Stadtmenschen und Bergmenschen leben in unterschiedlichen Welten. Die gegenseitige Abhängigkeit ist gross. Das gegenseitige Unverständnis oft noch grösser. So wollten Zweitwohnungsbesitzer in einem Dorf im Goms VS kurzerhand eine Strassenlaterne um einen Meter kürzen lassen, weil diese in der Nacht ins Schlafzimmer leuchtet. Rollladen oder Vorhänge seien keine Option. Schliesslich möchte man den Sternenhimmel geniessen.
Ein anderes Mal jammerten Ferienwohnungsbesitzer über den Lärm der Rhone, die in der Nähe ihrer Wohnung rauscht. In den Gemeinden sorgen solche Rückmeldungen für Erstaunen. Der Generalverdacht: Die Städter suchen das Idyll in den Bergen. Für die Rahmenbedingungen und Probleme der Bergler fehlt ihnen jedoch das Verständnis.
Wohnungsnot in Tourismusgemeinden
Allianz Zweitwohnungen wehrt sich
Die Besitzerinnen und Besitzer von Ferienwohnungen sehen sich ihrerseits oft als die Geschröpften. In Pontresina GR erhält dieser Vorwurf nun neue Munition. Die Gemeinde will, als erstes Dorf der Schweiz, eine Zweitwohnungssteuer einführen. Die Einnahmen aus der Steuer sollen in den Bau von bezahlbaren Erstwohnungen fliessen.
Heinrich Summermatter (77) kann mit der Idee überhaupt nichts anfangen. «Eine solche Steuer geistert immer wieder herum. Es ist sehr verlockend, die Zweitwohnungsbesitzer zu schröpfen und so die Finanzen aufzubessern», sagt der Präsident der Allianz Zweitwohnungen Schweiz.
Doch das wäre der völlig falsche Ansatz, ist er überzeugt. Zum einen habe der Wohnungsmangel nichts mit den Ferienwohnungsbesitzern zu tun. «Wir sehen in allen Tourismuszentren, dass viele Angestellte in die umliegenden Gemeinden ausweichen müssen.» Zudem werden die Ferienwohnungsbesitzer bereits heute zur Kasse gebeten. «Sie beteiligen sich anteilsmässig über Steuern und Gebühren an den Auslagen. Es bleiben keine ungedeckten Kosten.»
Walliser Gemeinde hat nachgerechnet
In vielen Tourismusgemeinden zweifelt man allerdings daran, dass die Rechnung für sie aufgeht. Die Gemeinde Obergoms VS wollte es 2022 genau wissen und liess ein Zürcher Beratungsunternehmen nachrechnen. Das Ergebnis: Die Gemeinde bleibt pro Ferienwohnung auf Infrastrukturkosten von 1067 Franken sitzen. «Das gesamte den Zweitwohnungen zugewiesene Defizit von 1,1 Millionen Franken entspricht 45 Prozent der direkten Steuern», heisst es in dem Bericht.
Dabei nicht berücksichtigt: Die grosse Nachfrage nach Ferienwohnungen während der Pandemie liess die Immobilienpreise in den Destinationen weiter nach oben schnellen. Zugleich schränkt das Zweitwohnungsgesetz den Bau von neuen Ferienwohnungen seit 2016 massiv ein. Deshalb ist es für Investoren deutlich attraktiver geworden, bestehende Wohnungen in Ferienwohnungen umzunutzen.
Das treibt die Preise von alten Objekten nach oben und macht sie für Einheimische in vielen Tourismusgemeinden oft unerschwinglich. Mit einer Zweitwohnungssteuer würden diese Objekte als Ferienwohnungen etwas an Attraktivität einbüssen. Allzu gross dürfte dieser Effekt jedoch kaum ausfallen.
Im Extremfall droht der Gewerbe-Boykott
Zudem könnte die Steuer auch negative Folgen haben: «Die Gemeinde schiesst sich mit der Steuer ins eigene Bein. Zweitwohnungsbesitzer sind gute Kunden. Verärgert man sie, könnte sich das ändern», sagt Heinrich Summermatter. In Silvaplana GR drohten Zweitwohnungsbesitzer, dem lokalen Gewerbe keine Aufträge mehr zu geben, sollte die geplante Zweitwohnungssteuer eingeführt werden. Auch im Wallis sahen sich Gemeinden bereits mehrfach mit Boykottandrohungen konfrontiert.
Der Frust vieler Ferienwohnungsbesitzer ist nicht unbegründet: Mehrere Kantone haben ab 2015 ihre Tourismusgesetze angepasst und die Gemeinden daraufhin ihren neuen Spielraum für höhere Kurtaxen ausgenutzt – in vielen Fällen weit über das erlaubte Mass hinaus. Die Gemeinden wollten mit hohen Pauschalen für Ferienwohnungen einen Anreiz schaffen, dass diese möglichst dauerhaft vermietet werden. Das Bundesgericht kassierte jedoch viele der neuen Reglemente wieder ein.
Der ewige Streit um die Kurtaxen
Die betroffenen Gemeinden haben die Reglemente überarbeitet, doch Ferienwohnungsbesitzer müssen vielerorts immer noch mehrere Hundert oder gar deutlich über Tausend Franken pro Jahr als Pauschale bezahlen. In Arosa GR werden für eine Ferienwohnung mit 100 Quadratmeter jährlich 2600 Franken fällig.
In den Gemeinden der Aletsch Arena VS oder der Feriendestination Anzère VS hält der Streit um das neue Reglement seit Jahren an. Der Zweitwohnungsverein in Anzère hat auf die jüngste Ankündigung einer Kurtaxenerhöhung mit einem offenen Brief reagiert. Darin ist von einer «systematischen Erpressung der Zweitwohnungsbesitzer» zur Finanzierung der Tourismuspolitik die Rede. Die Fronten sind verhärtet.