Neun Monate haben Bund, Kantone, Gemeinden und Verbände an einem Aktionsplan zur Bekämpfung der Wohnungsnot gehirnt. Das Ergebnis enttäuscht nicht nur Städte und Mieter-Vertreter, sondern sorgt auch bei Experten für Ernüchterung. «Ausser Papier ist in den nächsten zwei Jahren nicht viel zu erwarten», so das Fazit von Donato Scognamiglio (54), Gründer des Immobilienberatungsunternehmens Iazi.
Hier eine Studie, da eine Analyse. Primär wollen die Behörden erst einmal das machen, was sie am liebsten tun: prüfen. Beziehungsweise – sie empfehlen, zu prüfen. Dabei ist kaum eine der 35 vorgeschlagenen Massnahmen wirklich neu. Viele werden längst im Parlament diskutiert, sind in gewissen Kantonen sowieso geplant oder gar bereits umgesetzt.
Die Massnahmen lassen sich mit drei Stichworten zusammenfassen: enger, schneller, billiger. Die wichtigsten Vorschläge in der Übersicht – und was Expertinnen und Experten davon halten.
Enger
Verdichteter bauen: Häuser könnten höher gebaut, Abstände zu Nachbargrundstücken verringert werden. Die Kantone sollen bei den Vorschriften über die Bücher, empfiehlt der Aktionsplan.
Wohnungen statt Büros: Geprüft werden soll auch, ob man die strikte Trennung von Wohn- und Gewerbe- sowie Industriezonen lockern kann. So könnten leerstehende Büros zu Wohnhäusern umgebaut werden. In einem ersten Schritt wollen die Behörden eine Studie in Auftrag geben, die das Potenzial ausloten soll.
Kein Bauland-Horten: Ein Problem ist laut Bericht, dass Grundeigentümer Bauland nicht freigeben wollen. Diese bestehenden Ressourcen sollen besser genutzt werden, indem man Anreize setzt oder festlegt, wie viel Wohnraum auf einer Parzelle mindestens geschaffen werden muss.
Was bringts? Trotz der grundsätzlichen Kritik am Aktionsplan hält Immo-Experte Scognamiglio diese Massnahmen für wichtig. Am meisten Potenzial liege in der Aufweichung der strengen Trennung von Wohn- und Arbeitszonen. Diese mache in der heutigen Zeit keinen Sinn mehr. Raiffeisen-Chefökonom Fredy Hasenmaile (56) streicht zudem das verdichtete Bauen hervor: «Das setzt für Bauherren grosse Anreize, denn man kann mehr verdienen, ohne dafür teures Bauland zu kaufen.»
Wohnungsknappheit in der Schweiz
Schneller
Verfahren: Baubranche und Kantone sollen ein Konzept ausarbeiten, wie Baubewilligungsverfahren effizienter werden. Auch dank Digitalisierung.
Fertig Gratis-Einsprachen: Einsprachen dienen teilweise einzig dazu, Bauprojekte zu verzögern. Dem will man einen Riegel schieben. Eine Möglichkeit wäre, dass Einsprachen neu kosten. Entsprechende Forderungen sind im Parlament hängig.
Gesetz anpassen: Lärmschutz, Heimatschutz und andere Interessen können Wohnbauprojekten im Weg stehen. Der Bund will daher prüfen, das Interesse an genügend Wohnraum explizit ins Gesetz zu schreiben.
Was bringts? «Die Interessenabwägung ist ein wichtiger Punkt», sagt Hasenmaile. Effizientere Bewilligungsverfahren würden zudem die Planungssicherheit erhöhen. Doch die Idee der Behörden, mehr Personal einzustellen, um die Baugesuche speditiver zu bearbeiten, hält er für gefährlich – mehr Beamte mit mehr Zeit könnten auch das Gegenteil bewirken, fürchtet er. Scognamiglio kritisiert zudem, dass sämtliche Massnahmen erst einmal ausgiebig geprüft werden sollen. Bis sie allenfalls umgesetzt werden, gehen Jahre ins Land.
Billiger
Mehr günstige Wohnungen: Die Aufstockung von Gebäuden oder geringere Abstände zwischen Häusern könnte an die Bedingung geknüpft werden, dass ein bestimmter Anteil der neu geschaffenen Wohnungen preisgünstig sein muss. Das wollen die Kantone nun diskutieren.
Billiger bauen: In Bayern wurde ein neuer Gebäudetyp geschaffen, bei dem nicht alle Baustandards eingehalten werden müssen – mit dem Ziel, günstiger zu bauen. Der Bund will prüfen, ob man das auch in der Schweiz einführen könnte.
Was bringts? Ein Hauptgrund für die hohen Wohnkosten seien nicht die Baukosten, sondern die stark gestiegenen Bodenpreise, sagt Claudia Schwalfenberg (56) vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA). Tiefere Baukosten könnten das Problem darum nicht lösen, sondern höchstens etwas entschärfen. Lea Gerber (43) vom Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz warnt ausserdem davor, zu günstig zu bauen. Der Schuss könne nach hinten losgehen, wenn dann schon nach wenigen Jahren Renovationen fällig würden.
Fazit
Alles in allem vergleicht Immo-Experte Scognamiglio den Aktionsplan mit einem Zahnarztbesuch: «Er ist eine Mundspülung, keine Zahnbehandlung. Es riecht dann wieder etwas besser, doch die faulen Zähne sind danach nicht gezogen.»