Unvergessen ist Pfarrer Ernst Siebers Wirken im Nationalrat. Vier Jahre, von 1991 bis 1995, sass er für die EVP unter der Bundeshauskuppel. Eine kurze Zeit im Vergleich zu Berner Polit-Dinosauriern, die sich aber gut an den Zürcher erinnern.
So erzählt Franz Steinegger (75), alt FDP-Parteipräsident und von 1980 bis 2003 Nationalrat: «Er war ein hochanständiger Mensch, zu dem man sofort Zugang hatte, auch wenn man politisch das Heu nicht auf der gleichen Bühne hatte.» Der Pfarrer habe jedem ruhig seine Meinung gesagt, niemals verbissen oder gar unfreundlich.
Er prägte die Drogenpolitik mit seinen Werken in Zürich
Dafür und für seine Wohltätigkeitswerke ist Ernst Sieber (†91) in Bern sehr geschätzt worden. «Es ist ihm gelungen, gewisse soziale Probleme aufzugreifen und darauf aufmerksam zu machen», so der Urner. Eine Lex Sieber gebe es aber nicht. Auch keine spezielle Drogenpolitik, obwohl Sieber dafür grosses Verständnis geweckt habe: «Für die nationale Drogenpolitik war er in Zürich wichtiger als in Bern. Sie war ja auch schon aufgegleist, bevor er im Nationalrat war.»
Diese Meinung teilt Toni Bortoluzzi (71), SVP-Sozialpolitiker und ebenfalls Zürcher alt Nationalrat (1991 bis 2015). «Mit seiner Rolle in einer gesetzgebenden Behörde war Sieber überfordert.» Seine wertvolle Zeit sei im Parlament und den für ihn langweiligen Kommissionssitzungen vergeudet gewesen. Sein Ansehen habe er sich mit seinem grossartigen Werk für die Randständigen in Zürich geholt.
«Er hat nicht einfach die hohle Hand beim Staat gemacht»
«Nachahmer gesucht!», lobt Bortoluzzi und rühmt Siebers «in einer Beziehung grundlegend bürgerliche Haltung»: Er habe nicht einfach nach dem Staat gerufen und die hohle Hand gemacht, um seine Sozialwerke zu finanzieren. «Er sagte: ‹Das mache ich selber, eigenständig, in eigener Verantwortung.› Das Geld hat er von Privaten organisiert.»
Wenn Sieber trotzdem mal beim Staat um Geld oder Land bettelte, wie er es mit einem seiner vier politischen Vorstösse in Bern tat, war ihm die Unterstützung von links bis rechts sicher. Beachtliche 147 Mitunterzeichner hatte 1993 seine Motion «Selbsthilfedorf für ausstiegswillige Drogenabhängige». Darunter die Unterschriften von Bortoluzzi, Steinegger und SVP-Parlamentarier Maximilian Reimann (1987 bis heute).
Seine Ideen gingen allen ans Herz
Reimann sagt zu BLICK: «Natürlich hatten wir von der SVP in seinem Stammgebiet, der Drogenpolitik, eine ganz andere Meinung als Pfarrer Sieber. Aber man hat ihm zugehört. Er hat seine Ideen auch allen engagiert ans Herz gelegt.» Mit seiner unkonventionellen Art ist er in allen politischen Reihen positiv aufgefallen.
Reimann erinnert sich noch bestens an die erste Session ausserhalb des Bundeshauses 1993 in Genf. «Für uns Nationalräte waren Zimmer in den besten Hotels reserviert worden. Doch Ernst Sieber reiste mit seinem alten VW-Transporter an, stellte ihn auf den Parkfeldern vor dem Konferenzgebäude ab und nächtigte hinten im Schlafsack auf irgendeinem dünnen Maträtzli.» Die Übernachtungspauschale, die alle erhielten, investierte Sieber laut Reimann in seine Werke. «Das hat mir schon Eindruck gemacht!»