst Hubeli. Früher leitete er das Institut für Städtebau an der Uni Graz in Österreich. Im Gegensatz zu Wälty und Halter sieht er in Zürich und Schweizer Städten generell ein grosses Potenzial. Er glaubt auch, dass es für Hauseigentümer durchaus attraktiv wäre, auf ihren Immobilien einen Aufbau zu errichten. Das könnte etwa ein Holzbau auf einem bestehenden Haus mit Flachdach sein. In London, Paris, Wien oder Belgrad werde das seit Jahren gemacht.

Für Zürich nennt die Immobilienberatungsfirma Iazi die Zahl von 30’000 zusätzlichen Wohnungen, die theoretisch so entstehen könnten. Solche Wohnungen seien aber in der Regel sehr teuer, sagt Hubeli. «Darum würde die FDP-Initiative nur etwas gegen die Wohnungsnot bringen, wenn es flankierende Massnahmen dazu gäbe.»

Hubeli nennt die Baukostenmiete, die seiner Meinung nach für solche Aufbauten festgeschrieben werden müsste. In Städten wie Zürich ist der Bodenpreis sehr hoch. Heute werde dieser bei Aufstockungen in die Miete eingepreist. «Dabei ist dafür gar kein zusätzlicher Boden notwendig.» Die Baukostenmiete orientiert sich allein an den Baukosten, dazu kommt eine Rendite auf das eingesetzte Kapital von drei bis vier Prozent. «Das wäre eine angemessene Miete. Sie wirft einen Zins ab, ist aber ein Drittel oder gar die Hälfte tiefer als eine Kostenmiete mit Boden», sagt Hubeli. Weil die Initiative die Baukostenmiete aber nicht vorsehe, befürchtet er noch mehr teure Wohnungen. «Gegen die Knappheit bei den bezahlbaren Wohnungen hilft die Initiative gar nichts, im Gegenteil, sie verteuert den Markt weiter.»

Initianten wollen verbindliche Regeln

Die Zürcher FDP sieht die Expertenkritik gelassen. «Uns ist bewusst, dass unsere Initiative nur ein erster Schritt zu mehr Wohnungen und Verdichtung ist», sagt Përparim Avdili. Wichtig sei, dass sie unkompliziert und schnell zusätzliche Möglichkeiten und Anreize schaffe. «Heute bestimmt allein die Politik, wer dichter bauen darf und wer nicht. Das Ergebnis ist, dass immer weniger gebaut wird.» Die Initiative hingegen fördere das Bauen – dort, wo bereits Menschen leben. «Verdichten im Bestand: Das ist doch genau das, was alle Stadtplanerinnen und Raumplaner immer fordern. Und stets sagen, wie quartierverträglich es sei.»

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