Darum gehts
- Religion rückt bei Bundesratskandidaten in den Fokus
- Markus Ritter zelebriert seinen Glauben öffentlich, was als Tabubruch gilt
- 35,6 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung gehörten 2023 keiner Religion an
Für die meisten Politiker ist der Glaube Privatsache. Bei Mitte-Anwärter Markus Ritter (57) wirkt das anders: Der Bauernpräsident und konservative Katholik bittet evangelikale Bauerngruppen, für ihn zu beten. Er liess sich von ihnen öffentlich segnen und kündigte an, am Tag vor der Wahl ins Flüeli-Ranft OW zu pilgern – zur Wirkstätte des Nationalheiligen Niklaus von Flüe (1417–1487).
Während der katholische Glaube bei Konkurrent Martin Pfister (61) kaum eine Randnotiz bleibt, sorgt Ritters Religiosität und seine Verbundenheit mit den Freikirchen für Gesprächsstoff. «Es wirkt für viele wie ein Tabubruch, dass Herr Ritter seinen Glauben so öffentlich zelebriert», sagt Antonius Liedhegener (61), Professor für Politik und Religion an der Universität Luzern. Das könne in einer stark entkirchlichten Gesellschaft zu einer Abwehrreaktion führen.
«Es wird dann rasch die Frage gestellt, wie viel Glaube uns zuträglich ist», sagt Liedhegener. Zwar würde Religion bis zu einem gewissen Punkt als förderlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gewertet. Gleichzeitig habe sie auch ihre dunkeln Seiten – etwa, wenn dadurch Machtansprüche legitimiert werden.
In der Schweiz sind Konfessionslose seit zwei Jahren die grösste Gruppe: 35,6 Prozent der Bevölkerung gehören keiner Religion an. Ein Drittel ist katholisch (30,7 Prozent), jeder Fünfte evangelisch-reformiert (19,5 Prozent).
Das Bundeshaus bleibt christlich
Im Bundesrat dominieren dagegen klar die Kirchenmitglieder. Sechs der sieben Mitglieder gehören einer Kirche an: Viola Amherd (62, Mitte), Ignazio Cassis (63, FDP) und Karin Keller-Sutter (61, FDP) sind katholisch; Elisabeth Baume-Schneider (61, SP), Guy Parmelin (65, SVP) und Albert Rösti (57, SVP) sind reformiert. Nur Justizminister Beat Jans (60, SP) hat keine Konfession.
«Mein Glaube hilft mir», sagte die St. Galler Katholikin Keller-Sutter vergangenes Jahr im Gespräch mit dem Einsiedler Abt Urban Federer (56). Doch er bleibe privat. Zwar nehmen Bundesräte an religiösen Bräuchen teil, doch zu Gott wahren sie Distanz. Es geht vor allem um «christliche Werte» wie Fürsorge und Nächstenliebe.
Auch Bundesratskandidat Pfister hält es so. «Mein Glaube bleibt intim», sagte er der Westschweizer Zeitung «Le Temps». Seine Aufgabe in der Landesregierung sei eine politische. Damit setzt er einen Kontrast zu Ritter.
Ritters fromme Haltung sei ein taktisches Risiko, aber im Amt legitim. Religiöse Menschen seien nicht per se befangen, so Liedhegener. «Auch Regierungsmitglieder bleiben Menschen mit ihrer eigenen Geschichte und sozialen Einbindung – dazu gehört auch Religion.» Jedenfalls solange sie rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien nicht infrage stelle, sei sie unproblematisch.
Die Pilgerfahrt Ritters darf nicht als Obskurität gelten
Ritters offene Religiosität wirft aber parteiinterne Fragen auf – besonders vor dem Hintergrund der Umbenennung der CVP in «Die Mitte». Die Partei portiere nun insbesondere mit Ritter einen Kandidaten auf ihr Ticket, der sozusagen das Gegenteil des neuen Selbstverständnisses der Mitte darstellt. Da bilde auch der Kandidat Pfister insgesamt nur wenig Gegengewicht.
Ritter selbst geht seinen Weg weiter: Seine Kandidatur sei mit Gott abgesprochen, bestätigte er im Interview mit den Tamedia-Zeitungen. Und das Pilgern ins Flüeli-Ranft brauche er, um sich zu spüren.
Auch für Liedhegener steht die Wirkstätte zwar klar im christlichen Kontext. «Die Aktion Ritters darf aber nicht als obskure, fromme Geste betrachtet werden», mahnt er. Denn die abgeschiedene Klause solle für alle – auch Ungläubige – als spezieller Ort gelten. Etwa, um Stille zu finden und über gute Politik für die Schweiz nachzudenken.