Die SVP geht in die Vollen: Am Dienstag reicht die Partei in beiden Parlamentskammern ein umfassendes Vorstoss-Paket ein. Das kündigt Fraktionschef Thomas Aeschi (44) gegenüber SonntagsBlick an.
Die Forderung: Keine Asylverfahren mehr in der Schweiz! Asylsuchende, deren Gesuch bearbeitet wird, will die SVP nach Ruanda schicken. Weiter verlangt die Partei eine geschlossene Transitzone entlang der Schweizer Grenze. Ausserdem seien abgewiesene Asylbewerber umgehend auszuschaffen.
Mehr noch: Aeschi verweist auf die Notstandsklausel im Asylgesetz. Diese erlaubt im Fall von Ausnahmesituationen die Einführung von ausserordentlichen Massnahmen – dazu gehören insbesondere systematische Grenzkontrollen. «Die Schweiz muss diese Notstandsklausel jetzt aktivieren», sagt Aeschi. «Wir müssen die Grenzen sichern. Sonst gerät die Lage ausser Kontrolle.» Aeschi will die SVP-Vorstösse noch in der Sommersession beraten. «Mit dem Massenzustrom an illegalen Einwanderern und Asylmigranten ist die Lage brandgefährlich!»
Keine neuen Forderungen
Schon 2015 forderte die SVP die Aktivierung der Notstandsklausel. Damals hob gerade die Flüchtlingskrise an. Doch der Vorstoss scheiterte. Und heute?
Im Zentrum des Sturms stehen Allerweltshäuser im Kanton Aargau: schmutzige Fassaden, Giebeldächer, braune Fensterläden. Die SVP hat sie zum Symbol dafür erkoren, was gegenwärtig alles schiefläuft in der Schweizer Asylpolitik.
Am vergangenen Montag wurde bekannt, dass 49 Mieterinnen und Mieter dreier Liegenschaften in der Gemeinde Windisch die Kündigung erhalten haben. In ihre Wohnungen an der Mülliger- und Zelglistrasse sollen baldmöglichst minderjährige Asylsuchende einziehen.
Für die SVP ein Affront – und eine Steilvorlage: «Schweizerinnen und Schweizern ihre Wohnungen zu kündigen, um Asylsuchende einzuquartieren, ist die schlimmste Entscheidung, die man treffen kann», sagte Parteichef Marco Chiesa (48) im Blick. Als Bauernopfer seinen Kopf hinhalten musste Parteikollege und Regierungsrat Jean-Pierre Gallati (56), der im Kanton Aargau für das Flüchtlingswesen zuständig ist.
Profitgier und nicht Asylwahnsinn
In der Zwischenzeit hat sich Gallati bei den Mieterinnen und Mietern für das unsensible Vorgehen entschuldigt. Klar wurde aber auch, wie es überhaupt zu diesem ganzen Schlamassel kommen konnte: Der Immobilienbesitzer plante den Abbruch der Liegenschaften schon länger, die Anfrage des Kantons für eine Asyl-Zwischennutzung kam ihm deshalb entgegen.
Hat sich die SVP im Fall Windisch verrannt? Von Wohnungsnot statt Asylkrise spricht jedenfalls CS-Immobilienexperte Fredy Hasenmaile: «Die Flüchtlinge sind nicht der Grund für das Wohnungsproblem.» Wer anders argumentiere, zäume das Pferd von hinten auf. «Das wahre Problem sind die schlechten Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau.»
SVP-Chef Chiesa stimmt die neue Faktenlage allerdings nicht milde. Im Gegenteil. Gegenüber SonntagsBlick doppelt er sogar nach: «Der Skandal ist, dass Schweizer Mieter auf die Strasse gestellt werden, um Platz für Asylmigranten zu schaffen – und der Kanton Aargau hilft mit.» Mit dem Begriff «Zwischennutzung» wolle man diesen Skandal bloss schönreden.
Windisch sei leider nur der Anfang, sagt Chiesa weiter. Dass dort ein privater Investor seine neu erworbene Immobilie vergolden will, tue nichts zur Sache. «Das sind private Entscheidungen, die leider auch hart sein können für Mieter.»
Die Zahlen steigen
Tatsächlich steigt der Druck auf die Schweiz. Seit Anfang Jahr haben die Kantone pro Woche zusammengezählt rund 800 Asyl- und Schutzsuchende zur Unterbringung vom Bund zugeteilt erhalten. Im letzten Jahr waren es in der gleichen Periode rund 500. Für 2023 rechnet das Staatssekretariat für Migration (SEM) im wahrscheinlichsten Szenario mit 27'000 Asylsuchenden, möglich seien aber auch bis zu 40'000.
Die Folge: Der Druck auf die Kantone steigt, wie eine Umfrage von SonntagsBlick zeigt.
Kommentar zum Thema
Das grösste Problem sei die Wohnungsnot, sagt der Kanton Genf. «Geeignete Objekte sind rar», sagt der Aargau. Das gleiche Bild in Basel-Stadt, wo zurzeit eine Wohnmodul-Siedlung mit 140 Plätzen aus dem Boden gestampft wird. «Für den Fall von akuten Unterbringungsengpässen stehen zudem mehrere Schutzanlagen bereit», sagt der Kanton.
Auch in Zug werden demnächst Module gebaut, in denen bis zu 230 Menschen untergebracht werden können. Verschiedene Kantone bringen Asylsuchende in Hotels unter. St. Gallen lässt ausrichten: «Die Strukturen zur Unterbringung von Asylsuchenden sind aktuell stark ausgelastet.»
Unterbringung im Bunker
Der Kanton Aargau hat bereits eine unterirdische Anlage in Muri in Betrieb genommen, eine weitere eröffnet er am Montag in Birmenstorf. Die nächsten unterirdischen Unterkünfte dürften schon bald in Aarau und Lenzburg folgen. Der Kanton hält fest: «In der Tat müssen wir uns auch mit der Frage auseinandersetzen, was ist, wenn auch diese Notunterkünfte voll sind und neue reguläre Unterkünfte nicht rechtzeitig bereitstehen.» Der Kanton Basel-Landschaft sagt: «Die Lage bleibt in den kommenden Monaten angespannt.»
Einfacher wird es wohl wirklich nicht. Im SEM jedenfalls herrscht Alarmstufe Rot. Der Bund rechnet mit einer markanten Zunahme der Asylsuchenden in den kommenden Monaten – und operiert bereits mit Szenarien, die mit dem Aufbau von Zeltdörfern rechnen.
Damit steigt der Druck auf Asylministerin Elisabeth Baume-Schneider (59). SVP-Aeschi nahm sie schon am Dienstag direkt ins Visier: Er sei «schwer enttäuscht und schockiert» von ihrer «anti-schweizerischen Politik», schrieb er auf Twitter.
Es dürfte nicht der letzte Angriff auf die SP-Bundesrätin gewesen sein.