Sexualität und Kinder – diese Kombination lässt beim Verein Schutzinitiative um SVP-Nationalrätin Verena Herzog (66) die Alarmglocken läuten. Die Politikerin wollte die «perverse Aufklärungsbroschüre» «Hey You» der Organisation Sexuelle Gesundheit Schweiz aus dem Verkehr ziehen. Zwölfjährige müssten nicht wissen, was Anal-Plugs sind und wie man ein Lecktuch einsetzt. Die Broschüre sei nicht altersgerecht.
Aufgeklärte Kinder schützen sich besser
Doch so einfach ist es nicht. «Manche zucken zusammen, wenn man über Sexualität spricht und Kinder ins Spiel bringt. Und das ist auch gut so!», sagt Barbara Berger (44), Geschäftsführerin von Sexuelle Gesundheit Schweiz. Kinder und Jugendliche könne man nicht vor Ausbeutung und Missbrauch schützen, indem man ihnen eine heile Welt vorgaukle und wichtige Informationen vorenthalte.
Vielmehr brauche es einen ganzheitlichen Ansatz, wo auch Raum bleibe für Neugier und Fragen. Ganzheitlich heisse in diesem Fall «alters- und entwicklungsgerecht und auf den sexuellen Rechten beruhend», erklärt Berger. Dabei dürfe man Sexualität bei Kindern, die erst mal den eigenen Körper erforschen, nicht mit Sexualität bei Erwachsenen, die sich auf andere beziehe, verwechseln, erläutert die Fachfrau.
Schutz vor Übergriffen
Sexualaufklärung sollte ihrer Meinung nach viel mehr beinhalten als nur den Aspekt der biologischen Fortpflanzung und Geschlechtsverkehr. Das ginge vom Thema Körper über Gefühle bis zu Beziehungen und auch Gewaltprävention. «Wenn beispielsweise nie über Konsens gesprochen wird, machen sich Probleme auf», gibt Berger zu bedenken.
Denn Kinder und Jugendliche, die seit der frühen Kindheit Zugang zu einer umfassenden Sexualaufklärung haben, würden sich nicht nur besser gegen sexuell übertragbare Infektionen und ungewollte Schwangerschaften schützen, sondern auch gegen Übergriffe und sexualisierte Gewalt.
Wer klärt in der Schweiz überhaupt auf?
Nach den Eltern, die primär für die Aufklärung ihrer Kinder zuständig sind, liegt die Verantwortung für Sexualaufklärung bei den Kantonen. Diese sind in der Schweiz für das Schulwesen zuständig.
Entsprechend unterschiedlich wird in den verschiedenen Sprachregionen aufgeklärt. In der Deutschschweiz lastet die Verantwortung meist auf den Schultern der Lehrpersonen. Eine ausreichende Qualität des Unterrichts zu sichern, sei bei diesem System schwierig, so Berger. «Manche Lehrpersonen beschränken sich auf Biologie und Fortpflanzung.» Andere hingegen würden Sexualaufklärung sehr umfassend und kompetent vermitteln. Der Vorteil bei diesem Modell sei, dass Lehrpersonen für Fragen jederzeit verfügbar seien.
Die Romands setzen hingegen seit über 30 Jahren lieber auf externe Fachpersonen. Nochmals ein anderes System gibt es im Tessin. Zwar sind auch hier ebenfalls die Lehrpersonen die erste Instanz, ihnen steht aber eine Gruppe von Ausbildungscoaches zur Seite.
«Ein Kondom kritisiert auch niemand»
Für die Lehr- und Fachpersonen stellt Sexuelle Gesundheit Schweiz auch Informationsmaterial bereit. Darunter die in die Kritik geratene «Hey You»-Broschüre, die sich bewusst an Jugendliche von 12 bis 18 Jahren aller Geschlechter richtet.
Doch die Frage bleibt: Ist es notwendig, Zwölfjährige über Anal-Plugs und Lecktücher zu informieren? «Die Idee war nie, dass Jugendliche diese 60 Seiten von A bis Z durchlesen, sondern dass es ein möglicher Einstieg ist zu Informationen, die liebevoll, divers, offen und up to date sind», sagt Berger. Und es sei gut, wenn die Jugendlichen schon einmal von verschiedenen Sachen gehört hätten und sich dann später daran zurückerinnerten.
Vor allem aber: «Ein Kondom kritisiert auch niemand.» Dabei würden Kondome wie auch Lecktücher vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützen – wenn sie denn richtig angewendet werden.