Geheimpapier aus Bern enthüllt
«Der Migrationsdruck auf Europa nimmt zu»

Eine Studienkommission des Bundesrats warnt vor Gefahren der Zuwanderung, der Politik Wladimir Putins und der Radikalisierung in der Gesellschaft.
Publiziert: 04.02.2024 um 07:34 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2024 um 10:34 Uhr
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Migranten versuchen, von Marokko aus in die spanische Exklave Ceuta zu gelangen.
Foto: AFP
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Die Arbeit der Studienkommission Sicherheitspolitik hat im neuen Jahr besser begonnen, als sie im alten zu Ende ging: Ende 2023 warf der pensionierte VBS-Kadermann Christian Catrina (67) als Verantwortlicher für den Bericht der Kommission das Handtuch.

Nun hat sich das hochkarätig besetzte Gremium wieder seiner Hauptaufgabe zugewandt. Letzte Woche kamen die Experten zusammen und diskutierten einen Entwurf des Berichts, der bis zum Sommer vorliegen soll. «NZZ»-Hausphilosophin Katja Gentinetta (55) ist an Stelle von Catrina als Verantwortliche für den Bericht eingesprungen.

Ein Teil des Entwurfs liegt Blick vor. «Der Migrationsdruck auf Europa nimmt zu. Radikalisierungen in der Gesellschaft werden zusehends brutaler, namentlich durch die Parteinahme im Nahostkonflikt, die sich auch durch die Zunahme antisemitischer Aktivitäten äussert», so das Papier. «Die weltwirtschaftlichen Folgen durch die Bedrohung der Handelswege können gravierende Ausmasse annehmen, gerade auch für die offene Volkswirtschaft der Schweiz.»

Die grösste Gefahr gehe von Moskau aus. «Russland hat für 2024 eine Verdoppelung der Militärausgaben angekündigt und das Land auf Kriegswirtschaft umgestellt», hält der Entwurf fest. Die Ukraine bleibe von der Unterstützung des Westens abhängig. Äusserst ungewiss sei der Ausgang der US-Wahlen. Präsidentschaftskandidat Donald Trump behauptet, er könne den Ukraine-Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden. Beobachter rechnen damit, dass der Republikaner zu einem Kompromiss mit Putin bereit ist und Teile der Ukraine opfern würde.

Auch der Nahostkonflikt beschäftigt den Westen. Die Kommission sieht Israel in einem Mehrfrontenkrieg: Im Gazastreifen wütet die Hamas, von Norden droht die libanesische Hisbollah, im Süden sind die Huthi-Rebellen aktiv. Aufgrund der Angriffe auf Handelsschiffe am Golf von Aden sei die Weltwirtschaft bedroht. «Präventive Anstrengungen seitens der internationalen Gemeinschaft, etwa eine Kontaktgruppe (wie damals für die Balkankriege) von umliegenden Staaten, sind wichtig», betont das Expertengremium.

Angriff auf Taiwan erwartet

Überfällt China Taiwan bis zum Jahr 2027, wie manche Sicherheitsexperten seit Jahren behaupten? Die Studienkommission rechnet nicht damit. Taiwan ist Weltmarktführer bei Halbleitern – eine Eskalation hätte «gravierende weltwirtschaftliche Konsequenzen». Für Europa und damit für die Schweiz sei entscheidend, «dass die USA mit ihrem Fokus auf den pazifischen Raum die Ukraine und Westeuropa nicht vernachlässigen».

Auch den Westbalkan betrachtet die Studienkommission mit Sorge: «Die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo nehmen zu; politische Rhetorik, Gewaltausbrüche und Angriffe auf Kfor-Truppen sind ein Zeichen davon.»

Schleichender Staatszerfall in Afrika

Im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien ist keine Lösung in Sicht: «Ein Friedensvertrag ist trotz Bemühungen noch nicht in Sichtweite. Armenien möchte sich stärker von Russland lösen; Europa ist ebenfalls an einem Rückgang des Einflusses von Russland interessiert.»

Bleibt das Sorgenkind Afrika: Hier nehme der Einfluss Russlands und Chinas zu, jener des Westens ab. «Der schleichende Staatszerfall in West-, Zentral- und Ostafrika führt unter anderem zur Verbreitung islamistischer Terrorgruppen und einer verstärkten Migration in den Norden Afrikas und von dort nach Europa», schreibt die Kommission. Afrika kritisiere ebenso wie andere Länder des globalen Südens doppelte Standards vonseiten des Westens, unter anderem, «dass bei einem Krieg in Europa viel mehr Solidarität eingefordert werde als bei einem Krieg im globalen Süden».

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