Um Personalprobleme zu lösen
Schweizer sollen länger Dienst leisten

Der Armee gehen die Soldaten aus. Noch hat das Verteidigungsdepartement kaum Lösungen. Der Ernst der Lage sei offenbar nicht erkannt, finden nun Offiziere und preschen mit eigenen Vorschlägen vor.
Publiziert: 20.08.2020 um 10:42 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2021 um 19:33 Uhr
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«Wir befürchten, dass das Personalproblem bei der Armee aus dem Ruder läuft», so Stefan Holenstein, Präsident der Schweizer Offiziersgesellschaft.
Foto: Keystone
Daniel Ballmer

Stefan Holenstein (58) macht sich Sorgen. «Wir befürchten, dass das Personalproblem bei der Armee aus dem Ruder läuft», sagt der Präsident der Schweizer Offiziersgesellschaft SOG. «Das Verteidigungsdepartement muss das Thema schneller und mit erhöhtem Druck angehen.»

Fakt ist: Der Armee gehen die Soldaten aus. Einerseits leisten immer weniger Schweizer überhaupt Militärdienst. Andererseits laufen immer mehr Leute davon – aus medizinischen Gründen oder weil sie in den Zivildienst wechseln. «Wir haben berechnet: Am Ende des Jahrzehnts wird uns rund ein Viertel der Bestände fehlen!», sagte Armeechef Thomas Süssli (53) im BLICK-Interview. Das sind rund 30'000 Soldaten.

Offizier-Aufstand gegen das VBS

Für die Armeespitze ist klar: So kann es nicht weitergehen. Soll das Militär seine Aufgaben weiter wahrnehmen können, braucht es entsprechende Bestände. Die Offiziersgesellschaft schlägt deshalb vor, die Zahl der Diensttage von 245 auf das Maximum von 280 zu erhöhen. «So könnte der Bundesrat rasch zumindest kurzfristig die gröbsten Löcher stopfen», ist SOG-Präsident Holenstein überzeugt.

Das Problem: Zusätzliche Diensttage sind nicht nur für die Soldaten eine Belastung, sondern auch für die Wirtschaft. Im VBS, dem Departement von Verteidigungsministerin Viola Amherd (58), stosse der Vorschlag denn auch auf wenig Gegenliebe, ist sich Holenstein bewusst. «Allerdings habe ich bisher noch kein stichhaltiges Argument dagegen gehört.»

VBS: zur Kenntnis genommen

Beim VBS gibt man sich zurückhaltend: «Wir haben diese Vorschläge zur Kenntnis genommen und begrüssen es, wenn sich Milizorganisationen an den Überlegungen zur Alimentierung von Armee und Zivilschutz beteiligen», sagt Sprecher Lorenz Frischknecht. Das VBS arbeite aber selber an einem Bericht zu den Beständen in Armee und Zivilschutz.

Erste Erfolge seien bei der Rekrutierung bereits erreicht. So sei etwa mit Anpassungen der Anforderungsprofile die Zahl der Tauglichen um 6,8 Prozent erhöht worden. Doch das reicht noch lange nicht: «Wir müssen eine Armee schaffen, in der jeder einen Platz hat, der Dienst leisten möchte», so Armeechef Süssli. «Ein Cybersoldat muss nicht über die gleichen körperlichen Fähigkeiten verfügen wie ein Infanterist. Hier ist die Hürde derzeit zu hoch.»

Ansprüche bei Rekrutierung senken

Auch den Offizieren reicht das nicht. Bei der Aushebung gebe es noch viel Potenzial. Das gelte auch für die Frauenförderung, die sich Amherd auf die Fahne geschrieben hat. «Da sind wir immer noch erst bei 0,8 Prozent, also bei gerade mal etwa 1100 Frauen», sagt Holenstein. «In den letzten 20 Jahren hat sich zahlenmässig kaum etwas getan.» Und die Personalprobleme verschärfen sich weiter.

Gross ist der Ärger bei den Armee-Offizieren deshalb auch über das Parlament. Dieses hat es im Juni abgelehnt, den Wechsel in den Zivildienst zu erschweren und die Armee-Bestände so vermehrt zu stärken. «Das verstärkt das wachsende Ungleichgewicht noch weiter», findet Holenstein. «Der Zivildienst hat viel zu viele Leute, der Zivilschutz hat zu wenig und die Armee sowieso.» So werde das Erfolgsmodell Milizarmee gefährdet.

Gerade die «unschöne» Kehrtwende von Amherds CVP ist den Offizieren ein Dorn im Auge. «Wir fühlen uns schon etwas düpiert», sagt SOG-Präsident Holenstein. «Und wir hätten uns gewünscht, dass sich die bürgerliche Mitte zusammenrauft und sich stärker für die Vorlage einsetzt.» Womöglich aber werde die Situation noch immer unterschätzt.

Die SOG erwarte von Bundesrat und VBS nun endlich Lösungen. Denn die Lage spitze sich weiter zu, betont Holenstein. «Da können wir nicht einfach Däumchen drehen.»

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