Die Altersheime sind vielerorts am Anschlag. Erkrankte Senioren, überlastetes oder zu wenig Personal – Corona sorgt für Dauerstress. Bei akutem Personalmangel arbeiten selbst Pflegekräfte weiter, welche eigentlich in Quarantäne müssten oder sogar positiv getestet sind.
Das Bundesamt für Gesundheit erlaubt dieses Vorgehen in einem Factsheet sogar explizit, wenn «akuter, weitverbreiteter Personalmangel» herrscht und der zuständige Kanton der Weiterbeschäftigung zustimmt. Die Betroffenen dürfen in diesem Fall arbeiten, «solange sie keine Symptome haben». Im Privaten hingegen müssen sich die Betroffenen an die Quarantänevorgaben halten.
Gewerkschaftsboss interveniert bei Bundesrat
Darüber kann SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard (52, VD) nur den Kopf schütteln. «Einer der wenigen Orte, an denen Quarantänen nicht strikt durchgesetzt werden, sind ausgerechnet die Pflegeinstitutionen, in denen die am stärksten gefährdeten Personen versammelt sind», sagt der Präsident des Gewerkschaftsbundes. «Es kann doch nicht sein, dass jemand zum Arbeiten gezwungen wird, der in Quarantäne sein müsste – und so andere Menschen gefährdet.»
Maillard will vom Bundesrat in einem Vorstoss nun wissen, in welchen Kantonen die Quarantäne bei Pflegefachleuten nicht eingehalten wird.
Dem Sozialpolitiker ist das Dilemma durchaus bewusst, dass der Personalmangel noch grösser wird, wenn zahlreiche Pflegekräfte in Quarantäne müssen. Doch genau bei diesem Punkt will er ebenfalls ansetzen. «Die Kantone müssen jetzt erst recht in zusätzliches Pflegepersonal investieren», fordert Maillard, «notfalls muss der Bund die Kantone zwingen, den Personalbestand zu erhöhen, um damit die Einhaltung des Arbeitsgesetzes sicherzustellen und die Quarantänepflicht durchzusetzen». Wenn nötig, müsse auch der Bund finanzielle Mittel sprechen, damit dies möglich werde.
Kurzfristig könne Hilfspersonal eingesetzt werden, um die Pflegeprofis zu entlasten, so Maillard. Langfristig müssten die Kantone aber zusätzliches Personal ausbilden. «Die Corona-Pandemie wird uns noch einige Zeit beschäftigen – auch mit der Impfung ist sie nicht gleich vorbei.»
Support von Pro Senectute
Bei der Organisation Pro Senectute stösst Maillards Forderung auf Support. Die Situation in den Alters- und Pflegeheimen sei zwar sehr heterogen, und es gebe auch gute Beispiele, sagt Mediensprecher Peter Burri Follath. Doch grundsätzlich hält er fest, dass man es verpasst habe, aus den Erfahrungen der ersten Welle die notwendigen Schlüsse zu ziehen, obwohl auch die Alters- und Pflegeheim stark betroffen gewesen seien.
«Der Sommer wurde nicht dazu genutzt, sich entsprechend auf den Herbst und Winter vorzubereiten oder auch politisch die notwendigen Weichen zu stellen», so Burri Follath. Zwar sei im Gegensatz zur ersten Welle zusätzliches Schutzmaterial vorhanden. «Aber bei der Umsetzung von einheitlichen Konzepten sowie bei der Ressourcenplanung im Personalbereich wird dieses Unterlassen nun mit den schlimmstmöglichen Konsequenzen deutlich sichtbar.» Die grossen Leidtragenden seien die Bewohnerinnen, deren Angehörige und das Pflegepersonal.