In meiner ersten Stunde im Nationalrat - es war vor der Vereidigung - habe ich eine grosse Sünde begangen. Alt-Präsident Helmut Hubacher waltete seines Amtes. Man stelle sich vor, Nationalrat Sieber meldete sich zu Wort, vor der Vereidigung und er redete und sprach von seinen Zielsetzungen im Nationalrat: «Auch das Predigen», habe ich gesagt «gehöre weiterhin zu meinem Alltag und meinem Auftrag.» Dieses Vorgehen entsprach allerdings nicht dem Artikel 75 der Bundesverfassung. Nie werde ich vergessen, wie es plötzlich akustisch erklang wie ein wanderndes Bienenvolk. Die Nationalräte flüsterten einander zu und empörten sich über mein Verhalten, eben vor der Vereidigung schon am Rednerpult aufzutauchen. Helmut Hubacher waren die Hände gebunden, er musste mich ausreden lassen, da er schon am Rednerpult stand. Aber ich habe gesagt, was ich wollte. So etwas sei vorher noch nie passiert, sagte man mir.
Ich war unterwegs zum Bahnhof in Bern. Da stellte sich auf dem Trottoir ein Mann vor mich hin und sagte: «Muss ich Ihnen jetzt Herr Pfarrer oder Herr Nationalrat sagen?» Er wartete meine Antwort gar nicht erst ab, sondern sagte ganz einfach: «Also auf Wiedersehen, Herr Nationalpfarrer!»
Unter der Decke mit Schweizer Kreuz eingeschlafen
Ich sass müde auf meinem Platz Nr. 44 im Nationalrat. Die Müdigkeit drückte mir die Augenlieder zu. Darum verliess ich den Nationalratssaal und pirschte in das Sanitätszimmer gleich nebenan. Dort gab es ein Bett mit zwei echten Armeedecken, die gekennzeichnet sind mit einem schönen Schweizer Kreuz. So lag ich also unter der Decke im Sanitätszimmer. Da hörte ich auf einmal die Stimme von dem mir lieben Hansruedi Nebiker. Er war damals Nationalratspräsident. Ich hörte ihn draussen sagen: «Wir gehen jetzt ins Sanitätszimmer.» Offenbar war da eine Delegation aus fremden Landen im Bundeshaus und liess sich das Labyrinth zeigen. Ich konnte mich nicht mal mehr von der Türe wegdrehen, die sich öffnete. Und der Hansruedi staunte über seine Entdeckung im Sanitätsbett. Niemand sagte ein Wort, aber leise schloss er die Türe wieder zu. Und vielleicht war es der Schlaf, der mich wieder übermannte, aber ich hörte das Stimmengewirr draussen, je länger je weniger - und dann kehrte die Stille wieder ein. Ich schlief unter der Decke mit dem Schweizer Kreuz...
Zu den Geschäften jenes Morgens im Nationalrat gehörte eine Diskussion über die Anschaffung der FA/18. Ich stand am Rednerpult und hatte das Gefühl, ich würde in die Luft gejagt, weil das höhenverstellbare Pult meiner Grösse wegen runtersauste. Und nun geschah Folgendes: Ich merkte wie Hansruedi hinter meinem Rücken zur Glocke griff und im Begriff war, weil ich die Redezeit von fünf Minuten überstrapazierte, diese zu läuten. Und wehe dem, wenn der Hansruedi läutete! Wenn dies geschah, musste der Redner schlagartig abbrechen. Im letzten Moment drehte ich mich zum Nationalratspräsidenten hinter mir um und sagte siegesgewiss: «Hansruedi, läute du ungeniert, denn Pfarrer sind es gewohnt, erst nach dem Läuten zu reden.»
«Kennen Sie Sieber, den Löli?»
Ein anderes Mal stieg ich mit knurrendem Magen in den Zug nach Zürich und sass da in einem Abteil, mir vis-à-vis ein Mann mit faltenreichem Gesicht und einer fast geometrisch krummen Nase. Er betrachtete mich kurz, packte dann aus einem Aluminiumpapier Wurst, Brot, Rüebli und Salz aus. Und er genoss offenbar seine Mittagsmahlzeit mit einem guten Mass Pankreassaft im Magen. Noch kaute er wie eine Zuckerrübenmaschine und fragte mich: «Wissen Sie, wie viele Obdachlose es in Zürich gibt?» «Ja, ich weiss», sagte ich. Er führte dann aber zu meinem Erstaunen aus: «Und kennen Sie Sieber, den Löli auch?» Ich beherrschte mich und sagte: «Ja, ja, ich habe ihn schon rasiert.» «Ah, dann sind Sie Coiffeur» meinte mein Gegenüber. Und nun hob er an, unrühmliche Geschichten von diesem Pfarrer zu erzählen. Die Leute auf den Sitzen wurden aufmerksam und «sträussten» die Ohren. «Ja, ja», machte der andere, mein vis-à-vis. «Der Löli hat eine Sekretärin, aber die wimmelt alle Besucher ab. An den kommt man nicht ran.» «Nun», erwiderte ich, «jetzt gehen Sie mal zum Pfarrhaus in Altstetten, dort klopfen Sie an die Scheibe und sagen laut und deutlich: Jetzt möcht ich mal den Pfarrer sprechen.» Und nun kommt die Pointe der Geschichte: Der Mitreisende sagte nämlich: «Ach was au, dr Herrgott wird scho däfür sorge, dass dä mir nomal über dä Wäg lauft...»
Einmal sass ich mit einer grossen Schar Politikern in einem Speisesaal eines Hotels. Ich hatte wenig Geld in der Tasche. Der Kellner nahm die Bestellungen auf und da ich mich nach der Decke strecken musste, bestellte ich eine Ochsenschwanzsuppe. Die kostete wenig. So langsam wie nur möglich löffelte ich, während meine Kollegen die verschiedenen Gänge genossen, meine Suppe aus. Wieder kam der Kellner und nach der Reihe bezahlten meine Kollegen die verschiedenen Menus - und dann kam schliesslich ich an die Reihe. In dem Moment näherte sich mir der Besitzer des Restaurants und rief über alle Tische hinweg: «Das freut mich aber, dass Sie Herr Sieber hier sitzen. Ich bezahle Ihnen Ihre Mahlzeit und tue das mit Freude.» (Eigentlich hätte ich noch einmal zugreifen sollen….)
Ehemalige und jetzige Parlamentsmitglieder erinnern in «Parlamentsgeschichten» an ihre Zeit unter der Bundeshauskuppel. Der Autor, François Loeb, wurde 1940 in Bern geboren. 1965 erwarb er das Diplom der Wirtschaftswissenschaften in St. Gallen. 27 Jahre lang war er Unternehmensleiter des Traditionskaufhauses LOEB in Bern, 1987-1999 Mitglied der grossen Kammer des Parlaments (Nationalrat). François Loeb lebt heute im Schwarzwald und stellte BLICK den Auszug von Pfarrer Ernst Sieber (†91) zur Verfügung.
Ehemalige und jetzige Parlamentsmitglieder erinnern in «Parlamentsgeschichten» an ihre Zeit unter der Bundeshauskuppel. Der Autor, François Loeb, wurde 1940 in Bern geboren. 1965 erwarb er das Diplom der Wirtschaftswissenschaften in St. Gallen. 27 Jahre lang war er Unternehmensleiter des Traditionskaufhauses LOEB in Bern, 1987-1999 Mitglied der grossen Kammer des Parlaments (Nationalrat). François Loeb lebt heute im Schwarzwald und stellte BLICK den Auszug von Pfarrer Ernst Sieber (†91) zur Verfügung.
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