Foto: Thomas Meier

Gemeinderatskandidatin Béatrice Wertli
«Ich möchte nicht auf die Krankheit reduziert werden»

Die Mitte-Politikerin kämpft gleichzeitig gegen Brustkrebs und für einen Sitz im Stadtberner Gemeinderat. Ein Gespräch über die Diagnose, weshalb Krisen eine Chance sein können und ihre Zeit beim Schweizerischen Turnverband.
Publiziert: 17.11.2024 um 11:03 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2024 um 12:16 Uhr
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Mitte-Politikerin Béatrice Wertli kandidiert für den Berner Gemeinderat.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

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Frau Wertli, im August haben Sie die Diagnose Brustkrebs publik gemacht – mitten im Wahlkampf. Hatten Sie Hemmungen?
Béatrice Wertli: Nein, aber ich habe mir genau überlegt, wie ich damit umgehen möchte. Es war mir wichtig, die Dinge nicht zu verharmlosen. Ich hatte Zeit, mich darauf vorzubereiten, und konnte meine Botschaft auf meine Weise formulieren. Als Vorbild diente mir die ehemalige BDP-Gross- und Stadträtin Vania Kohli, die in meinem Wahlkampfteam ist. Auch sie kandidierte vor acht Jahren für den Gemeinderat und erkrankte damals ebenfalls an Brustkrebs, worüber sie offen sprach. Heute ist sie wieder vollständig geheilt.

Hat Sie Ihnen einen Tipp gegeben?
Sie hat mich darin bestärkt, die Erkrankung öffentlich zu kommunizieren. Und sie hat mir erzählt, dass sie die Chemotherapie gut vertragen hat – das hat mir Mut gemacht. So wie sie ein Vorbild für mich war, möchte ich eines für andere sein.

Haben Sie viele Rückmeldungen erhalten?
Unglaublich viele. Jede achte Frau bekommt im Lauf ihres Lebens diese Diagnose. Fast alle werden geheilt. Während der Chemo denke ich manchmal daran, wie viele in der Schweiz gerade durch dasselbe gehen. Ich habe auch aus allen politischen Lagern Rückmeldungen bekommen, das hat mich sehr gefreut. Gleichzeitig möchte ich nicht auf die Krankheit reduziert oder mit Samthandschuhen angefasst werden.

Trotzdem sprechen Sie darüber.
Ja, weil die Leute sonst nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Mir dürfen alle Fragen stellen. Manche fragen mich, wie eigentlich eine Chemotherapie ist. Das hätte ich auch gern gewusst. Ich habe Glück, ich vertrage die Chemo gut.

Haben Sie jemals daran gedacht, Ihre Kandidatur zurückzuziehen?
Nein! Für die Kampagne habe ich mir aber alle Optionen bewusst offen gehalten und gesagt, dass ich schauen werde, wie es mir geht. Bis jetzt ist es gut gegangen.

Sie wirken wie ein Kraftbündel. Wie schaffen Sie es, so positiv zu bleiben?
Die Diagnose war zunächst ein Schock, doch dann habe ich mich voll auf die positiven Aspekte konzentriert. Der Krebs ist behandelbar, die Prognosen und Heilungschancen sehr gut, die Therapie läuft, und ich habe ein starkes Umfeld. Klar kommen manchmal negative Gedanken auf. Diese nicht zuzulassen, braucht Kraft. Letzten Sonntag war so ein Tag, der war total vernebelt. Also lud ich mir ein neues Hörbuch runter und rannte auf den Gurten – dort schien die Sonne, und am Abend kochten wir zusammen in der Familie. Jeden Tag suche ich mir etwas, worauf ich mich freuen kann.

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Positive Gedanken sind das eine, aber den Körper kann man nicht beeinflussen.
Klar war mir manchmal leicht schlecht wegen der Medikamente. Aber ich hatte immer im Hinterkopf, dass sie den Tumor bekämpfen. Deshalb war es aushaltbar. Mir sind auch die Haare ausgefallen. Also trage ich jetzt ein Haarband oder eine Perücke. Anfangs habe ich etwa fünf Kilo abgenommen, da haben bei mir die Alarmglocken geläutet. Daraufhin habe ich einen Sportcoach engagiert, mit dem ich ein Training aufgebaut habe. Jeden Tag mache ich ein Lauftraining und ein Krafttraining. Das sind Dinge, die ich beeinflussen kann. Ansonsten fühle ich mich gesund, mein Körper ist fit.

Wie lange dauert Ihre Behandlung noch?
Die Chemo hat angeschlagen, der erste Zwischenbericht war sehr positiv. Anfang Dezember ist sie vorbei, und dann werde ich operiert. Ende Jahr ist das Gröbste durch.

Schaffen Sie das – Krebs und Exekutivamt?
Ich bin auf sehr gutem Weg zur Heilung. Ich rechne mit dem Leben, und zwar einem krebsfreien! Das Exekutivamt schaffe ich dank meines Umfelds, meiner Motivation, meiner Erfahrung und meiner Resilienz – und natürlich mit einem Team. So einen Job macht ja niemand einfach ganz alleine.

Manche Menschen mit Krebserkrankung haben das Bedürfnis, ihr Leben zu ändern. Sie wollen auch nach 30 Jahren in der Politik noch weitermachen. Weshalb?
Politik, insbesondere Lokalpolitik, ist für mich etwas vom Sinnstiftendsten, das es gibt. Es ist unglaublich befriedigend, wenn ich durch meine Arbeit zum Beispiel dazu beitragen kann, die Stadt sicherer zu machen. Aktiv mitzuwirken und Verantwortung zu übernehmen und das ganz nahe am Leben, am Alltag der Menschen, das begeistert mich.

Die Kämpferin

Mitte-Politikerin Béatrice Wertli (48) ist Berner Stadträtin, Kommunikationsberaterin und ehemalige CVP-Generalsekretärin. Von 2021 bis 2023 war sie Direktorin des Schweizerischen Turnverbands (STV). Sie kandidiert für einen Sitz im Stadtberner Gemeinderat, um den abtretenden Parteikollegen Reto Nause zu ersetzen. Im August gab sie bekannt, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Wertli ist mit dem Preisüberwacher Stefan Meierhans (56) verheiratet. Sie haben zwei Töchter und leben in Bern.


Thomas Meier

Mitte-Politikerin Béatrice Wertli (48) ist Berner Stadträtin, Kommunikationsberaterin und ehemalige CVP-Generalsekretärin. Von 2021 bis 2023 war sie Direktorin des Schweizerischen Turnverbands (STV). Sie kandidiert für einen Sitz im Stadtberner Gemeinderat, um den abtretenden Parteikollegen Reto Nause zu ersetzen. Im August gab sie bekannt, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Wertli ist mit dem Preisüberwacher Stefan Meierhans (56) verheiratet. Sie haben zwei Töchter und leben in Bern.


In Ihrer Kampagne betonen Sie Ihre Führungserfahrung. Sind Sie beim Schweizerischen Turnverband nicht gescheitert?
Ich habe den Turnverband während der Pandemie übernommen, kurz nachdem die Magglingen-Protokolle und der Machtmissbrauch im Sport bekannt wurden. Es war so ziemlich die heftigste Krise, die ich beruflich gemanagt habe. Und das, obwohl meine vorherigen Führungsjobs – Generalsekretärin einer Bundesratspartei oder Leiterin interne Kommunikation bei der Schweizerischen Post, Kommunikationschefin beim Bundesamt für Sport – auch nicht Peanuts waren.

Ganz freiwillig sind Sie aber nicht gegangen.
Das stimmt, ich wäre gerne geblieben. Aber ich bin stolz auf das, was wir geschafft haben beim STV und im Schweizer Sport gesamt. Mit der Gründung von Swiss Sport Integrity (Meldestelle für ethische Vergehen), die auf Initiative der Sportministerin Viola Amherd und mit grossem Engagement des Bundesamts für Sport und von Swiss Olympic entstanden ist, ist die Schweiz heute international ein Vorzeigemodell. Das Mitwirken des Schweizerischen Turnverbands in diesem Prozess war sehr wichtig, wenn nicht entscheidend. Hier durfte ich aktiv dazu beitragen, entscheidende Weichen im Schweizer Sport zu stellen. Das bedeutet mir viel.

Warum sind Sie nicht Direktorin des Bundesamts für Sport geworden? Wurden Sie nicht gefragt oder wollten Sie nicht?
Ich hatte schon eine laufende Bewerbung als Gemeinderätin. First come, first served. Beides ist toll, aber die Gestaltungsmöglichkeiten einer Stadt sind noch direkter. Als die Partei auf mich zukam und mich fragte, ob ich kandidieren möchte, habe ich sofort Ja gesagt.

«Krise als Chance»: Ist das eine dumme Floskel oder ist da was dran?
Wenn es einem dreckig geht, dann bringt der Satz nicht viel. Aber Krisen sind wirklich Chancen. Manchmal sagen Leute zu mir: «Das ist gerade ein blöder Moment für den Krebs!» Sie meinen es gut – aber es gibt keinen guten Moment. Ich habe eine gute medizinische Betreuung, ein starkes Umfeld. Einen Partner, der immer für mich da ist, eine grossartige Familie. Deshalb habe ich mir diese Herausforderung zugetraut.

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