Hans-Ulrich Bigler und Zeno Staub
Die Wirtschaftspromis haben sich bei den Wahlen verspekuliert

Eine exklusive Wahlanalyse zeigt: Hans-Ulrich Bigler und Zeno Staub fehlten Hunderttausende Listenstimmen zur Wahl. Andere lagen nur knapp daneben.
Publiziert: 04.11.2023 um 00:40 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 08:22 Uhr
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Hat viel zu wenige Listenstimmen erhalten: Vontobel-CEO Zeno Staub bei einer Strassenaktion in Zürich während des Wahlkampfs.
Foto: Siggi Bucher
Andreas Valda
Handelszeitung

Wie knapp haben Nichtgewählte den Einzug in den Nationalrat verpasst? Diese Frage stellen sich derzeit etliche prominente Wirtschaftsführer. Manche hatten über Hunderttausend Franken in den Wahlkampf investiert und – ausser einem höheren Bekanntheitsgrad – wenig erreicht. Die «Handelszeitung» hat als Erste darüber berichtet.

Basierend auf der neuen Methode der Professoren Simon Lüchinger, Mark Schelker und Lukas Schmid der Universitäten Luzern und Freiburg wird ersichtlich, wie stark die Wahlverlierer unter ihnen daneben lagen und warum. Zwei Beispiele.

Dem bekannten Ex-Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler (SVP) fehlten extrem viele Listenstimmen, um gewählt zu werden, genauer gesagt 330’306. Die Zahl erscheint hoch, ist aber korrekt.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Ähnliches widerfuhr Vontobel-Chef Zeno Staub (Mitte). Dem erfolgsverwöhnten Banker fehlten 279’615 Listenstimmen zum Sitzgewinn.

Vor diesen Hintergrund fällt auf, dass beide Wirtschaftspromis auf ein und dieselbe Marketingstrategie gesetzt hatten: Sie setzten sich auf Rang eins einer eigenen Unterwahlliste und wollten damit den Wirtschaftsbezug ausspielen sowie ihre Wirtschaftsnetzwerke spielen lassen. Mit dieser Taktik hofften sie, in die Ränge zu kommen. Bigler und Staub beackerten beide ein wirtschaftsaffines Publikum und fokussierten sich in der Werbung denn auch auf Wirtschaftsthemen.

Diese Marketingstrategie hat sich bei der Wahl 2023 aber nicht ausbezahlt. Im Gegenteil: Auf einer eigenen Unterwahlliste zur Wahl anzutreten und den Wirtschaftsbezug herauszustreichen – dieser Plan endete in einem Fiasko.

Besser auf der Parteihauptwahlliste stehen

Für andere Wirtschaftsführer hingegen, die auf der Parteihauptwahlliste kandidierten, lohnte sich die Kandidatur eher. Zwei Beispiele sind der IAZI-Chef Donato Scognamiglio (für die EVP) und der Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher (für die FDP). Sie verpassten die Wahl in den Nationalrat je nur knapp. Dem IAZI-Mann fehlten 8857 Stimmen, dem Swissmem-Vertreter bloss 8009 Stimmen. Das sind ein ein paar Promille des Wählerpotentials. Zum Vergleich: Der Kanton Zürich hat 970’000 Wahlberechtigte.

Wahlsystem favorisiert Wirtschaftswahllisten nicht

Mit ein Grund für das Scheitern von Bigler und Staub ist das Wahlsystem. Es favorisiert bei Listenverbindungen rechnerisch die Kandidaten der dominanten Wahlliste.

Konkret: Biglers KMU-Liste war im Verbund mit der SVP-Hauptwahlliste. SVP-Wählende legten vor allem diese Hauptwahlliste in die Urnen. Biglers KMU-Liste wurde geschätzt nur rund 2000-mal eingelegt. Nötig gewesen wären aber rund 11’200 Wählende, die die Liste komplett eingeworfen hätten. Die Differenz beläuft sich auf geschätzt fehlende 9200 Listen für einen Platz im Nationalrat. Die Rechnung geht so: 9200 zusätzliche Wahllisten mal 36 Stimmen pro Liste, ergibt rund 330’000 Listenstimmen. Nur so hätte Bigler die nötigen Listenstimmen erhalten, um im Nationalrat einzuziehen.

Jetzt aber ging Biglers KMU-Liste leer aus. Weil er weit darunter lagt, «saugte» die SVP-Hauptwahlliste ihm die Stimmen der Unterwahllisten ab und die Kandidierenden auf Hauptwahllisten wie Thomas Matter und Gregor Rutz erhielten alle Nationalratssitze.

Bigler kann nicht einmal darauf hoffen, dereinst als Ersatzmann für einen zurückgetretenen SVP-ler nachzurücken. Dies, weil seine KMU-Liste keinen einzigen Sitz ergattert hat.

Vergleichbares gilt für den Mitte-Kandidaten Zeno Staub. Seine Partei hatte im Kanton Zürich zwar Erfolg. Sie machte mit der Hauptwahlliste am allermeisten Stimmen und errang zwei zusätzliche Nationalratsmandate. Doch Staub selber ging leer aus, weil er auf einer eigenen Liste kandidierte. Seine Unterwahlliste wurde bloss rund 5000-mal eingeworfen. Um zu gewinnen, hätten zusätzlich rund 8000 Wählende seine Unterwahlliste einwerfen müssen. Nur so hätte Staub die fehlenden 280’000 Listenstimmen erreicht. Die Rechnung geht wie folgt: 8000 Listen mal 36 Stimmen pro Liste, ergibt 288’000 Listenstimmen.

Nachrücken nur auf der Hauptparteiliste

Dass andere Wirtschaftsführer erfolgreich auf einer Hauptwahlliste ihrer Partei kandidierten, hat für sie einen grossen Vorteil. Sie können in den Nationalrat nachrücken, wenn ein Mitglied der gleichen Kantonalpartei zurücktritt.

IAZI-Chef Scognamiglio ist erster Ersatzmann auf der EVP-Liste für den Gewählten Nik Gugger. Stefan Brupbacher ist dritter Ersatzmann der fünfköpfigen Zürcher FDP-Abordnung.

Der St. Galler Christof Züger ist erster Ersatzmann der kantonalen FDP, sollte Marcel Doppler oder Susanne Vincenz-Stauffacher vorzeitig abtreten. Ihm fehlten bloss 13’639 Stimmen.

Keine Hoffnung, wenn Partei ganz abschifft

Keine Hoffnung machen kann sich hingegen der Genfer Unternehmer und Zahnarzt Michel Matter, er betreibt eine Dentalbehandlungskette. Zwar stand Matter auf Rang eins der Parteihauptliste der Grünliberalen. Doch seine Partei fiel bei den Wählern in Ungnade. Sie erhielt im Vergleich zu den anderen Parteien zu wenig Listenstimmen. So fielen die Grünliberalen und damit Matter aus der 12-köpfigen Genfer Vertretung im Nationalrat.

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