Experte kritisiert Abkommen mit Indien
Nur Kaffee von Nespresso erhält Zollrabatt

Der Schweizer Handelsexperte Patrick Ziltener jubelt nicht mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Das Freihandelsabkommen mit Indien sei kein Vorbild für künftige Verträge. Hier erklärt er, wo das Problem liegt.
Publiziert: 12.04.2024 um 17:49 Uhr
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Aktualisiert: 13.04.2024 um 01:12 Uhr
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Bundesrat Guy Parmelin bei der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens in der indischen Hauptstadt Dehli.
Foto: zVg
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Andreas Valda
Handelszeitung

Handelsbarrieren einreissen, Zölle abschaffen und Export fördern, damit Arbeitsplätze geschaffen und der Wohlstand gefördert werden: Das sind die wichtigsten Gründe für Freihandel aus Staatssicht. Ob das jüngste Handelsabkommen der Schweiz (im Rahmen der Efta) mit Indien diesen Anspruch erfüllt, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen.

Der Jubel der offiziellen Schweiz über den Abschluss im März war gross. Doch was, wenn dieser Vertrag gar keinen Freihandel ergibt? «Ein solches Abkommen entspricht nicht dem Konzept vom Freihandel», sagt der Freihandelsexperte Patrick Ziltener. Der Professor der Uni Zürich hat das Abkommen im Auftrag der Exportförderung Switzerland Global Enterprise analysiert und in Seminaren Exportfirmen beraten.

Die Hälfte der Kategorien ausgeschlossen

Ein Beispiel: Es gibt im neuen Abkommen 27 Zolltarife für Kaffee im Export nach Indien – von erstklassigen Bohnen über Billigkaffee bis hin zu koffeinfreien Produkten. Von diesen 27 Tarifen soll laut Abkommen nur eine einzige Tarifposition zollfrei sein: diejenige für Kaffeekapseln.

Nespresso hat bei Bundesrat Guy Parmelin (64) wohl gut lobbyiert. Alle anderen Schweizer Kaffeeröster – vom Berner Traditionsbetrieb Blaser Kaffee bis zur Delica-Rösterei der Migros – bleiben vom Freihandel im indischen Markt ausgeschlossen.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Man könnte einwenden, dass gerösteter Kaffee nicht der bedeutendste Exportsektor der Schweiz sei. Deshalb ein zweites Beispiel: Hightech-Geräteteile. Zu finden sind sie im Zollkatalog unter den Tarifnummern 84 bis 89. Im Abkommen sind 2379 Tariflinien erfasst, darunter beispielsweise Hightech-Pumpen für AKW oder Zulieferteile für Autos und E-Bikes.

Bemerkenswert: In diesen Bereichen ist rund ein Drittel aller Tarife vom Freihandel ausgenommen. Das ist viel. Und schliesslich der Agrarbereich. Dort ist die Hälfte (49 Prozent) aller Zollkategorien vom Freihandel ausgeschlossen. 

Wie kann Bundesrat Guy Parmelin (64) also von einem Freihandelsabkommen mit Indien sprechen? Uni-Professor Ziltener findet das Abkommen problematisch, weil es einen eingeschränkten Freihandel postuliert. «Es sendet ein schlechtes Signal für weitere Freihandelsverträge aus.»

Mit China viel mehr Freihandel

Ziltener kennt den Freihandel aus dem Effeff. Er hat 2009 im Auftrag von Ex-Wirtschaftsministerin Doris Leuthard (61) das Freihandelsabkommen mit Japan ausgehandelt. Er kennt auch das Freihandelsabkommen mit China sehr genau, hat er es doch zweimal in einer Wirksamkeitsstudie evaluiert, zuletzt im Herbst 2023.

Sein exklusiver Vergleich der Resultate der beiden Freihandelsabkommen von China und Indien zeigt, dass Parmelin mit Indien viel weniger herausgeholt hat als Ex-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (72) mit China vor zehn Jahren. Zwei wichtige Vergleichszahlen:

  • China hat 2014 über 69 Prozent aller Zölle innert einem Jahrzehnt abgeschafft. Indien will nur 41 Prozent aller Zolltarife über die Jahre hin abschaffen.
  • China hat nur 6 Prozent aller Zölle nicht abgeschafft. Mit Indien bleiben 17 Prozent aller Tarife unberührt.

Seco hat andere Definition

Parmelin stützt sich auf das federführende Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) unter der Führung von Helene Budliger Artieda (59). Das Seco definiert den Freihandel anders als Experte Ziltener. Es sagt, dass man sich auf Zollerleichterungen des bestehenden Handels konzentriert habe. Nur für den bisherigen Handel versuchte das Seco Verbesserungen herauszuholen. Das ist ihm offenbar geglückt: Für 95 Prozent aller bisherigen Exportkategorien wurde ein Zollrabatt oder eine Zollbefreiung herausgeholt, sagt die Bundesstelle.

So kommt vor allem der Uhrenexport nach Indien zum Handkuss. Er wird weitgehend von Zöllen befreit. Und für den Maschinen- und Anlagenbau sind substanzielle Zollreduktionen oder Zollbefreiungen erreicht worden. Und eben auch für einzelne schweizerische Vorzeigeprodukte wie Nespresso und Insulin-Injektionspens der Solothurner Ypsomed. Letztere erhielt eine Zollreduktion um die Hälfte innert fünf Jahren. Doch auch dieser Rabatt ist kleiner als im Freihandel mit China.

Bundesrat fördert nur «Old Trade»

Diesen Verhandlungserfolg bestreitet Ziltener nicht: Das Seco habe herausgeholt, was herauszuholen war, sagt er, doch er kritisiert, dass die Bundesstelle sich nur für den sogenannten «Old Trade» einsetzt. Der künftige, neue Handel, beispielsweise hochpreisiger Röstkaffee von Blaser, Schweizer Hochleistungspumpen für AKW oder Schweizer E-Bikes können vom Freihandel nicht profitieren.

Dass das Seco nicht nur die Zollbefreiung, sondern bloss Zollrabatte als Erfolg verbucht, sei «diskussionswürdig», sagt Ziltener. Sie machen 3 Prozent aller Zolltarife mit Indien aus. «Das ist kein Freihandel, sondern verhandelte Zollvorteile», sagt der Wissenschaftler.

Seco in der Defensive

Wie begegnet das Seco dieser Kritik? Zunächst akzeptiert es Zilteners Befund, dass sich das Freihandelsabkommen auf die Exportzölle des bisherigen Handels fokussiert habe. Das erste Ziel sei «immer die Maximierung der Zollpräferenzen für bilaterale Exporte und das zweite Ziel die Maximierung für potenzielle Exporte», sagt Seco-Sprecherin Antje Baertschi. Auch akzeptiert das Seco Zilteners Befund, dass im Agrarbereich kaum Freihandel entsteht.

Doch das Staatssekretariat rühmt sich, dass es «für viele wichtige Produkte Zugeständnisse erhalten hat, wie zum Beispiel für Energydrinks, Wein, Schokolade und Kaffeekapseln». Ansonsten habe es das politisch Machbare gemacht, um die Schweizer Bauern ruhig zu halten.

Sich auf den «Old Trade» – den bisherigen Freihandel – zu konzentrieren, mache volkswirtschaftlich Sinn, meint Parmelins Bundesamt, weil die Schweiz dort ihre Trümpfe habe.

In den von Ziltener aufgegriffenen Gerätebau-Kategorien (Zolltariflinien 84–89) habe sie für fast alle bisherigen Exporte einen Rabatt oder eine Befreiung herausgeholt (Seco: «99,98 Prozent»). Das sei viel.

Dass das Staatssekretariat in gewissen Kategorien keine Zollbefreiung, sondern bloss Zollrabatte herausgeholt habe, sei auch wichtig, denn bei kleinen Margen beförderten «selbst kleinere Zollpräferenzen den Handel», so das Amt.

Nicht wirklich Freihandel

Ziltener überzeugen all diese Argumente nicht. Er wird grundsätzlich: «Wenn die Schweiz den Freihandel wirklich ernst nimmt, darf sie nicht nur auf die Zolltarife fokussieren, wo sie aktuell am meisten herausholt, sondern sie muss auf die Senkung aller Zölle hinwirken. So setzt sie ein Signal gegenüber Ländern, die mit der Schweiz verhandeln wollen.»

Selber hat es die Schweiz ja vorgemacht: Sie hat kürzlich alle Industriezölle für Importeure gestrichen. Auch für Indien.

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