Soll ein gestandener Unternehmer oder ein Verbandsfunktionär nach Bern? Einer, der Steuern abliefert, oder einer, der Subventionen abzuholen hilft? Vor dieser Wahl steht der Kanton Solothurn am 22. Oktober – und das mit prominenter Besetzung.
Auf der einen Seite steht der Chef des weltweit bekannten Medtech-Herstellers Ypsomed, Simon Michel (46), auf der anderen Seite der Bauernverbandsdirektor Martin Rufer (46). Beide kandidieren für die FDP, und das auf der gleichen Liste des Wahlkreises Solothurn. Doch wohl nur einer wird es schaffen, denn der Kanton hat bloss sechs Nationalratssitze zu vergeben, und die Konkurrenz ist gross. Der Gewinner ersetzt den abtretenden FDPler Kurt Fluri (68).
Die «heisseste Wette» in Solothurn
Wer das Rennen mache, sei derzeit «die heisseste Wette, die an Stammtischen abgeschlossen wird», sagt die Solothurner SP-Nationalrätin Franziska Roth (57). Als Linke beobachtet sie interessiert den Wahlkampf der Bürgerlichen. Denn gegen Michel treten noch zwei weitere angesehene FDPler aus dem Wahlkreis Olten an, auch sie sind wie Rufer Verbandsfunktionäre.
Roth kennt Simon Michel aus Stiftungen und hält mit Komplimenten für den Unternehmer-Kandidaten nicht zurück. «Simon Michel ist ein versierter kantonaler Politiker. Er hat ein grosses Know-how, ist seriös, kniet sich in die Themen rein», sagt die SP-Frau. Michel sei anders als andere «keine Fahne im Wind».
Vorzeige-Arbeitgeber
Roth hebt auch sein ziviles Engagement hervor. Michel fördere den Sport und habe ein Herz für Leute mit Behinderungen. «Bei Ypsomed finden Menschen mit Beeinträchtigungen Platz, die anderswo Probleme hätten, eine Anstellung zu finden», sagt Roth. Auch Jugendliche mit Auffälligkeiten würden bei Ypsomed eine zweite Chance erhalten.
Ypsomed sei bekannt als Unternehmen, bei dem die Leute langjährig blieben, selbst Pensionierte, die nach 65 weiterarbeiten wollten. Hohe Kader erhielten viel Freiraum bei ihren Aufgaben. Der Nationalratskandidat erscheint beruflich als ein Ausnahmekönner. Grund genug, ihn zu treffen.
Politik statt Mallorca
Michel mag sich nicht auf diesem Erfolg ausruhen. «Ich könnte den Sommer auf Mallorca in unserem Haus verbringen», sagt er, doch das liege ihm nicht. Politisiert wurde er 2017 mit dem EU-Thema. Seine Branche, die Medtech, hat als erste die volle Härte der EU wegen der erodierenden bilateralen Verträge zu spüren bekommen.
Sie wurde anfangs aus dem EU-Markt quasi ausgeschlossen. Michel und seine Branchenkollegen stellten sich auf die Hinterbeine. 2017 hat Michel den Verband Swiss Medtech mitgegründet, der sich für praktikable bilaterale Lösungen einsetzt. Das ist ihm gelungen.
Er stellte die EU-Kritiker ab
Auch die Pro-Bilateralen-Bewegung Progressuisse mit 600 Mitgliedern ist Michels Kind. «Sie soll Aussenminister Ignazio Cassis bei den Verhandlungen den Rücken stärken», erklärt er. Michel sieht sie als Gegenpol zu den lautstarken EU-Gegnern im Wirtschaftslager: Autonomiesuisse (Logistiker Hans-Jörg Bertschi & Co) und Kompass Europa (Alfred Ganters Partners Group & Co).
In diesem Kontext schaffte Michel ein Kunststück. Er holte die Gegner für Briefings an Bord, damit sie über den Verhandlungsverlauf der Schweiz mit der EU informiert seien. Seine Strategie zeigt Früchte. Beide, Hans-Jörg Bertschi (67) und Alfred Ganter (56) und ihre Kampfgefährten zeigen sich still, jetzt, da der Bundesrat in die letzte Phase der EU-Verhandlungen tritt. Und so kommt es, dass man Michel in der Wirtschaft als einen der bestinformierten EU-Insider wahrnimmt.
Neu im Topgremium von Economiesuisse
Wirtschaftsvertreter würden ihn, den Konzernchef Michel, gerne gewählt sehen, denn seine Klasse ist im Parlament Mangelware: Übrig sind Ems-Chefin Magdalena Martullo Blocher (54) und Ständerat Ruedi Noser (62). Doch Letzterer tritt ab. Und dies reisst ein Loch in die Wirtschaftskompetenz der FDP-Fraktion. So hoffen Parteistrategen, dass Michel das Rennen mache, «um Ruedi Noser zu ersetzen», wie sich einer ausdrückt.
Michel kann für sich verbuchen, letzte Woche in den Vorstandssausschuss des Dachverbandes Economiesuisse gewählt worden zu sein. «Es ist sicher einfacher, die Anliegen der Konzerne zu vermitteln, wenn jemand diese Welt aus eigener Anschauung kennt», sagt Gabriel Rumo, Direktor von Swissholdings, der Grossfirmen im Parlament vertritt.
Noser hofft auf zwei Sitze
Noser sagt, er würde sich über eine Wahl Michels «als mein Freund und Vollblutunternehmer» freuen. Dennoch wolle er nicht Partei ergreifen. Der Kanton habe vier ausgezeichnete Kandidaten. Mit Bauernverbandsdirektor Rufer stehe ein «urliberaler FDPler zur Wahl», mit dem er eng zusammengearbeitet habe. Noser glaubt, dass die FDP zwei Sitze holen werde und es Platz für beide habe.
Auch Geld hilft Michel, besser bekannt zu werden. «Das Politmarketing zeigt: Je mehr Wahlflyer im Briefkasten liegen, desto mehr Stimmen erzielt man als Kandidatin oder Kandidat», sagt Michel. Persönlich investiert er «einen hohen fünfstelligen Betrag». Spenden habe er erhalten, aber die lägen unter der Offenlegungslimite von 15’000 Franken.
Bis jetzt konnte Michel vieles in seinem Leben hin zum Erfolg steuern. Ob ihn aber das Fussvolk nach Bern schickt, ist völlig unklar.
35 Bauern, zwei Konzernlenker
Sein Wahlkampfpartner Martin Rufer findet den Gegensatz von Unternehmer und Bauernvertreter unpassend. Die Zeiten seien «vorbei, als es sich Landwirtschaft und Wirtschaft leisten konnten, gegeneinander anzutreten», sagt er. Er sei 2020 als Verbandsdirektor angetreten, um diese Gräben zu schliessen.
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«Ich habe wesentlich dazu beigetragen, dass heute der Bauernverband, Economiesuisse und weitere Wirtschaftsverbände wieder zusammenspannen und Abstimmungen gewinnen.» Wer einen Keil zwischen Landwirte und andere Unternehmer treibe, helfe nur links-grünen Ideen. Michel ist mit ihm da völlig einverstanden.
Und doch bleibt der Fakt, dass im heutigen Parlament etwa 35 Bauernvertreter sitzen und bloss zwei Vertreter, die die Grossfirmen aus dem Effeff kennen. Und dass der Bauernlobby wichtige Freihandelsverträge verhindert hat, was der Wirtschaft schadet. Wenn Topunternehmer Noser geht, wäre Michel die naheliegendste Alternative für die FDP im Nationalrat.