Blick: Herr Maillard, wie viele Kilo wiegen Sie?
Pierre-Yves Maillard: Sicher ein paar zu viel, warum?
Sie gelten als Bulldozer.
Ich mache niemanden platt. Ich versuche, mit Argumenten zu überzeugen.
Auch weiterhin? Die EU-Bremser Alain Berset und Simonetta Sommaruga sitzen nicht mehr im Bundesrat.
Auch Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans haben Verständnis für unsere Anliegen.
Die beiden stammen aber aus einem Grenzkanton. Jans gilt als EU-Turbo, Baume-Schneider als EU-freundlich. Eine Gefahr für Ihre Ziele?
Nein.
Und doch plant das EDA schon seit Monaten für die Zeit ohne Herrn Berset im Bundesrat – und ohne dessen Standleitung zu Ihnen.
Das wäre schade. Der Bundesrat verdient eine gewisse Anerkennung für das, was er 2021 geleistet hat.
Ist das etwa ein verstecktes Lob für Herrn Cassis?
Er musste viel Kritik einstecken, weil er die Verhandlungen mit Brüssel abgebrochen hat. Das neue Papier, das der Bundesrat am Freitag vorgelegt hat, birgt zwar neue Risiken, enthält aber auch gewisse Verbesserungen. Das zeigt: Es lohnt sich, hart mit der Europäischen Kommission zu verhandeln. Und das erwarten wir jetzt vom Bundesrat: Verhandelt mit Brüssel hart und holt das Beste für die Menschen in der Schweiz raus!
Ihnen geht es dabei vor allem um den Lohnschutz, oder?
Ja, aber auch unser Service public ist infrage gestellt. Bei den Löhnen fordert Brüssel, dass wir die europäische Spesenregelung übernehmen. Das kann für einen EU-Bürger bis zu 3000 Franken Unterschied machen. Über die Spesen drohen Lohndumping und Marktverzerrungen. Das gilt es zu verhindern.
Pierre-Yves Maillard (55) ist seit Mai 2019 Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Zudem sitzt Maillard seit 2019 wieder für die SP im Nationalrat, wie schon von 1999 bis 2004. Bei den eidgenössischen Wahlen im Oktober kandidiert er zudem für den Ständerat, mit guten Erfolgsaussichten auf den Einzug ins Stöckli. Maillard ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Renens VD.
Pierre-Yves Maillard (55) ist seit Mai 2019 Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Zudem sitzt Maillard seit 2019 wieder für die SP im Nationalrat, wie schon von 1999 bis 2004. Bei den eidgenössischen Wahlen im Oktober kandidiert er zudem für den Ständerat, mit guten Erfolgsaussichten auf den Einzug ins Stöckli. Maillard ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Renens VD.
Die EU wünscht sich ein hohes Tempo für die anstehenden Verhandlungen. Im Juni 2024 sind Europawahlen.
Das sehe ich skeptisch. Wir haben keine Eile. Wenn der Bundesrat liefert und Brüssel sich kompromissbereit zeigt, dann können wir gerne vorwärtsmachen. Es würde mich aber doch sehr überraschen, wenn die vielen Probleme in einigen Monaten gelöst werden könnten.
Welche Verantwortung übernehmen die Gewerkschaften für Europa? Sie können doch nicht alles blockieren wie die SVP.
Das tun wir ja nicht: Wir weibeln sofort für einen Deal mit Brüssel, wenn dieser für bessere Arbeitsbedingungen in der Schweiz sorgt und wenn unser Service public gesichert ist. Doch danach sieht es leider nicht aus. Ausserdem sind unsere Forderungen moderat. In Luxemburg zum Beispiel gibt es einen nationalen Mindestlohn und eine automatische Lohnerhöhung bei Inflation.
Mit welchen Zugeständnissen könnte Brüssel die Schweizer Gewerkschaften ködern?
Die EU-Kommission soll unsere legitimen Besonderheiten im Lohnschutz und Service public anerkennen. Und wenn sie die Schweiz unter Druck setzen will, dann sollte sie dies zum Beispiel tun, weil unser Land die Konventionen über die gewerkschaftliche Freiheit der Internationalen Arbeitsorganisation bei den Vereinten Nationen (ILO) nicht respektiert. Bei diesem Thema bewegen sich die Arbeitgeberverbände nicht. Nicht einmal bei minimalen Forderungen wie der erleichterten Allgemeinerklärung von Gesamtarbeitsverträgen.
Einer der Streitpunkte im Verhältnis zwischen Bern und Brüssel ist die Liberalisierung des Bahnverkehrs. Aus welchen Gründen sind Sie pauschal dagegen?
Wir wollen keine deutschen Verhältnisse. Deutschland hatte eine gute Bahn. Doch mit dem Versuch, die Bahn zu liberalisieren, wurde sie kaputtgespart. Seitdem sind viele Züge unpünktlich. Die Schweiz hat das beste Bahnsystem – und das wollen wir behalten.
Warum stellen Sie sich gegen eine Liberalisierung des Stromnetzes? Da könnten die Verbraucher viel Geld sparen.
Zuerst geht der Strompreis runter. Um konkurrenzfähig zu bleiben, verzichten die Stromanbieter aber auf Investitionen – und beim nächsten Engpass schiessen die Preise in die Höhe. Wir Gewerkschaften sind gegen solche Experimente!
Dringlicher als das EU-Dossier ist für Sie die 13. AHV-Rente, über die am 3. März abgestimmt wird.
Es ist eine historische Abstimmung. Die Profite boomen, Banken werden gerettet – aber die Renten und Löhne reichen nicht mehr aus, weil alles teurer wird: die Mieten, die Gesundheitsprämien, die Lebensmittel. Wer soll das bezahlen, zumal im Alter? Wir brauchen eine 13. AHV-Rente und können sie uns leisten. Der Bundesrat sieht 3,6 Milliarden Franken Überschüsse für die AHV im Jahr 2026 vor. Jede Session hören wir von neuen Steuergeschenken für die Reichsten dieses Landes. Nur für das Volk gibt es kein Geld. Das muss sich ändern.
Weshalb waren Sie gegen den Alternativ-Vorschlag von Melanie Mettler und Beat Rieder, eine 13. AHV-Rente für die ärmsten 25 Prozent der Bevölkerung?
Es gibt viele Ideen, aber eines ist klar: Wenn unsere Initiative abgelehnt wird, wird es keine Verbesserung für die AHV geben – keine! Darum wollten die Bürgerlichen auch keinen Gegenvorschlag. Die AHV ist keine Sozialhilfe, sie soll vielmehr die Existenz für alle sichern. Doch das ist nicht mehr der Fall – auch nicht für den Mittelstand.
Die SVP in Genf unterstützt Ihre Initiative. Die SVP im Wallis hat Stimmfreigabe beschlossen. Laut Umfragen erhält Ihre Vorlage 70 Prozent Zustimmung. Sie müssen ziemlich gut drauf sein.
Es wird ein harter Wahlkampf, zumal wir nicht so viel Geld wie die Lobby der Banken und Versicherungen haben. Die stellvertretende SVP-Parteichefin Céline Amaudruz sollte auf ihren Genfer Kantonalverband hören und sich für unsere Initiative starkmachen. Wir wissen, dass die 13. Rente an der SVP-Basis viel Unterstützung bekommt.
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider muss die 13. AHV-Rente als Bundesrätin ablehnen, obwohl sie eigentlich dafür ist.
Sie wird die Kollegialität des Bundesrats respektieren, aber alle kennen ihre persönliche Meinung.
Alain Berset hinterlässt im Innendepartement zahlreiche Baustellen, allen voran die hohen Gesundheitsprämien. Ist Frau Baume-Schneider die richtige Frau fürs EDI?
Wir werden alles geben und die Abstimmung über die 13. AHV-Rente gewinnen, ebenso die Prämienentlastungs-Initiative. Elisabeth Baume-Schneider erhält damit spannende Aufgaben.