Frank A. Meyer – die Kolumne
Wow!

Alain Berset tritt als Bundesrat zurück. Was passiert nachher?
Publiziert: 25.06.2023 um 00:46 Uhr
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Aktualisiert: 04.07.2023 um 14:46 Uhr
Foto: Antje Berghaeuser

Dieser Tage konnte man lesen: «Ohne Corona bliebe nicht viel.» Aber auch: «Der Bundesrat der vielen Affären.»

Also was jetzt?

Nun denn: Alain Berset hat nie gelangweilt. Nicht nur, weil er als Privatpilot über Frankreich von der Luftpolizei zur Landung genötigt wurde oder weil er Frauen zugetan war, über die Sperrzone kleinbürgerlichen Komments hinaus, oder weil er ganz und gar Unsinniges zum Kreml-Krieg gegen die Ukraine von sich gab. Nein, Alain Berset war durch und durch und überhaupt ein Ereignis, mit jedem Auftritt, kahlköpfig attraktiv, rhetorisch originell, politisch pointiert, Bildungsbürger comme il faut. Stets machte er «bella figura», jüngst sogar in Afrika.

Er hat regiert, wie den Regierten das Regieren gefällt.

Darum erhielt er vom Volk auch Höchstnoten, ungeachtet der Selbstverständlichkeit, dass er Fehler machte, wie jedes Mitglied der Landesregierung sie macht – zum Gaudi der Journalierenden im Bundeshaus.

Alle sind also zufrieden. Und bedanken sich artig. Und fragen sich, wie es weitergeht. Und mit wem es weitergeht. Ob mit Rot oder mit Grün. Endlich ist echt mal wieder was los unter der wuchtigen Bundeskuppel. Eine klassische Megaveranstaltung.

Bundesratswahlen – wow!

Die Lustbarkeit dreht sich um Land und Leute: um die Zukunft der Schweiz, die an höchster exekutiver Stelle gewährleistet wird vom Direktorium der sieben Gleichen, diesem Unikum der Weltregierungsgeschichte, das aus der freisinnigen Revolution vor 175 Jahren hervorging.

Bisher hats geklappt. Einigermassen. Was bei all der politischen Unbill in all diesen Dezennien doch allerhand ist.

Darf man gar von Vollendung reden? Dann wäre das Jahr 1959 in den Blick zu nehmen: Als die Bundesversammlung erstmals zwei Sozialdemokraten wählte. Weshalb Vollendung gerade das? Weil seither mit einer Koalition der bürgerlichen Verantwortung regiert wird – nicht ganz zu Unrecht mythisch überhöht zur:

«Zauberformel».

Was ist das Zauberhafte an diesem Zusammenwirken von vier ganz und gar nicht zauberhaften Parteien? Ihr Miteinander? Ihr Gegeneinander? Ihr Durcheinander?

Genau das.

Die Regierung regiert – stolpernd und schreitend und eilend und bremsend. Selten hastend, selten ruhend. Immer der Pflicht gehorchend, dass das Land zu regieren sei auch gegen die Parolen der jeweils eigenen Partei oder die jeweils persönlichen Präferenzen.

Bürgerlich eben.

Wozu nicht zuletzt Parteien gehören, die Bürgerlichkeit als politische Kultur in sich tragen: der Freisinn natürlich, das bürgerliche Urvieh, dazu die seit einer Generation immer wieder rechts aussen irrlichternde SVP, aber und tröstlich auch die Christdemokraten, die das Bürgerliche seit je ihrer abwägenden Skepsis unterziehen, auf dass es dann doch nicht allzu hedonistisch zugehe, und schliesslich die Sozialdemokraten, die Marxens Kunstfigur, den Proletarier, zum Bürger erhoben haben, zum Garanten des kreativen Kapitalismus – eine historische Leistung, vergleichbar nur der revolutionären Rolle des Freisinns.

Von all dem handeln die Bundesratswahlen, im aktuellen Fall die Wahl eines Nachfolgers für Alain Berset. Also handeln sie von
demokratischer Substanz, vom höchsten, das es in einer freien Gesellschaft zu verhandeln gibt.

Genau darum sind Bundesratswahlen keine quantitative Frage. Also nicht: Über welchen Wähleranteil verfügen die Grünen, allein oder mit den Grünliberalen zusammen? Genau darum sind Bundesratswahlen eine qualitative Frage. Also so: Welche Partei verfügt über genügend Gene der Bürgerlichkeit, bürgerlich wohlerzogen die Sozialdemokraten oder apokalyptisch aufgeregt die Erweckungsbewegung unter dem grünen Banner?

Wahr ist allerdings auch, dass dem nie genial gedachten und gerade darum genial gemachten Bundesratskollegium Kräfte innewohnen, die unkultiviertes Verhalten umerziehen zu magistraler Mentalität – oder, in ganz seltenen Fällen, abstossen und ausstossen.

Noch ist Alain Berset sechs Monate Bundesrat. Und er passt. Bestens.

Der Lebens-Wert
6:04
Tabuthema Rentenalter:Der Lebens-Wert
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