Hat sich Möhlin AG strafbar gemacht?
22 Asylsuchende kurzerhand eingesperrt

22 Asylbewerber mussten letzte Woche in der Aargauer Gemeinde Möhlin in Quarantäne. Als Vorsichtsmassnahme baute die Verwaltung einen Zaun um die Unterkunft. Absolut fragwürdig und kaum legal, finden Kritiker.
Publiziert: 28.11.2020 um 10:52 Uhr
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Während zehn Tagen mussten sich die Geflüchteten im Asylheim Möhlin einen Spaziergang abschminken.
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser und Noa Dibbasey

Grundsätzlich gilt: Wer ein schweres Verbrechen begeht und erwischt wird, kommt vor Gericht. Der Richter kann eine Gefängnisstrafe verhängen. Der Verurteilte hat die Möglichkeit, gegen das Urteil Rekurs einzulegen. In diesem Fall wird der Gerichtsentscheid überprüft.

So funktioniert unser Rechtssystem – für gewöhnlich. Nicht aber im aargauischen Möhlin. Hier haben der Gemeinderat und die fürs dortige Asylzentrum zuständige Firma ORS das Heft selbst in die Hand genommen und beschlossen, die 22 Bewohner des Zentrums vorübergehend einzusperren. Auslöser war ein Corona-Fall im Heim.

Verbrochen haben die Bewohner nichts. Sich dagegen wehren konnten sie sich dennoch nicht. Er war eine reine Vorsichtsmassnahme, damit sich alle in der Unterkunft an die notwendige Quarantäne halten. So hat man das Zentrum kurzerhand eingezäunt und es durch einen Sicherheitsdienst bewachen lassen, wie das SRF-«Regionaljournal» publik machte.

Freiheitsrecht eingeschränkt

«Der Zaun war nötig», verteidigt sich Lutz Hahn, Sprecher der ORS, gegenüber BLICK. Es sei zu befürchten gewesen, dass sich einige Bewohner nicht an die Quarantäne halten und sich unerlaubt aus der Unterkunft entfernen würden.

Dennoch war das wohl ungesetzlich, wie El Uali Said, Leiter der Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende im Aargau, festhält. Denn: «Mit dem Aufstellen eines Zauns wird ein Grundrecht – nämlich das Recht auf Bewegungsfreiheit – eingeschränkt.»

«Leute, die Kontakt mit Corona-Infizierten hatten, müssen in Quarantäne – das ist eine kantonale Verfügung», entgegnen die ORS und die Gemeinde Möhlin auf solche Anschuldigungen. Es handle sich bestimmt nicht um Freiheitsberaubung, meinen sie.

Nur: Wenn Vreni Müller positiv getestet wird, steht am nächsten Tag auch kein Bauzaun um ihr Haus, damit niemand aus der Familie Müller stiften geht – bei den vorläufig aufgenommenen Männern in Möhlin aber schon. Bei vorläufig Aufgenommenen handelt es sich um Personen, die zwar kein Asyl erhalten haben, aber bis auf weiteres in der Schweiz bleiben können, da sie nicht zurückgeschickt werden dürfen, weil in ihrer Heimat beispielsweise ein Krieg tobt.

«Bewohner unter Generalverdacht»

Said überzeugt die Argumentation der Möhliner nicht. «Warum setzt man diese Massnahmen nicht bei allen um, sondern nur bei vorläufig Aufgenommenen, die sowieso schon vom Rest der Gesellschaft isoliert sind?», fragt er.

Und Rolf Schmid vom Netzwerk Asyl ergänzt: «Es gibt überall Menschen, die sich nicht an die Regeln halten – mit diesem Zaun stellt man aber alle Bewohner der Unterkunft unter Generalverdacht.» Die fehlende Gleichberechtigung bereitet im Sorge. Ausserdem könne gerade bei Kriegsflüchtlingen etwas ausgelöst werden, wenn man hinter Gitter gesteckt werde, meint Schmid.

Eingezäunt, um zu «verschnaufen»

«Es handelt sich um einen Bauzaun», beschwichtigt Möhlins Gemeindeschreiber Marius Fricker. Es sei wirklich nicht darum gegangen, die Bewohner wegzusperren, sondern darum, den Austausch zu anderen Unterkünften zu minimieren und den Bewohnern die Möglichkeit zum «verschnaufen» zu geben.

Am Donnerstag war die zehntägige Quarantäne beendet worden, der Zaun wurde wieder abgebaut. «Es haben keine weiteren, uns bekannten Ansteckungen in der Region stattgefunden», ist Fricker froh.

Das akute Ansteckungsrisiko ist erstmal vom Tisch. Es wird sich aber weisen, ob das zwischenzeitliche Wegsperren der vorläufig Aufgenommenen nicht noch ein juristisches Nachspiel hat.

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