Die Gewerkschaften waren alarmiert ob des Vorschlags von FDP-Nationalrat Marcel Dobler (43). Der St. Galler fordert, dass sich Start-ups in gewissen Fällen nicht ans Arbeitsgesetz halten müssen. Was heisst: Keine Regulierung der Arbeitszeit, der Ferien und der Pausen mehr. Die Ausnahme soll für alle Angestellten gelten, die Beteiligungen halten – beispielsweise in Form von Inhaberaktien.
Die Forderung ist zwar höchst umstritten, nahm aber die ersten Hürden im Parlament. Nun allerdings drückt die Wirtschaftskommission des Nationalrats im letzten Moment die Stopp-Taste. Statt dass die Vorlage in der Wintersession diskutiert wird, die nächste Woche beginnt, sistiert die Kommission sie bis auf weiteres. Grund dafür ist der Bundesrat.
Bundesrat stellt sich gegen Pläne
Die Regierung stellt sich gegen Doblers Vorschlag und ermutigt das Parlament, andere Wege zu erkunden und auf dem Verordnungsweg zu handeln, um eine Ausnahme zu schaffen, die sich speziell an Start-ups richtet.
Daraufhin beschloss die Kommission die Kehrtwende. «Wie es das übliche Verfahren vorsieht, lag uns die Meinung des Bundesrates nicht vor, als wir unseren Entwurf dem Nationalrat vorlegten», erklärt Mitte-Nationalrat und Kommissionspräsident Leo Müller (65, LU) am Telefon. «Wir haben den Bundesrat deshalb gebeten, in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zu prüfen, ob es nicht möglich ist, auf Verordnungsstufe eine Ausnahme von den Arbeits- und Ruhezeitvorschriften für Angestellte von Start-ups mit Unternehmensbeteiligungen zu schaffen.» Änderungen von Verordnungen kann der Bundesrat in eigener Kompetenz beschliessen.
«Geplante Vorlage ging viel zu weit»
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) ist erfreut. Er hatte bereits mit einem Referendum gedroht und gewarnt, dass die sozialen Errungenschaften von 110'000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verloren gehen könnten. Und das auch in Coiffeursalons, Metzgereien oder Restaurants.
«Der Entscheid bestätigt unsere Analyse: Die geplante Vorlage ging viel zu weit, sie hätte die Arbeitszeitlimiten für Zehntausende von Personen aufgehoben», erklärt Benoît Gaillard (38) gegenüber Blick. Der SGB-Sprecher ist der Meinung, dass «die Kommission endlich eine vernünftigere Position einnimmt, um die sehr spezifischen Probleme von Start-ups zu lösen».
Was ist ein Start-up überhaupt?
Das Problem ist: In der Schweiz gibt es den Begriff «Start-up» rechtlich nicht. So hatte sich die Kommission dafür entschieden, von einem Unternehmen zu sprechen, «dessen Gründung weniger als fünf Jahre zurückliegt».
Diese Definition führte während der Vernehmlassung zwischen November 2022 und März 2023 zu einem Aufschrei der Entrüstung. Selbst von rechten Parteien geführte Kantone lehnten den Entwurf ab. Die Hauptbedenken, die von den Gewerkschaften vorgebracht wurden: Eine so weit gefasste Definition würde es jeder Firma, die in den letzten fünf Jahren gegründet wurde, ermöglichen, ihren Mitarbeitern eine winzige Beteiligung zu geben, um sie legal 60 Stunden pro Woche, einschliesslich Sonntags- und Nachtarbeit, arbeiten zu lassen.
Doch der breite Widerstand gegen ihren Vorschlag stiess in der Kommission auf taube Ohren. Ende August beschlossen ihre Mitglieder, kein Komma zu verändern und ihren Bericht dem Nationalrat zu unterbreiten. Erst der Bundesrat hat die Wirtschaftspolitikerinnen und -politiker zum Umdenken gebracht. (jua/lha)