Im Kursraum im Untergeschoss von Gastro Bern sitzen ein ukrainischer Türsteher, eine Rechtsanwältin und eine Frau, die vor dem Krieg bei einer Kinderschutzbehörde gearbeitet hat. Sie alle haben bisher keine Erfahrung im Service oder einem Hotel vorzuweisen, aber möchten Arbeit in der Schweiz zu finden: «Weil ich kaum Deutsch spreche, hoffe ich wenigstens in der Gastronomie etwas zu finden», erzählt die Juristin Maryna.
Tausende Stellen sind in der Schweizer Gastronomie zurzeit nicht besetzt. Das hat sich inzwischen auch unter den Flüchtlingen herumgesprochen. 10 Ukrainerinnen und 2 Ukrainer besuchen darum diese Woche den gratis Gastro-Crashkurs vom Branchenverein Gastro Bern.
Schnellbleiche Gastrokurs
Der Kursleiter Christoph Risse (34) kann den Flüchtlingen in den drei Kurstagen die absoluten Grundlagen erklären, wie er sagt. Dazu gehören etwa die Schweizer Regeln zu Jugendschutz, Mindestlohn und Lebensmittelrecht. Das fachgerechte Servieren von Weingläsern oder das Röstibraten müssen die Ukrainerinnen und Ukrainer dann im Betrieb lernen.
An diesem Morgen bespricht Risse heikle Situationen, die man im Alltag in der Gastronomie manchmal lösen muss: Was tut man am besten, wenn sich ein Gast rassistisch verhält und sich weigert, neben einer muslimischen Frau mit Kopftuch zu essen? Oder wie reagiert man, wenn ein offensichtlich betrunkener Gast mit seinem Auto nach Hause fahren will? Die Kursteilnehmenden diskutieren eifrig auf Ukrainisch, eine Übersetzerin vermittelt zischen dem Kursleiter und Teilnehmenden.
Ebenfalls besprochen wird an diesem Tag, wo Gefahren im Arbeitsalltag lauern können: etwa in giftigen Putzmitteln, beim Gemüseschneiden mit scharfen Messern oder beim Tragen von heissen Tellern.
«Mit gefällt die Arbeit»
Für den Kurs angemeldet hat sich auch Oksana (19), die bereits eine Arbeit gefunden hat. Sie ist vor drei Monaten in die Schweiz geflüchtet, und war davor im Modebusiness in Kiew tätig. Nun hilft sie am Buffet und beim Abwasch in einem Emmentaler Landgasthof aus. Und wenn viel los ist, hilft sie auch, die Zimmer zu machen. «Mir gefällt die Arbeit», sagt sie.
Noch keine Stelle hat hingegen Galyna (34). Auch sie möchte gerne künftig in der Gastronomie Fuss fassen, der Kurs sei eine gute Vorbereitung, sagt sie. Im März ist sie in die Schweiz geflüchtet, davor arbeitete sie als Teamleiterin in einem Tourismusbüro im Westen der Ukraine. «Es spielt mir keine Rolle, ob ich in einem kleinen Restaurant auf dem Land oder einem grossen Hotel eine Stelle finde, ich bin an allem interessiert», sagt sie.
Wie Galyna geht es vielen Geflüchteten. Bisher hat erst ein Bruchteil der in der Schweiz gemeldeten Ukrainerinnen und Ukrainern einen Job gefunden. Im Kanton Zürich haben bis diese Woche rund 1000 Geflüchtete eine Arbeitsbewilligung erhalten, gemeldet sind rund 10'400 Personen mit Schutzstatus S.
Noch wenig Job-Vermittlungen
Anfang Juni besuchte Bundesrätin Keller-Sutter (58) medienwirksam die Küche des Gasthofs Ochsen in Münsingen. Dort arbeitet ebenfalls eine geflüchtete Ukrainerin. Der Ort war nicht zufällig gewählt, denn keine Branche beschäftigt mehr geflüchtete Ukrainerinnen als das Gastgewerbe. Gut ein Fünftel der bisher erteilten Arbeitsbewilligungen entfällt auf Restaurants, Bars und Hotels.
Die Justizministerin lobte bei ihrem Besuch auch die Initiative des Branchenverbands Gastro Bern. Dieser bietet neben dem Crashkurs auch eine Jobplattform für Ukrainerinnen und Ukrainer an. «Das Ziel des Verbandes ist es, den Flüchtenden einen einfachen und unkomplizierten Einstieg in die Gastroarbeit zu ermöglichen», sagt Gastro-Bern-Präsident Tobias Burkhalter.
«Sie ist mit vollem Einsatz dabei»
Davon hat auch die Branche was. Oksanas Chef nennt die Ukrainerin einen «Glücksfall». Vermittelt wurde sie über einen Bekannten, der sie bei sich zu Hause aufgenommen hat. «Sie ist eine motivierte Persönlichkeit, hat keine Berührungsängste und ist mit vollem Einsatz dabei», sagt Michael Kräuchi, Geschäftsführer des Landgasthofs und Seminarhotels Lueg. Begonnen hat Oksana im Stundenlohn. Inzwischen hat sie einen Arbeitsvertrag erhalten und will bald ihre eigene Wohnung beziehen.