Gerhard Pfister (61) lässt nicht locker. Er twittert, was das Zeug hält. Scharfzüngig wie man den Mitte-Präsidenten kennt, greift er auf den sozialen Medien Spitäler, Ärzte und Pharma an. Dem obersten Hausarzt, der zu fragen wagte, was genau die Löhne mit den Gesundheitskosten zu tun haben, beschied er giftig: «Klar, dass sich für ihn diese Frage stellt. Bei ihm ist die Lohnentwicklung auch nachhaltig gesichert durch die Prämienzahlenden.»
Pfister kämpft bis zur letzten Minute für seine Kostenbremse-Initiative. Diese verlangt, dass Bund und Kantone Massnahmen ergreifen müssen, wenn die Gesundheitskosten stärker steigen als Löhne und Bruttoinlandprodukt. Pfister kämpft, wahrscheinlich auf verlorenem Posten. Die letzten Umfragen sagen der Initiative eine Niederlage voraus, Stand Mittwoch wollen nur noch 41 Prozent Ja stimmen. Wenn Pfisters Ton angriffiger wird, kann das nicht erstaunen.
Zweimal Nein-Trend
Erstaunen kann, dass die Initiative so wenig Chancen hat. Die Gesundheitskosten sind seit Jahren das Sorgenthema Nummer 1 der Bevölkerung. Nichts belastet Familien so schmerzhaft wie Krankenkassenprämien, Franchise und Selbstbehalt. Jeden September ist von Kostenexplosion und Prämienschock die Rede. Gemessen an diesem Aufschrei müsste die Zustimmung zur Kostenbremse viel grösser sein. Das Gleiche gilt für die Prämienentlastungs-Initiative der SP, die einen Prämiendeckel bei zehn Prozent des Einkommens fordert.
Drückt der Schuh also nicht ganz so schmerzhaft?
Doch, das schon. Allerdings haben beide Initiativen Mängel. Die Prämienentlastungs-Initiative tönt einfach, ist aber kompliziert: Was genau, in Franken und Rappen, bringt mir das als Prämienzahler? Anders als bei der 13. AHV-Rente weiss insbesondere der Mittelstand nicht, ob er profitieren wird. Oder ob er der sein wird, der das alles über Steuern bezahlt und so im schlechtesten Fall rückwärts macht.
Die Kostenbremse-Initiative wiederum macht vielen Angst, notwendige Behandlungen nicht mehr zu erhalten. Angst, die die Gegner mit viel Geld schüren – 1,5 Millionen Franken haben allein die Ärzte gemäss Budget in den Abstimmungskampf gebuttert, fünfmal so viel wie die Mitte. Aus der Wirtschaft kommt nochmals mehr als eine Million gegen die Initiative.
Papier ist geduldig
Vor allem aber wird die Initiative der Mitte, so glauben viele, nichts ändern. Warum, so der Tenor, soll es nützen, eine Kostenbremse in die Verfassung zu schreiben? Dort steht viel drin, der Schutz der Alpen vor Transitverkehr ebenso wie die eigenständige Steuerung der Zuwanderung. Doch die Verfassung ist, wie alles Papier, geduldig. Noch immer brausen zu viele Lastwagen über den Gotthard, noch immer wird die Einwanderung nicht mit Kontingenten begrenzt.
Verdenken kann man den Leuten ihre Skepsis auch in der Gesundheitspolitik nicht. Die Schweiz versucht seit 20 Jahren, die Kosten zu bremsen. Seit 20 Jahren ohne Erfolg. Zugegeben: Angesichts der Zuwanderung, einer immer älter werdenden Bevölkerung sowie bahnbrechenden und entsprechend teuren neuen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten ist das Ei des Kolumbus nicht ganz einfach zu finden. Der Föderalismus ist ebenfalls ein Bremsklotz.
Bundesbern fehlt der Mut
Doch das ist höchstens die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte lautet, dass es zu wenig Courage in Bundesbern gibt. Sondern Bundesräte, die aus Furcht, am Lobbyismus von Kantonen und Verbänden zu scheitern, keine mutigen Vorschläge mehr machen. Und ein Parlament, in dem sich Lobbyisten tummeln und Partikularinteressen dafür sorgen, dass höchstens Pflästerlipolitik betrieben wird. Um zwei Beispiele zu machen: Der Bundesrat verzichtete auf die Einführung von Mindestfallzahlen für bestimmte Operationen, die ein Spital erreichen muss. Dabei hätte das eine sinnvolle Spitallandschaft gefördert und nebenbei die Qualität gesteigert. Das vom Bundesrat vorgeschlagene Referenzpreissystem, das Generika gefördert und so die Medikamentenkosten um 300 bis 500 Millionen Franken gesenkt hätte, scheiterte haushoch im Parlament.
Der Befund ist bitter, denn er bedeutet im Kern nichts anderes, als dass die Bevölkerung der Politik nicht mehr zutraut, grosse Probleme zu lösen. Hoffnung aber gibt es immer: Auch bei einem Nein zur Kostenbremse liegt es in den Händen der Politik, das Vertrauen zurückzugewinnen. Ideen zur Reform des Gesundheitswesens gibt es zuhauf, in jeder Session werden neue Vorstösse eingereicht. Das Bundeshaus muss sie nur ernsthaft in die Hand nehmen.