Umstrittener Plan im Parlament
Keine Ruhezeiten mehr für Coiffeusen und Putzkräfte?

Die Wirtschaftskommission des Nationalrats will das Arbeitsrecht für Unternehmen teilweise aushebeln. Dabei pfeifen die Politiker auf die Warnung von Kantonen und Gewerkschaften.
Publiziert: 08.09.2023 um 17:20 Uhr
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Ausnahmen für Start-ups: Das will FDP-Nationalrat Marcel Dobler.
Foto: Getty Images

Die Pläne schreckten nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch viele bürgerlich regierte Kantone auf. Gesetzlich verordnete Ruhezeiten, Sonntagsarbeits-Verbot und Mehrstunden nur im Ausnahmefall: Das alles soll für neu gegründete Unternehmen unter bestimmten Bedingungen nicht mehr gelten. So sieht es eine Gesetzesänderung vor, den die Wirtschaftskommission des Nationalrats vor einigen Monaten bei Kantonen, Städten und Verbänden in die Vernehmlassung geschickt hat.

Kommission ignoriert Kritik

Die Vorlage ist höchst umstritten, wie die Zeitungen von CH Media berichten. Doch trotz der breiten Opposition wollen die Wirtschaftspolitikerinnen und -politiker im Nationalrat an ihren Plänen festhalten. Kein Wort will die Kommission am Entwurf ändern, der frühestens Ende Jahr in den Nationalrat kommen dürfte. Das hat sie an ihrer Sitzung vergangene Woche entschieden. 

Adrian Wüthrich (43), Präsident der Gewerkschaft Travailsuisse, wirft den Parlamentarierinnen und Parlamentariern vor, unter dem Deckmantel der Start-up-Förderung den Schutz der Arbeitnehmenden schwächen zu wollen. Die Kommission missbrauche die Thematik, «um das Arbeitsgesetz weiter aushebeln zu können», sagt er gegenüber CH Media.

Was ist ein Start-up?

Die Änderungspläne gehen auf einen Vorstoss von FDP-Nationalrat Marcel Dobler (43) zurück. Der St. Galler Unternehmer forderte 2016, dass Angestellte von Start-ups in den ersten fünf Jahren nach Firmengründung vom Arbeitsgesetz ausgenommen werden können, wenn sie das wollen. Bedingung ist, dass sie am Unternehmen beteiligt sind – beispielsweise durch Aktien. Das würde bedeuten, dass sie ihre Arbeitszeit nicht erfassen müssten und keinen Anspruch auf Entschädigung von Überstunden hätten. 

Doch wie definiert man ein Start-up? Gemeinhin werden darunter Unternehmen verstanden, die in einem innovativen Geschäftsfeld tätig, häufig von Technologie getrieben sind und über geringes Kapital verfügen. Daraus allerdings eine Definition zu zimmern, die sich in ein Gesetz schreiben liesse, ist gar nicht so einfach.

Darum will die Wirtschaftskommission, dass die Arbeitsgesetz-Lockerung gleich für sämtliche Unternehmen gilt, die jünger als fünf Jahre sind. Das ist heikel, findet eine Mehrheit der Kantone und die Gewerkschaften. Sie warnen vor Missbrauch. Die Regierungen der Kantone Schwyz und Thurgau geben zu bedenken, dass plötzlich auch Coiffeusen, Putzkräfte oder Servicepersonal im Restaurant betroffen sein könnten. Bedenken werden geäussert, dass an Mitarbeitende Mini-Erfolgsbeteiligungen oder Scheinbeteiligungen ausgegeben werden könnten, um das Arbeitsgesetz zu umgehen. 

FDP-Dobler ist offen für Präzisierung

FDP-Politiker Dobler hält diese Bedenken für «absurd». «Wenn jemand Missbrauch betreiben will, kann er das auch schon heute tun», sagt er zu Blick. Nachvollziehen kann er hingegen die Kritik, dass die Definition von Start-ups zu weit gefasst sei. Dobler betont, dass es ihm wirklich nur um die Start-ups im klassischen Sinne gehe. «Für sie ist es einfach Realität, dass man ihnen mit den heutigen Regelungen unnötig Steine in den Weg legt.» Er wäre offen für eine Präzisierung.

Die Frage ist, ob das auch die anderen bürgerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind. Wie sein Vorstoss umgesetzt wird, liegt nun nicht mehr in der Hand des Digitec-Gründers Dobler. Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter fürchten das Schlimmste. (lha)


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