Der Entscheid des Bundesrats sorgte weitherum für Empörung und Unverständnis. Statt sich den Sanktionen der EU vollumfänglich anzuschliessen, beschloss die Regierung am Donnerstag, gegenüber Russland im Grunde so weiterzumachen wie bisher: Man will verhindern, dass die Sanktionen über die Schweiz umgangen werden können. Mehr nicht.
Die SP will das nicht akzeptieren. Die Partei lancierte umgehend eine Petition, die den Bundesrat auffordert, die EU-Sanktionen vollumfänglich mitzutragen. Über 40'000 Personen hatten den Appell bis am Freitagnachmittag unterzeichnet.
Bundesrat beschwichtigte
Angesichts der heftigen Reaktionen sah sich der Bundesrat am Freitag gezwungen, den Schweizer Sonderweg zu rechtfertigen. Bundespräsident Ignazio Cassis (60) sagte am Rande einer Medienkonferenz zur EU-Politik, die neutrale Rolle der Schweiz sei international «gewünscht und akzeptiert», im Ausland habe man deshalb Verständnis für die Schweizer Zurückhaltung.
Cassis wie auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62) stellten es ausserdem so dar, als mache es faktisch gar keinen wirklichen Unterschied, ob die Schweiz die Sanktionen übernimmt oder nur deren Umgehung verhindert. Dies sei «ungefähr das Gleiche», man nenne es aus diplomatischen Gründen nur anders, behauptete Cassis.
Das ist so allerdings nicht richtig. Es gibt sehr wohl Unterschiede zwischen den Schweizer und den EU-Sanktionen. Eine Auslegeordnung:
Reisebeschränkungen
In diesem Bereich übernimmt die Schweiz die Sanktionen der EU vollumfänglich – sie hat aber auch gar keine Wahl. Da die Schweiz Schengen-Mitglied ist, gelten die Einreiseverbote, die die EU gegen 363 Personen ausgesprochen hat, automatisch auch hierzulande. Und zwar bereits ab Freitag um 18 Uhr.
Von dem Reiseverbot betroffen sind etwa die Mitglieder des russischen Parlaments, mehrere Regierungsmitglieder wie etwa der Verteidigungsminister oder die Chefredaktorin des Propaganda-Senders RT, Armeeangehörige sowie Geschäftspersonen. Weitere Personen könnten folgen.
Finanzwesen
Hier könnte die Schweiz wohl am meisten Wirkung erzielen. Immerhin parkieren reiche Russinnen und Russen hier weltweit am meisten Privatvermögen. Je nach Quelle sollen jedes Jahr fünf bis zehn Milliarden Dollar auf Schweizer Bankkonten fliessen.
Doch ausgerechnet in diesem Bereich will die Schweiz weniger weit gehen als die EU. Die Union hat die Vermögen der Personen und Organisationen auf der Sanktionsliste eingefroren und Banken ist es verboten, ihnen Gelder zur Verfügung zu stellen. Bei den sanktionierten Unternehmen handelt es sich – vorerst – um drei russische Banken und eine Propaganda-Agentur.
Auch mögliche Vermögen von Präsident Wladimir Putin (69) und Aussenminister Sergei Lawrow (71) in der EU werden blockiert. Russische Banken sollen ausserdem, so die Absicht der EU, von den europäischen Finanzmärkten abgeschnitten werden und Aktien russischer Staatsunternehmen sollen nicht mehr in der EU gehandelt werden dürfen.
In der Schweiz sollen die sanktionierten Personen und Unternehmen derweil weiterhin frei über ihr Geld verfügen können, was im Ausland teilweise für Stirnrunzeln sorgt. Gewisse zusätzliche Einschränkungen soll es aber geben. Die sanktionierten Personen und Firmen dürfen derzeit kein neues Konto in der Schweiz eröffnen und bestehende Geschäftsbeziehungen müssen gemeldet werden. Nun sollen diese Regeln verschärft werden. Möglich ist beispielsweise, dass kein neues Geld mehr in der Schweiz parkiert werden darf. Noch ist nichts definitiv beschlossen.
Diese Schweizer Zurückhaltung geht selbst bürgerlichen Politikerinnen zu weit. «Persönlich bin ich der Meinung, dass auch die Schweiz Vermögen russischer Oligarchen einfrieren sollte», sagt FDP-Nationalrätin Doris Fiala (65). Es sei zumindest begründet zu vermuten, was mit solchen Geldern finanziert werden könne. «Der Bundesrat versucht, die Neutralität hochzuhalten», sagt Fiala. «Hier aber braucht es eine unmissverständlich klare Haltung. Weichspüler-Sanktionen nützen gar nichts!»
Anzumerken ist, dass die Schweizer Banken sehr wahrscheinlich aus Compliance-Gründen von sich aus weitergehen und die EU- und US-Sanktionen übernehmen werden, um Probleme zu vermeiden. Heisst: Wird ein russisches Unternehmen von der EU sanktioniert, dürften Banken und andere Firmen vorsichtig werden und nicht mehr mit diesem geschäften.
Handel
Die EU hat die Ein- und Ausfuhr von Waren in die beiden «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk verboten. Dieses Verbot übernehme die Schweiz eins zu eins, sagte Wirtschaftsminister Parmelin am Freitag.
Allerdings handelt es sich hierbei um eine Massnahme, die Russland kaum schmerzen wird. Viel mehr wehtun würde Putin, wenn der Handel gewisser Waren mit Russland weiter eingeschränkt würde. Die EU hat unter anderem vor, den Export von Ersatzteilen für Flugzeuge zu verbieten, Exportkontrollen für Hightech-Produkte einzuführen und die Ausfuhr von Dual-Use-Gütern weiter einzuschränken. Dabei handelt es sich um Waren, die sowohl für militärische wie auch nichtmilitärische Zwecke eingesetzt werden können. Welche dieser Sanktionen die Schweiz übernehmen wird, steht noch nicht fest. Der Bundesrat hat sich dazu bisher nicht genauer geäussert.
Bundesrat soll weitergehen
Offen bleibt, ob der EU diese Massnahmen reichen. Brüssel hatte am Freitag die Erwartung geäussert, dass andere Staaten den EU-Sanktionen gegen Russland folgen oder ihre Sanktionen angleichen. Dabei nannte ein Sprecher auch explizit die Schweiz.
Und auch aus dem Parlament gibt es Druck auf den Bundesrat. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats fordert ebenfalls, dass sich die Schweiz voll den Sanktionen der EU gegen Russland anschliesst. Am Abend legte Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59) nach. Er fordert die Schweizerinnen und Schweizer auf, einen Appell an den Bundesrat zu unterstützen, der genau das Gleiche und zudem die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen fordert. «Die Situation macht mich fassungslos», so Pfister. Es sei unverständlich, wie zögerlich und ratlos sich der Bundesrat zeige. «Die Schweiz darf nicht der Business-Hub für Russlands Krieg werden.»