Wir treffen den Armeechef mit viel Abstand und Maske in seinem Sitzungszimmer im Bundeshaus Ost. Es ist sein erstes Interview nach dem hauchdünnen Volks-Ja zu den Kampfjets – und nach seiner eigenen Corona-Erkrankung.
BLICK: Herr Süssli, wie stark hat Corona Sie erwischt?
Thomas Süssli: Ich bin etwas erschrocken, als ich vom Testergebnis erfahren habe. Doch ich hatte Glück und nur vier Tage lang moderate Symptome und konnte bis auf einen Tag mit starkem Husten immer von zu Hause aus arbeiten.
Hat die eigene Erkrankung Ihren Blick auf die Pandemie verändert?
Ich habe schon im Frühling erkrankte Soldaten in der Isolation besucht. Daher waren mir die Symptome in etwa bekannt. Unangenehm ist die Unsicherheit. Ich frage mich ständig: Wird es noch schlimmer oder war es das?
Sie sind hart im Nehmen?
Meine Frau sagt immer: Wenn Männer krank sind, werden sie etwas weicher (lacht).
Hart im Nehmen mussten Sie bei der Abstimmung über die Kampfjets sein: Die Zustimmung war haarscharf – 50,1 Prozent Ja, 8670 Stimmen Unterschied. Wie stark ist Ihnen der Schreck in die Glieder gefahren?
Aufgrund der vorgängig durchgeführten Umfragen haben alle ein deutlicheres Resultat erwartet. Am Abstimmungssonntag ging mir viel durch den Kopf: Was, wenn die Jets abgelehnt werden? Was wäre der Grund dafür? Mir war sofort klar: Es braucht einen Wandel – und zwar jetzt! Nicht beim Prozess der Flugzeugbeschaffung. Da hat das Volk einen Entscheid getroffen. Die weiteren Schritte sind klar, und es sind keine Kompromisse geplant. Aber beim Verständnis der Bevölkerung für die Armee.
Erkennt die Bevölkerung Sinn und Zweck der Armee nicht mehr?
Die Armee ist kleiner und jünger geworden. Deshalb ist sie heute auch nicht mehr so präsent wie früher. Ich kann mich noch erinnern, wie mein Vater in Uniform, mit Gewehr und kompletter Ausrüstung nach Hause gekommen ist. Das erleben die Kinder heute nicht mehr. Auch in den Schulen ist die Sicherheit kein Thema. Wir müssen erklären, wozu es uns braucht. Und dass die Fähigkeiten der Armee den heutigen Gefahren und Bedrohungen entsprechen.
Das knappe Resultat ist doch ein grosses Misstrauensvotum gegenüber der Armee!
Das empfinde ich nicht so. Gemäss einer ETH-Umfrage hat die Armee sogar wieder an Vertrauen gewonnen. Für das knappe Ja sehen wir mehrere Gründe: Einer waren die Finanzen. Viele Menschen haben in der Corona-Krise Sorgen, wissen nicht, welche weiteren Auswirkungen die Pandemie auf die Wirtschaft haben wird, und sehen steigende Schulden. Zudem haben viele wohl nicht erkannt, dass auch Kampfflugzeuge eine Antwort sind auf heutige Bedrohungen und Gefahren. Daneben gab es natürlich auch ideologische Gründe.
Wie garantieren Sie, dass der Typenentscheid unabhängig erfolgt?
Durch eine gründliche Evaluation nach einem genau definierten, transparenten Plan. Hier dürfen wir keine Fehler machen. Verschiedene Teams arbeiten dabei unabhängig voneinander. Wir werden eine Bewertung der verschiedenen Kriterien abgeben. Dann wird der Bundesrat abhängig von Technik, Finanzen und Partnerschaften die Auswahl treffen.
Wird es ein politischer Entscheid, ob ein amerikanischer oder ein europäischer Jet das Rennen macht?
Für die Armee ist das kein Kriterium. Vermutlich werden alle vier Typen unsere Kriterien erfüllen. Jetzt klären wir, zu welchem Grad. Über die politische Komponente entscheidet dann der Bundesrat.
Erwarten Sie eine Initiative gegen die Jets, wenn der Typenentscheid gefallen ist?
Es steht jedem offen, Gebrauch von seinen demokratischen Rechten zu machen. Für uns wäre es auch eine Chance. Die Wahrnehmung der Armee in der Gesellschaft hat sich verändert. Das müssen wir ernst nehmen. Wir müssen erklären, erklären, erklären. Die Konflikte sind heute viel komplexer geworden. Sie finden im Cyberraum statt. Sie werden mit politischen Mitteln geführt, mit wirtschaftlichen, mit kriminellen. Es muss uns gelingen, aufzuzeigen, wie sich die Armee gegen solche Bedrohungen rüstet.
Mit den Corona-Einsätzen hätte die Armee ihr Image verbessern können. Das hat nicht so recht geklappt, weil am Ende viele der aufgebotenen Soldaten nicht gebraucht wurden.
Wir haben sehr viele positive Reaktionen bekommen. Niemand wusste im Frühling, wie sich die Welle entwickelt. Sie war dann weniger schlimm als befürchtet – und das ist gut. Wir haben für die zweite Welle auch unsere Lehren gezogen.
Thomas Süssli (54) ist seit Anfang Jahr Chef der Armee und damit der erste langjährige Milizoffizier auf diesem Posten. Ursprünglich lernte Süssli Chemielaborant, dann bildete er sich zum Programmierer/Analytiker und Wirtschaftsinformatiker weiter. Er machte Karriere in der Finanzbranche: zuerst bei der UBS, später bei der Credit Suisse und bei Vontobel in Singapur. Im Militär war er Hauptmann einer Sanitätskompanie und ab 2015 berufsmässig Kommandant der Logistikbrigade. Süssli ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und wohnt in Oberkirch LU.
Thomas Süssli (54) ist seit Anfang Jahr Chef der Armee und damit der erste langjährige Milizoffizier auf diesem Posten. Ursprünglich lernte Süssli Chemielaborant, dann bildete er sich zum Programmierer/Analytiker und Wirtschaftsinformatiker weiter. Er machte Karriere in der Finanzbranche: zuerst bei der UBS, später bei der Credit Suisse und bei Vontobel in Singapur. Im Militär war er Hauptmann einer Sanitätskompanie und ab 2015 berufsmässig Kommandant der Logistikbrigade. Süssli ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und wohnt in Oberkirch LU.
Welche?
Wir prüfen jetzt sehr genau, ob es unsere Armeeangehörigen wirklich braucht, bevor wir sie aufbieten. Sie sollen nicht einfach als Reserve dienen für den Fall, dass es sie braucht. Wir bieten nur Leute auf, die wirklich sofort gebraucht werden, und überprüfen das ständig. Wir haben schon jetzt angefangen, teilweise wieder zu reduzieren. Wir haben übrigens auch jetzt wieder sehr viele Freiwillige – von den 696 im Assistenzdienst fast die Hälfte! Sie wollen etwas Sinnvolles für die Schweiz machen.
Wer meldet sich freiwillig?
Quer durch die Bevölkerung und viele Menschen, die gerade Zeit haben: weil sie in Kurzarbeit sind oder beim Studium ihr Zwischenjahr nicht wie geplant gestalten können.
Rekrutieren Sie jetzt mehr Sanitätssoldaten, weil vor allem solche gebraucht werden?
Wir werden etwa fünf Jahre lang kleinere Sanitätskompanien haben, weil die Soldaten ihren Dienst jetzt absolviert haben. Aber: 2021 wird der grösste RS-Start der neueren Geschichte! Wir haben etwa 1000 zusätzliche Rekruten, also etwa 12'000 statt 11'000. Wir suchen dazu derzeit zusätzliche Lokalitäten. So wird es also auch etwas mehr Sanitätspersonal geben.
Wieso kommen plötzlich mehr Rekruten?
Viele, die ihre RS mal verschoben hatten, wollen 2021 kommen, weil sie jetzt pandemiebedingt plötzlich Zeit haben. Und wer regulär 2021 kommen sollte, verschiebt nicht.
Sie haben gleich nach Ihrem Amtsantritt angekündigt, dass Sie die Armee für Junge attraktiver machen wollen. Was ist Ihr Plan?
Wir werden versuchen, junge Leute schon mit 17 abzuholen, also vor der Aushebung – zum Beispiel mit einer App. Über diese können sie sich auf attraktive Art informieren, ihre Rekrutenschule buchen, später sogar den Dienst mitgestalten. Ich bin überzeugt: Das wird eine grosse Wirkung haben. Parallel dazu prüft der Bundesrat weitere Massnahmen.
Zum Beispiel eine Bürgerpflicht für alle Schweizerinnen und Schweizer. Was halten Sie davon?
Für uns ist das denkbar. Man muss prüfen, was politisch und gesellschaftlich akzeptiert wird und ob eine Verfassungsänderung mehrheitsfähig wäre. Das ist aber ein politischer Entscheid und nicht Aufgabe der Armee.
Auch wollen Sie den Frauenanteil deutlich steigern.
Unsere Ambition ist klar: Bis 2030 wollen wir zehn Prozent Frauen haben!
Jetzt haben Sie ein Prozent. Ist dieses Ziel nicht utopisch?
Nein, das ist machbar. Dazu braucht es Vorbilder, und davon haben wir immer mehr auf allen Stufen bis zum Divisioinär. Zum RS-Start werden wir nächstes Jahr erstmals zwei Prozent Frauen haben – fast doppelt so viele wie in diesem Jahr. Hier ist also schon ein Anstieg spürbar. Mittlerweile organisieren die Kantone spezielle Informationsanlässe für Frauen.
Sie haben erklärt, dass Ausländer gewisse Funktionen wahrnehmen könnten. Wie würde das gehen?
Brauchen jene, die in einem Verpflegungszentrum in der Küche arbeiten, wirklich alle einen Schweizer Pass? Wir brauchen sehr viele zivil angestellte Spezialisten, etwa in der Logistik und in der Informatik. Da müssen wir offenbleiben. Die eigentliche Milizarmee aber wird weiter aus Schweizer Bürgerinnen und Bürgern bestehen.