Hemdsärmliger Blocher, konzilianter Rösti
Alice Weidel an Albisgüetli-Tagung

Der neue Bundesrat Albert Rösti und SVP-Übervater Christoph Blocher schwören am Freitagabend an der Albisgüetli-Tagung ihre Partei auf den Wahlkampf ein. Den Weg ins Albisgüetli gefunden hatte auch Alice Weidel.
Publiziert: 20.01.2023 um 23:11 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2023 um 19:31 Uhr
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«Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind nie selbstverständlich», sagte Albert Rösti an der Albisgüetli-Tagung in Zürich.
Foto: keystone-sda.ch
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Tobias OchsenbeinRedaktor Politik

Wahlkampf ist Volksnähe. Die Parteien müssen in diesem Wahljahr ihre Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Dafür müssen sie ran an die Leute, ganz dicht. Müssen mit kernigen Parolen Herzen und Hirne erreichen. Ja, Wahlkampf ist wichtig. Auch für die SVP.

Domenik Ledergerber (35), Präsident der Zürcher SVP, gab in seiner Begrüssungsrede zur 35. Albisgüetli-Tagung darum den über 1000 Gästen gleich die Direktive durch: «Sie alle, die ganze SVP muss im Wahlkampf sein. Denn das vergangene Jahr bleibt nicht nur wegen der drohenden Strommangellage in Erinnerung, sondern auch wegen neuer Rekordzahlen bei der Zuwanderung.» Ledergerber setzte also gleich zu Beginn der Veranstaltung den Ton und malte das düstere Bild der 10-Millionen-Schweiz.

Das Bevölkerungswachstum zerstöre die Umwelt, gefährde die Versorgungssicherheit mit Strom und Lebensmittel und führe auch sonst zu massiven Problemen. Es sei darum höchste Zeit, befand Ledergerber, die Parlamentarier auszuwechseln, die diese Zuwanderung zuliessen. Denn, soviel wurde an diesem Abend im Schützenhaus Albisgüetli in Zürich einmal mehr klar: Die Zuwanderungspolitik der Schweiz ist für die SVP auch Seismograf für Entwicklungen in Energie-, Bildungs- oder Wirtschaftsfragen.

«Alles im freien Fall»

Mit gewohnt kernigen Worten arbeitete auch alt Bundesrat und SVP-Übervater Christoph Blocher (82) wieder einmal die bekannten Schlagworte ab. Der «Dichtestress», die «10-Millionen-Schweiz» und die «unzumutbare Zuwanderung» waren darum zentrale Themen in seiner rund einstündigen Rede. Und wie bereits alt Bundesrat Ueli Maurer (72) vor zwei Wochen an der SVP-Kadertagung im Hotel Bad Horn bediente sich auch Blocher der Sackgasse-Metapher. Die Schweiz und mit ihr auch die SVP seien in einer Sackgasse gelandet, hineingetrieben von Linken und Grünen. Souveränität, Rechtsstaat, die Demokratie – alles befinde sich im freien Fall.

Dagegen, so Blochers Fazit, gebe es eigentlich nur eine Lösung: die SVP. Die Partei müsse das Ruder jetzt herumreissen und die Wahlen gegen die Roten und Grünen gewinnen. «Nur so kommt die Schweiz aus der Sackgasse», redete Blocher seinen Parteikolleginnen und -kollegen ins Gewissen. Und so weiter und so fort. Nach jeder dieser Parolen lachten und klatschten viele Anwesenden im Saal. Weil Blocher ihnen sagte, was sich gut auf SVP-Wahlplakate drucken lässt. Und womit sie aus der Sackgasse finden und auf krachende Offensive umschalten können.

Zum Schluss seiner Rede gab der SVP-Doyen im Namen der Zürcher SVP noch Empfehlungen für die Wahlen im Kanton Zürich vom 12. Februar ab: Die beiden bewährten SVP-Regierungsräte Natalie Rickli (46) und Ernst Stocker (67) hätten aufgrund ihrer guten Arbeit die Wiederwahl verdient.

Unterstützung auch für die anderen Bürgerlichen

Auch den parteifremden bürgerlichen Zürcher Regierungsrätinnen Carmen Walker-Späh (64, FDP) und Silvia Steiner (65, Mitte) sowie dem Direktor der Denkfabrik Avenir Suisse und FDP-Regierungsratskandidaten Peter Grünenfelder sprach Blocher seine Unterstützung aus. Sie alle waren anwesend am Freitagabend.

Sowieso liess sich viel Polit-Prominenz blicken am Fusse des Uetlibergs: Von alt Bundesrat Ueli Maurer (72) über Parteipräsident Marco Chiesa (48) bis hin zu alt Nationalrat Christoph Mörgeli (62) und den Nationalräten Magdalena Martullo-Blocher (53), Mauro Tuena (50) und Fraktionschef Thomas Aeschi (44) war alles da, was in der SVP Rang und Namen hat.

Weidel und Rösti

Und auch darüner hinaus: Die deutsche AfD-Politiker Alice Weidel (43) und ihre Schweizer Lebenspartnerin wurde ebenfalls im Albisgüetli gesichtet. Wie der Stadtzürcher SVP-Präsident Ledergeber gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagte, sei sie von der Partei aber nicht eingeladen worden, sondern mit einem anderen Gast gekommen.

Der prominenteste Gast allerdings war der neue SVP-Bundesrat Albert Rösti (55). Der neue Energieminister bemerkte gleich am Anfang seiner Rede, dass sich neue Bundesräte eigentlich erst nach 100 Tagen im Amt äussern. «Vielleicht habe ich es verwechselt mit 100 Stunden – so lange bin ich nämlich sicher schon im Amt», sagte Rösti. Nach einigem Geplänkel und Freundlichkeiten sprach er davon, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nie selbstverständlich seien. «Demokratie kann nur dann gelebt werden, wenn man miteinander diskutieren kann und das Volk bei Wahlen das letzte Wort hat.»

«Grossen Respekt vor den Erwartungen der Leute»

Schliesslich kam Rösti auf die Versorgungssicherheit in der Schweiz zu reden. «Ich habe grossen Respekt vor der Erwartung, dass die Leute in der Schweiz genügend Strom und Energie haben», beteuerte der neue Bundesrat. Er könne zwar nichts versprechen, aber er werde sich Tag und Nacht dafür einsetzten. Und dann wiederholte er in etwa, was er bereits vor zwei Tagen am Stromkongress in Bern gesagt hatte: Man müsse sehr schnell eine grosse Stromproduktion sicherstellen und schauen, dass Energiequellen nicht «unnötig früh» abgestellt würden.

«Nach gerade einmal 20 Tagen im Amt kann ich noch nicht vieles auf den Punkt bringen», sagte Rösti. Aber er versprach, die Argumente und Sichtweisen der SVP mit Vehemenz im Bundesrat zu vertreten.

Am Schluss seiner Rede versprach Rösti, dass er weiterhin Rückmeldungen aus der Basis abholen werde. Die Delegierten klatschten frenetisch Beifall. Standing Ovations für den Mann, der es nun in Bundesbern richten soll. Und dann stiessen die Anwesenden an: auf den Wahlkampf, die Geselligkeit – und die Schweiz.

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