Hausbesuch bei Bundesrat Guy Parmelin
«Ich habe die Knochen eines Zwanzigjährigen»

Wirtschaftsminister Guy Parmelin hört viel von den Sorgen der Bevölkerung. Daheim in Bursins erholt sich der Bundesrat beim Comiclesen und mit seiner Frau Caroline. Er erzählt, wie die beiden den Alltag organisieren und warum er von ihr keinen Deutschunterricht will.
Publiziert: 19.10.2024 um 12:42 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2024 um 21:16 Uhr
Bundesrat Guy Parmelin zeigt zu Hause in Bursins VD seine Comicsammlung. «Diese Ausgabe von ‹Leutnant Blueberry› haben die beiden verstorbenen Autoren signiert.»
Foto: Kurt Reichenbach

Auf einen Blick

  • Guy Parmelin erholt sich gut von seinem Armbruch
  • Parmelin ist seit neun Jahren in der Landesregierung
  • Erfolge: Freihandelsabkommen mit Indien, Abschaffung der Industriezölle
  • Parmelin ist seit 30 Jahren mit Frau Caroline verheiratet
  • Schweizer Inflation moderat, Ziel nicht mehr als zwei Prozent
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Philippe Clot
Philippe Clot
Schweizer Illustrierte

Guy Parmelin (64) sitzt im Wohnzimmer seines Hauses in Bursins VD und blättert im Comic über Leutnant Blueberry. Der Bundesrat ist grosser Comicfan, den frankobelgischen Kultwestern mag er besonders. Was auffällt: Der Oberarm, den der SVP-Politiker im Sommer noch in einer Schlinge trug, scheint wieder einwandfrei zu funktionieren. «Mir geht es wieder gut», sagt er.

Mitte August hat sich der Wirtschaftsminister beim Sturz in seinem Büro im Bundeshaus Ost den rechten Oberarm gebrochen und musste im Inselspital operiert werden. «Ich habe nur noch leichte Schmerzen bei bestimmten Bewegungen wie zum Beispiel beim Hochziehen eines Rollladens.» Vor ein paar Tagen hatte er einen Kontrolltermin, um zu sehen, ob alles wieder an seinem Platz ist. «Mein Arzt bescheinigte mir, dass ich die Knochen eines 20-Jährigen habe», sagt Parmelin und lacht.

Herr Bundesrat, Sie sitzen seit neun Jahren in der Landesregierung. Werden Sie 2026 ein zweites Mal Bundespräsident?
Guy Parmelin:
Ich bin kein Hellseher und kann daher nicht wissen, ob mich das Parlament nochmals in dieses Amt wählt. Sicher ist jedoch, dass mich die Vereinigte Bundesversammlung für eine dritte Legislaturperiode bestätigt hat. Und mir macht die Arbeit Spass, auch wenn sie nicht immer leicht ist.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

Was ist schwierig?
Ich bin im Verteidigungsdepartement gestartet, wo ich nur um ein Minimum an Mitteln kämpfen musste, weil das internationale Umfeld ruhig war. Später im Wirtschaftsdepartement musste ich die Auswirkungen der Covid-Krise und dann jene der Energiekrise mit dem Krieg in der Ukraine bewältigen. Der Druck ist permanent da, aber zum Glück bin ich nicht allein. Ich habe ausgezeichnete, motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Im Frühjahr haben Sie das lange verhandelte Freihandelsabkommen mit Indien unterzeichnen können. Ihr wichtigster Erfolg?
Das Freihandelsabkommen mit Indien ist sicher ein Meilenstein für die Schweizer Handelspolitik. Aber dank meinen guten Beziehungen zum Parlament konnte ich auch andere wichtige Projekte realisieren. Dazu gehören nebst dem Abkommen mit Indien die Abschaffung der Industriezölle oder das Gesetz über die administrative Entlastung von Unternehmen. Es gibt aber noch einige offene Dossiers, die mir sehr am Herzen liegen.

Die wären?
Ich möchte insbesondere der jungen Generation von Bauern Perspektiven bieten. Diese ist leider zunehmend entmutigt. Und ich habe vor, die Stellung der Frauen in der Landwirtschaft zu verbessern.

Caroline und Guy Parmelin: Seit 30 Jahren glücklich verheiratet.
Foto: Kurt Reichenbach

Caroline Parmelin (61) kommt gut gelaunt mit Einkaufstüten ins Haus. In der Küche packt sie die berühmten Waadtländer Kohlwürste aus. «Die gibts morgen zum Znacht. Meine Mutter und Guys Vater sind unsere Gäste.» Seit 30 Jahren sind die Parmelins verheiratet. Carolines Vater war Zürcher mit Wurzeln im italienischen Veneto, ihre Mutter Bayerin. Als Caroline fünf Jahre alt war, zog die Familie in die Waadt. Sie spricht Schweizerdeutsch, arbeitet als Deutschlehrerin. «Unser Leben hat sich seit der Wahl von Guy in den Bundesrat komplett verändert.»

«Der Terminkalender ist stets schnell gefüllt. Das bedeutet, wir müssen uns besser denn je organisieren.» Sie reise jeweils am Mittwoch zu ihrem Mann nach Bern, wo die beiden eine Wohnung gemietet haben. Am Freitagabend kehren sie gemeinsam nach Bursins zurück, «sofern es seine Arbeit zulässt». Abgesehen davon sei ihr Leben im Vergleich zu Regierungsvertretern anderer Länder sehr normal. Beim Staatsbesuch von Emmanuel Macron (46) im vergangenen November in Bern sass Caroline Parmelin beim Bankett neben Brigitte Macron (71), die ihr vom Leben als First Lady Frankreichs erzählte. «Sie sagte mir, dass sie keine Presse mehr liest. Und wenn sie joggt, wird sie von Paparazzi verfolgt. Das ist eine andere Welt.» Als Ehefrau eines Bundesrats habe sie Glück, noch ein Privatleben zu haben.

Viele Schweizer Haushalte leiden unter der Teuerung. Was können Sie da als Wirtschaftsminister ausrichten?
In der Schweiz ist die Inflation glücklicherweise moderat im Vergleich zur Europäischen Union, wo einige Länder mit einer deutlich höheren Teuerung kämpfen. Die Nationalbank hält die Inflation auf Kurs. Das Ziel ist nicht eine Nullinflation, sondern nicht mehr als zwei Prozent. Dies ist zurzeit der Fall. Man darf nicht vergessen, dass auch der starke Schweizer Franken die Inflation unter Kontrolle gehalten hat. Er ermöglichte, Güter zu moderaten Preisen zu importieren.

Ein staatlicher Preiseingriff kommt für Sie nicht infrage?
Ich will die aktuellen Schwierigkeiten eines Teils der Bevölkerung nicht verharmlosen. Aber es ist absehbar, dass es im Dezember oder Anfang nächsten Jahres zu einer Entspannung bei den Mietpreisen kommen wird. Die Rolle der Regierung besteht in erster Linie darin, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für unsere Unternehmen zu gewährleisten.

Die wären?
Wir ersparen ihnen zusätzliche Kosten, damit sie wettbewerbsfähig bleiben, ihre Produkte weiter exportieren und ihre Arbeitsplätze erhalten können.

Der Bundeshaushalt sorgt in Bern für hitzige Debatten. Klar ist: Der Trend geht weg von Ausgaben und Subventionen.
Einige Nachbarländer kompensieren die aktuellen Schwierigkeiten mit Subventionen, welche die Staatsverschuldung erhöhen. Das Schweizer System beruht auf individueller Verantwortung. Natürlich werden seit der Covid-Krise hohe Erwartungen an den Staat gestellt. Aber der Staat, die Kantone und die Gemeinden müssen einen Handlungsspielraum behalten, falls es zu einem grossen Knall kommt. Diese Haltung hat es uns ermöglicht, während Covid knapp 35 Milliarden Franken zu investieren, ohne unsere Schuldenquote zu erhöhen, während andere Länder mit steigenden Zinsen an die Kandare genommen werden.

Ein Glas eigener Chasselas zum Apéro. Mit seiner Frau Caroline geniesst der Bundesrat am Wochenende die Zweisamkeit.
Foto: Kurt Reichenbach

Der Mechanismus der Schuldenbremse bleibt in Bern also mehr denn je sakrosankt.
Ja, der Bundesrat hält an diesem System fest. Und ich erinnere daran, dass das Volk 2001 den Verfassungsartikel mit einer überwältigenden Mehrheit angenommen hat. Wenn nun über eine Reform diskutiert wird, ist das gut und gehört zu einer echten Demokratie. Die Frage ist insbesondere, ob es angebracht wäre, die Schuldenbremse zu lockern, um in schwierigen Zeiten zu investieren. Ich hatte Gelegenheit, mit Pierre Moscovici, dem ehemaligen sozialistischen Wirtschaftsminister und derzeitigen Ersten Präsidenten des Rechnungshofs in Frankreich, darüber zu sprechen.

Was hat er Ihnen gesagt?
Er bewundere die Fähigkeit der Schweiz, ihre Verschuldung unter Kontrolle zu halten. Frankreich ist mit über 110 Prozent seines BIP verschuldet. Das verursacht enorme Zinskosten.

Nach dem ernsteren Teil des Interviews führt Guy Parmelin die Gäste in den Weinkeller. Dort lagern auch Weine vom Familiengut, das von Christoph Parmelin, dem Bruder des Bundesrats, geführt wird. Die Chasselas-Trauben verkaufen sie, einen kleinen Teil lassen sie für Freunde und Familie keltern. An der Wand hängt zudem ein Plakat des FC Lausanne-Sports. «Ich war immer schon Fan von ihnen. Mein Bruder hingegen unterstützt seit je den FC Servette. Das gab ab und zu Probleme», erzählt er augenzwinkernd.

Im Weinkeller lagern natürlich auch Weine vom eigenen Weingut. Die Ernte ist gerade in vollem Gange.
Foto: Kurt Reichenbach

Was schätzen Sie an Ihrem Job?
In erster Linie den Kontakt mit der Bevölkerung. In dem Berner Viertel, wo ich unter der Woche wohne, grüssen mich die Leute, und ich tausche manchmal ein paar Worte mit ihnen aus. Das gefällt mir sehr. Wenn mich jemand um ein Selfie bittet, mache ich das gern.

Manchmal erleben Sie aber auch aussergewöhnliche, sogar historische Momente.
Das Gipfeltreffen zwischen den USA und Russland im Jahr 2021 war natürlich ein grosser Moment in meinem Leben. Selbst wenn das Ergebnis, wie mein Vater später mit einem Lächeln bemerkte, nicht so toll ist. Auch die Kontakte mit meinen ausländischen Kollegen sind oft sehr angenehm. Wenn die protokollarischen Zwänge überwunden sind, kommt es vor, dass wir uns sagen: «Jetzt duzen wir uns und tauschen Handynummern aus.» Es ist wichtig, eine persönliche Beziehung aufzubauen und gegenseitiges Vertrauen zu schaffen, wenn es darum geht, später ein Problem zu lösen.

Wie beurteilen Sie Ihre Fortschritte in Deutsch?
In Bern wird mir versichert, dass sie sehr gut sind (schmunzelt).

Auch dank Ihrer Frau Caroline?
Nein, denn ich weigere mich, Deutsch zu sprechen, wenn ich nach Bursins zurückkomme. Meine Frau hat anfangs versucht, mich zu coachen, aber ich habe dankend abgelehnt. Ich spreche und höre die ganze Woche Deutsch und lese Akten, die überwiegend auf Deutsch verfasst sind. Ich habe das Recht, mich in einem rein französischsprachigen Umfeld zu erholen, wenn ich bei ihr oder im Dorf bin.

Der Spruch in Anlehnung an die berühmte Käsewerbung mit dem Zusatz: «Seien Sie schlau, und trinken Sie einen Parmelin!»
Foto: Kurt Reichenbach
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