Gemeinde wollte Sozialhilfe sparen
Bundesgericht untersagt PK-Bezug vor 63 Jahren

Gemeinden dürfen Sozialhilfeempfänger nicht so einfach zwingen, ihre Pensionskassenguthaben anzuzapfen. Das hat das Bundesgericht entschieden. Möglich sei eine solche Anweisung erst ab einem Alter von 63.
Publiziert: 05.03.2024 um 13:11 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2024 um 13:18 Uhr
Das Bundesgericht pfeift die Gemeinde Rümlang in einem Fall von Sozialhilfe zurück (Symbolbild).
Foto: Keystone

Die Verpflichtung zur vorzeitigen Auszahlung von Freizügigkeitsguthaben mit 60 Jahren zwecks Vermeidung einer Sozialhilfeabhängigkeit ist nicht immer zulässig. Dies hat das Bundesgericht entschieden. 

Im konkreten Fall bezog ein heute 64 Jahre alter Mann ab 2013 in seiner Wohngemeinde Rümlingen BL Sozialhilfe. Die Behörde stellte die Leistungen 2022 ein und forderte rund 78'000 Franken zurück. Sie begründete dies damit, dass der Betroffene sein PK-Freizügigkeitskonto verschwiegen habe.

Bundesgericht heisst Beschwerde gut

Dieses Guthaben hätte er laut der Behörde mit 60 Jahren per April 2019 beziehen können, so dass er nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig gewesen wäre. Der Regierungsrat und anschliessend das Kantonsgericht Basel-Landschaft bestätigten den Entscheid. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des Betroffenen in einem am Dienstag veröffentlichten Urteil gut.

In seinen Erwägungen beantwortet es die Frage, ob der Beschwerdeführer zu Unrecht Leistungen der Sozialhilfe bezogen hatte, weil er verpflichtet gewesen wäre, sein Freizügigkeitskapital im frühestmöglichen Zeitpunkt zu beziehen – also per April 2019, fünf Jahre vor Erreichen des regulären Rentenalters.

Bei Renteneintritt wäre alles Geld schon weg

Grundsätzlich werde die Sozialhilfe vom Subsidiaritätsprinzip beherrscht, führte das Gericht aus. Eine Unterstützung würde demnach nur gewährt, soweit eine bedürftige Person sich nicht selber helfen könne oder wenn Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich sei.

Gemäss den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) gehe der Schutz der Mittel aus der beruflichen Vorsorge (Vorsorgeschutz) dem Subsidiaritätsprinzip grundsätzlich bis zum Bezug einer AHV-Rente vor.

Zwar könne eine Pflicht zum Bezug von Vorsorgeguthaben mit 60 Jahren nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Es wäre jedoch mit dem vorsorgerechtlichen Zweck dieser Mittel nicht vereinbar, wenn das ausbezahlte Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt des AHV-Bezugs bereits vollständig aufgebraucht wäre, schrieb das Bundesgericht.

Erst ab 63 Jahren verhältnismässig

Eine Verpflichtung zum vorzeitigen Bezug von Freizügigkeitsguthaben gelte deshalb als unverhältnismässig, wenn ein neuerlicher Rückfall in die Sozialhilfe drohe, bevor das Alter von 63 Jahren für einen Vorbezug der AHV-Rente erreicht sei.

Als Grundlage für die Berechnung des mutmasslichen Verbrauchs des Freizügigkeitskapitals ist laut Bundesgericht von einem Bedarf auszugehen, wie er bei der Bemessung von Ergänzungsleistungen angenommen wird. Er liegt höher als der sozialhilferechtliche Bedarf.

Im vorliegenden Fall ergibt sich, dass das Freizügigkeitsguthaben des Betroffenen von rund 100'000 Franken nach Abzug der Steuern, bei einem Bezug mit 60 Jahren und jährlichen Ausgaben von rund 40'000 Franken nicht bis zum Vorbezug der AHV-Rente mit 63 Jahren gereicht hätte.

Die Sozialhilfebehörde von Rümlingen wäre damit nicht berechtigt gewesen, den Betroffenen zum Vorbezug seines Freizügigkeitsguthabens zu verpflichten. Er habe die Sozialhilfeleistungen ab 2019 rechtmässig bezogen und sie dürfen nicht zurückgefordert werden. (Urteil 8C_333/2023 vom 1.2.2024)

(SDA/sf))

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