Gender-Schlacht an den Schulen – oberste Lehrerin Dagmar Rösler (52) fordert Hilfe
«Die Politik muss endlich entscheiden, wie wir gendern sollen»

Die Genderdebatte setzt Schweizer Schulen unter Druck. Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, fordert klare politische Richtlinien beim Umgang mit gendergerechter Sprache im Unterricht.
Publiziert: 01.12.2024 um 17:09 Uhr
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Aktualisiert: 01.12.2024 um 17:12 Uhr
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Gendern an den Schulen? Die oberste Lehrerin Dagmar Rösler fordert eine einheitliche Lösung.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Genderstern bleibt umstritten. Schulen geraten zunehmend unter Druck
  • Lehrerverbandspräsidentin Rösler offener für Genderstern, fordert jedoch politische Richtlinien
  • Vor 3 Jahren veröffentlichte Zürcher Fachstelle Broschüre zum Gendern an den Schulen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Der Genderstern bleibt unter Beschuss. Am vergangenen Abstimmungssonntag verzichtete die Stadt Zürich zwar auf ein Verbot der Gendersprache auf Verwaltungsebene. Andernorts ist die Debatte jedoch weiterhin in vollem Gang: Im Kanton Schwyz etwa lancierte die Junge SVP eine Initiative, um das Gendern präventiv zu verbieten.

Auch die Schulen kommen dadurch immer mehr unter Druck. Vergangenes Jahr musste die Sekundarschule in Stäfa ZH nach lauten Protesten ihren Gender-Tag absagen. Im Kanton Baselland sammelt aktuell ein Komitee um SVP-Politikerin Sarah Regez (30) Unterschriften gegen die gendergerechte Sprache an den Volksschulen. Und rechtskonservative Vereine warnen schweizweit vor der «Sexualisierung der Schülerinnen und Schüler». Keine einfache Aufgabe für Lehrerinnen und Lehrer.

Blick: Frau Rösler, vor drei Jahren veröffentlichte die Stadtzürcher Fachstelle für Gleichstellung eine Broschüre, die das Gendern mit Sonderzeichen an der Schule empfiehlt. Sie selbst lehnten den Genderstern damals noch ab.
Dagmar Rösler:
Seither ist viel passiert. Damals wartete ich darauf, dass sich der Rat der Deutschen Rechtschreibung zu den Sonderzeichen äussert. Diesen Sommer hat er das endlich getan.

Offiziell in die Rechtschreibung aufnehmen will er die Sonderzeichen aber nicht. Wissenschaftlich wäre das noch nicht eindeutig zu begründen. Weshalb begegnen Sie dem Genderstern heute trotzdem offener?
Weil in den Schulen und auch in der Gesellschaft sichtbar wird, dass es sprachlichen Bedarf und entsprechende Anpassungen braucht, damit sich Menschen mit einer anderen geschlechtlichen Orientierung angesprochen fühlen.

Wer entscheidet diese Anpassungen? Ausschliesslich der Rat der Deutschen Rechtschreibung?
Der Rechtschreibrat ist ein amtliches Regelwerk, an dem sich die Schulen in allen sprachlichen Belangen orientieren.

Beim Gendern wird oft mit der schlechteren Lesbarkeit argumentiert. Teilen Sie die Angst, dass Sterne, Doppelpunkte oder gar das Binnen-I insbesondere lernschwache und fremdsprachige Kinder noch mehr zurückhalten?
Das ist in meinen Augen Angstmacherei. Ich glaube nicht, dass es für Kinder und Jugendliche ein Problem ist, das so in der Schule zu lernen. Lehrerinnen und Lehrer sind dafür ausgebildet, genau solche Sachverhalte zu erklären. Dabei gibt es aber ein grosses Problem: Niemand will so richtig offenlegen, wie Schulen mit Sonderzeichen oder gendergerechter Sprache umgehen sollen. Auch der Rechtschreibrat lässt uns allein. Wir haben kein Kletterseil, an dem wir uns halten können.

Das tönt wie ein Hilferuf an die Politik.
Ja, es bräuchte auf politischer Ebene eine gemeinsame Verpflichtung, wie die gendergerechte Sprache zukünftig gehandhabt werden soll. Bei Harmos oder dem Lehrplan 21 hat man das auch geschafft. Aktuell stehen die Schulen durch all die Debatten und Empfehlungen – respektive Nicht-Empfehlungen – allein da. Und geraten in die Schusslinie, wenn sie das Problem selbst angehen.

Wird die Schule also zum Gender-Schlachtfeld?
Ich hoffe nicht. Sie müsste jedoch vor solchen Angriffen geschützt werden. Der Gender-Tag in Stäfa ist ein gutes Beispiel: Die Schule wollte ja nicht über den Genderstern sprechen, sondern über den Inhalt des Lehrplans 21. Da geht es darum, wie Geschlechterrollen beschrieben und hinterfragt werden können. Um Sexualität und Partnerschaften. Und welche Vorurteile und Klischees bestehen. Diese Themen sind im Lehrplan verankert. Lehrpersonen sind verpflichtet, sie im Unterricht zu behandeln.

In den Augen vieler vertreten Sie bereits eine politische Haltung, wenn Sie sagen, es gebe mehr als zwei Geschlechter.
Wenn wir Kinder in der Schule haben, die sich geschlechtlich weder Mann noch Frau zuordnen können, sollen wir das also einfach ignorieren? Ich appelliere an solche Leute immer: Stellt euch vor, ihr hättet so ein Kind. Ihr würdet dann auch gern wollen, dass es sich in der Schule wohl und akzeptiert fühlt. Und nicht einfach gesagt wird: Du bist nicht normal.

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