Der Stapel hängiger Asyldossiers beim Staatssekretariat für Migration (SEM) wächst und wächst. Ende Januar waren im Departement von SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (59) exakt 12'768 Asylgesuche pendent – so viele wie seit beinahe fünf Jahren nicht mehr. Höher war der Pendenzenberg nur im Nachgang zur historischen Flüchtlingskrise 2015.
Grund für die vielen offenen Gesuche sind zunehmende Asylzahlen. 2022 stellten 24'500 Bewerber einen Antrag, rund 64 Prozent mehr als im Vorjahr. Dazu kamen 75'000 Gesuche für den Schutzstatus S von Menschen aus der Ukraine.
Bereits Ende 2021 setzte der Bund eine Taskforce zum Pendenzenabbau ein. Die neu geschaffenen Stellen mussten aber schon bald anderweitig zur Verfügung gestellt werden. Das geht aus neuen Sitzungsprotokollen des Sonderstabs Asyl hervor, die SonntagsBlick vorliegen. Demnach seien die Ressourcen des SEM im Asylbereich entweder «mit den S-Verfahren oder mit den steigenden Neueintritten» beschäftigt.
Bund rechnet mit 40'000 neuen Gesuchen
SEM-Sprecher Reto Kormann: «Seit Juni 2021 ist die Zahl der Asylgesuche nach dem pandemiebedingten Rückgang wieder deutlich angestiegen und die Bearbeitungskapazität des SEM wurde konstant überschritten – unter anderem auch wegen der parallelen Belastung durch die Ukraine-Krise.»
Die Situation wird sich in den nächsten Monaten voraussichtlich weiter zuspitzen. Für 2023 rechnet der Bund mit bis zu 40'000 neuen Asylgesuchen und weiteren Flüchtlingen aus der Ukraine.
Besonders im Frühjahr dürfte die Zahl der Anträge in die Höhe schnellen. Kormann: «Die Kapazitäten reichen nicht aus, um die in den kommenden Monaten erwarteten Gesuche bearbeiten zu können.» Das SEM sei deshalb «gewillt», weiteres zusätzliches Personal zu rekrutieren.
Mehr Handyauswertungen, mehr Arbeit
Der SEM-Sprecher gibt aber auch zu bedenken, dass die Rekrutierung von Personal Zeit in Anspruch nehme und die neu Eingestellten erst nach einer Einarbeitungszeit von rund sechs Monaten «produktiv» sind. Immerhin: Das Staatssekretariat für Migration konnte die Zahl der Erledigungen in den vergangenen Monaten steigern.
Mehr Geld und mehr Personal braucht Bern bald auch in einem anderen Asylbereich. Künftig will der Bund in vielen Fällen Handyauswertungen zur Identifikation von Asylsuchenden vornehmen. Die Umsetzung einer vom Parlament verabschiedeten Vorlage führt zu einem finanziellen und personellen Mehraufwand. Solche neuen Aufgaben werden nach Auskunft des Bundesrats von Mitarbeitenden in den sechs Bundesasylzentren übernommen.
Fast drei Viertel der Asylsuchenden haben in den vergangenen Jahren keine Ausweispapiere abgegeben. Bei der Hälfte von ihnen geht der Bund davon aus, dass künftig verschiedene Datenträger ausgewertet werden könnten, zum Beispiel Handys.
Beschleunigung der Asylverfahren
Mittelfristig erwartet der Bund von diesen zusätzlichen Auswertungsmöglichkeiten eine Reduzierung der Kosten. Durch das frühzeitige Vorliegen zusätzlicher Informationen zur Identität, zur Nationalität oder zum Reiseweg könne das Asylverfahren beschleunigt werden.
Asylsuchende sollen elektronischen Datenträger aber nur dann aushändigen müssen, wenn persönliche Informationen nicht auf andere Weise erlangt werden können.