«Wenn sie sich nicht einigen, sind wir weg»
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Trump über Kriegsparteien:«Wenn sie sich nicht einigen, sind wir weg»

Ex-Spitzendiplomat Thomas Borer
«Mr. President ... so können Sie die EU piesacken»

Der ehemalige Diplomat Thomas Borer sagt, was Wolodimir Selenski im Weissen Haus falsch gemacht hat, er analysiert die Schwäche Europas und plädiert für eine Schweizer Lobbyoffensive in Washington.
Publiziert: 09.03.2025 um 11:27 Uhr
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Aktualisiert: 09.03.2025 um 12:41 Uhr
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«Wir müssen Trump die Reverenz erweisen», sagt Thomas Borer.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Thomas Borer spricht über Macht, Diplomatie und die Rolle der Schweiz in einer neuen Welt
  • Borer empfiehlt dem Bundesrat, Trump Respekt zu zollen und die Grössenverhältnisse realistisch einzuschätzen
  • Schweiz ist sechstgrösster Investor in den USA und schafft 600'000 Arbeitsplätze
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Thomas Borer (67) weiss, wie es ist, wenn Amerika Druck macht. In den 90er-Jahren geriet die Schweiz ins Visier der USA. Die Auseinandersetzung drehte sich um Nazi-Raubgold und das historische Erbe des Schweizer Finanzplatzes. Borer leitete die Taskforce «Schweiz – Zweiter Weltkrieg» und steuerte die Eidgenossenschaft durch eine ihrer heikelsten diplomatischen Krisen. Später war er Botschafter in Berlin, heute berät er Unternehmen und Politiker – mit besten Drähten bis ins Weisse Haus.

SonntagsBlick hat ihn in Zürich getroffen. Zu einem Gespräch über Diplomatie in einer neuen Weltordnung und über die Frage, wie sich die Schweiz behaupten kann.

Herr Borer, Sie sind Wladimir Putin begegnet.
Thomas Borer: Ja, 2002, an einer politischen Veranstaltung in Deutschland.

Wie haben Sie ihn erlebt?
Putin war ein sehr freundlich erscheinender Mensch, intelligent, umgänglich. Er spricht sehr gut Deutsch, mit einem kleinen russischen Akzent.

Finden Sie, er ist vertrauenswürdig?
Im Nachhinein muss ich feststellen, wahrscheinlich nicht. Er hält sich ja nicht an Verträge, wie zum Beispiel ans Minsker-Abkommen. Damals wussten wir das aber nicht.

Thomas Borer

Thomas Borer (67) hat Rechtswissenschaft studiert und beim Eidgenössischen Aussendepartement als Völkerrechtler gearbeitet. Dort prägte er 1993 massgeblich die Schweizer Strategie in der Neutralitätspolitik, die bis heute gilt. Von 1993 bis 1996 leitete er als Botschafter die Taskforce «Schweiz – Zweiter Weltkrieg». Danach war er Botschafter in Deutschland bis 2002. Seither ist er als Unternehmensberater tätig, mit nationalen und internationalen Mandaten.

Thomas Borer (67) hat Rechtswissenschaft studiert und beim Eidgenössischen Aussendepartement als Völkerrechtler gearbeitet. Dort prägte er 1993 massgeblich die Schweizer Strategie in der Neutralitätspolitik, die bis heute gilt. Von 1993 bis 1996 leitete er als Botschafter die Taskforce «Schweiz – Zweiter Weltkrieg». Danach war er Botschafter in Deutschland bis 2002. Seither ist er als Unternehmensberater tätig, mit nationalen und internationalen Mandaten.

Trump sagt, Putin habe ihm zugesichert, er wolle Frieden in der Ukraine. Dabei könnte der Kremlchef jederzeit seine Truppen zurückziehen, wenn er wollte. Warum vertraut Trump Putins Worten?
Ich kann nicht beurteilen, ob Trump Putin vertraut. Aber er will ja einen Friedensdeal. Und da weiss Trump natürlich, dass es nicht von Vorteil ist, seinen Verhandlungspartner im Vorfeld zu beschimpfen.

Beim Eklat vergangene Woche hat er dafür Selenski abgekanzelt.
Ich versuche, den Eklat diplomatisch neutral zu sehen. Und aus dieser Sichtweise ist Selenski falsch vorgegangen.

Was hätte er denn tun sollen?
Ich war sehr oft in ähnlichen Situationen, als ich die Taskforce «Schweiz – Zweiter Weltkrieg» leitete. Ich musste vor dem US-Kongress die Schweizer Position im Zweiten Weltkrieg erklären, wobei es auch um unseren Umgang mit Nazigold ging. Damals habe ich immer gesagt, dass die Schweiz ewig dankbar ist, dass die Amerikaner mit dem Blut ihrer Söhne Europa vor den Nazis gerettet hätten. Das war mein Auftakt. Dann habe ich nochmals zwei nette Sätze gesagt. Und dann erst habe ich begonnen, zu kritisieren und die Dinge richtigzustellen.

Das soll heissen?
Als Selenski im Weissen Haus auftrat, war er Bittsteller. Die USA sind eine Supermacht. Punkt. Deshalb gilt der Grundsatz, zuerst viel Nettes zu sagen. Selenski hat das leider nicht getan.

Sie beschreiben Trump als rationalen, berechenbaren Politiker. Viele, insbesondere in Europa, sehen das anders.
Ja, ich versuche Trump rational zu analysieren. Die meisten lassen sich von Emotionen leiten. Dabei hat Trump alles, was er tut, bereits im Wahlkampf angekündigt. Ich verstehe nicht, weshalb jetzt viele überrascht sind. Empörung bringt nichts. Wir müssen uns der Realität stellen; das schlechte Wetter ändert sich auch nicht, wenn wir darüber fluchen: Trump ist für die nächsten vier Jahre der mächtigste Mann der Welt – und wir müssen mit ihm klarkommen.

Europas Schicksal hängt zu einem wesentlichen Teil von Trump ab. Es wird befürchtet, dass er der Ukraine einen Diktatfrieden aufzwingen könnte. Wie sehen Sie das?
Ein Diktatfrieden ist möglich, diese Gefahr besteht. Trump hat deutlich gemacht, dass er schnell Frieden möchte. Wenn wir einen für Europa akzeptablen Frieden wollen, dann müssen wir ihm die Reverenz erweisen und so auf ihn Einfluss nehmen. Leider hat Westeuropa militärisch ausser kräftigen Worten kaum etwas zu bieten. Das ist die bittere Realität.

Europa sollte sich also davor hüten, Trump zu kritisieren?
Schauen Sie: Ich kenne einige Mitglieder der Trump-Administration, darunter den US-Aussenminister Marco Rubio. Die widersprechen Trump, nur machen sie das nicht öffentlich. Ein ähnliches Vorgehen empfehle ich europäischen Politikern.

Trump zerschlägt gerade die regelbasierte Ordnung, da muss doch jemand dagegenhalten.
Die regelbasierte Ordnung ist bereits seit 2014 Geschichte. Damals marschierten Putins Truppen auf die Krim und in den Donbass ein, übrigens als Obama Präsident war. Da hätte der Westen aufwachen sollen, doch wir waren Schlafwandler. Jetzt gilt – leider – Machtpolitik. Und da zählt vor allem die militärische Stärke.

Die Guten Dienste der Schweiz treten in dieser Welt in den Hintergrund. Die USA und Russland verhandeln lieber in Riad als in Genf. Nächste Woche sollen US-Ukraine-Gespräche stattfinden – ebenfalls in Saudi-Arabien. Von rechts kommt die Kritik, das sei wegen der Aufgabe der Neutralität und wegen der Sanktionen.
Die Schweiz existiert nicht, um Gute Dienste zu erbringen. Sie sind lediglich ein Mittel unserer Aussenpolitik. Dass wir als Friedensvermittler im Ukraine-Krieg nicht so gefragt sind, hat wenig mit der Neutralität zu tun. Saudi-Arabien ist nicht neutral und kann dennoch Gute Dienste anbieten. Wir haben in Russland einfach an Goodwill verloren, weil wir uns – absolut zu Recht – an den westlichen Sanktionen beteiligt haben.

Wie kann sich die Schweiz als neutrale Vermittlerin zurück ins Spiel bringen?
Der Schweizer Botschafter in Washington und derjenige in Moskau haben den jeweiligen Regierungen auf informellem Weg sicherlich mitgeteilt, dass Schweizer Boden für vertrauliche oder öffentliche Treffen zur Verfügung steht. Wir können nicht viel mehr offerieren, als Gastgeber zu sein. Wenn die Welt das nicht will, dann ist es so. Wenn das Recht des Stärkeren gilt, ist die Macht des Rechts und damit die Schweiz geschwächt.

Was bedeutet das für die Schweiz?
Aussenpolitik ist jetzt mehr denn je Interessenpolitik. Moralische und ethische Aspekte gehören auch dazu, doch sie besitzen in dieser neuen Welt eine untergeordnete Rolle. Nun sind jeweils die eigenen Interessen wichtiger als die der anderen. Die Schweiz muss jetzt auf sich selbst schauen. Es gilt: Switzerland first – so wie auch die EU vornehmlich ihre eigenen Interessen verfolgt.

Nehmen wir den drohenden Handelskrieg als Beispiel. Trump hat angekündigt, Zölle von 25 Prozent auf Importe aus der EU zu erheben. Wie soll sich die Schweiz da verhalten?
Wir haben in dieser Auseinandersetzung gute Karten, wir müssen sie nur proaktiv spielen. Denn: Wir sind nicht Teil der EU, produzieren zum Beispiel keine Autos, sind der sechstgrösste Investor in den USA und schaffen dort über 600’000 Arbeitsplätze. Ich hoffe, das Aussendepartement (EDA) und die grossen Schweizer Multis zeigen das jetzt auf, indem sie in den USA lobbyieren. Wir müssen klarstellen, dass wir nicht unfaire Partner sind und übermässig von den Amerikanern profitieren. Das ist das Entscheidende.

Hat die Schweiz denn bisher genügend lobbyiert?
Ich hoffe, dass im Hintergrund alles sehr diskret abläuft und wir deshalb nichts vom EDA hören.

Müsste nicht Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter, Wirtschaftsminister Guy Parmelin oder EDA-Chef Ignazio Cassis nach Washington reisen?
Soweit ich weiss, spielt keiner von denen gut Golf. Aber nein, im Ernst: Trump findet die Schweiz zwar sympathisch, das sagen mir meine US-Kontakte, doch wir stehen nicht weit oben auf seiner Besucherliste. Wir müssen versuchen, über sein Umfeld Einfluss zu üben. Über Menschen, die ihm ganz nahestehen, so wie Edward McMullen, der ehemalige US-Botschafter in der Schweiz oder US-Abgeordnete aus Regionen, in denen Schweizer Firmen viele Arbeitsplätze schaffen. So können wir uns einen Vorteil verschaffen.

Welchen genau?
Wir müssen Trump folgenden Floh ins Ohr setzen: «Mr. President, wenn Sie mit der Schweiz ein Freihandelsabkommen abschliessen, dann können Sie die EU piesacken.» Denn sollte Trump Zölle gegen die EU erheben, dann rennen Unternehmen aus Deutschland, Frankreich, Italien und anderen Staaten – die mit Schweizer Firmen konkurrieren – nach Brüssel, weil sie im US-Markt im Vergleich zur Schweiz benachteiligt sind. Dadurch würde der Druck auf die EU steigen, den USA entgegenzukommen. Ich bin sicher, Trump würde diese Idee gefallen.

Die EU wäre bestimmt nicht erfreut, sollte sich die Schweiz diesen Schachzug erlauben.
Wir beklagen uns immer über Trump. Doch die EU übt genauso Machtpolitik aus, wenn es um die bilateralen Verhandlungen mit uns geht. Ich hätte mir zum Beispiel eine griffigere Schutzklausel gewünscht, um die Einwanderung in die Schweiz stärker regulieren zu können. Doch für die EU ist die Personenfreizügigkeit eine heilige Kuh. Da beharrt sie stur auf ihren Prinzipien, so wie Trump. Warum sollte die Schweiz nicht dasselbe tun?

Weil sie als exportorientiertes Land an einer regelbasierten Ordnung interessiert sein sollte?
Nochmals: Die regelbasierte Ordnung ist Geschichte. Ich bedaure das, aber je früher wir uns damit arrangieren, desto besser.

Die Landesregierung wirkt derzeit unentschlossen, wie sie mit Trump umgehen soll.
Ich sehe das nicht so. Der Bundesrat hält sich in dieser emotionalen Debatte vornehm und klug zurück. Man studiert Trump und zieht – so hoffe ich – in Bern die richtigen Schlüsse.

Welche Schlüsse ziehen Sie?
Wer mit Leuten spricht, die den US-Präsidenten gut kennen, hört: Trump kommt immer zuerst mit dem Vorschlaghammer. Das ist seine Art, zu verhandeln. Als Beispiel: Von den Europäern fordert er jetzt, dass sie fünf Prozent ihres BIP in die Verteidigung stecken. Er wird sich dann aber schon mit zwei, drei Prozent zufriedengeben. Denn Trump weiss, dass die Europäer seine Verbündeten sind. Er will einfach, dass sie endlich stärker aufrüsten. Und siehe da, nun tun sie es.

Was raten Sie also dem Bundesrat?
Sich zurückhalten, Trump Respekt zollen und die Grössenverhältnisse zu den USA realistisch einschätzen. Man muss den US-Präsidenten nicht mögen, doch er ist ein Fakt. Trump lässt sich für die folgenden Jahre nicht aus der Welt schaffen.

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